Wie können Kinder, deren Eltern auf Hartz-IV-Niveau le­ben, besser unterstützt werden? Eine Lösung ist noch nicht in Sicht. Die meisten Sozialverbände setzen sich inzwischen für die Einführung einer Kindergrundsicherung ein, die Jungen und Mädchen ein Leben ermöglichen soll, bei dem sie nicht schlechter gestellt als sind ihre Mitschüler. Linke und Grüne stehen ebenfalls hinter der Forderung nach einem solchen Milliardenprogramm, und auch die SPD ist jetzt auf den Zug aufgesprungen. Viel hilft viel, lautet die Devise. Aber stimmt das überhaupt?
Die westfälische Stadt Hamm verfolgt einen anderen Ansatz: Dort erhalten Kinder Scheckkarten, mit denen sie eine Reihe von Unterstützungsleistungen unkompliziert abrufen können. Welches sind die Vor- und Nachteile der beiden Modelle? Eine Gegenüberstellung.

Die Kindergrundsicherung

Einmal im Monat bekommen die Familien Geld für alles, was Kinder brauchen; das ist die zentrale Idee der staatlichen Kindergrundsicherung. Ein Bündnis aus mehreren Sozialverbänden fordert pro Kind eine Zahlung von monatlich 620 Euro. Diese Summe wird reduziert, je mehr Einkommen die Eltern erzielen. Alle derzeitigen Zahlungen – unter anderem Kindergeld, Kinderzuschlag, Wohngeld, Unterhaltsvorschuss, Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket – gehen in dieser Kindergrundsicherung auf.
Begründet wird die Forderung mit dringendem Handlungsbedarf. Denn die Zahl armutsgefährdeter Kinder steigt in Deutschland. Laut  Europäischem Statistikamt sind es fast zwei Millionen. In Teilen der CDU sieht man dennoch keinen Handlungsbedarf, andere heißen den Plan gut: Die Kindergrundsicherung könne „eine Teillösung“ sein, wenn es darum gehe, Familien aus der Armut zu führen, sagt der Vorsitzende der Christdemokratischen Arbeitnehmerschaft, Karl-Josef Laumann.
Geringere Kinderarmut in Baden-Württemberg
Geringere Kinderarmut in Baden-Württemberg
© Foto: SWP GRAFIK
Das Programm ist teuer. Nach Berechnungen des Deutschen Kinderschutzbundes müsste der Bund 22 Milliarden Euro zusätzlich für Familienleistungen aufbringen. Kritiker befürchten, dass dieses Geld dann beim Ausbau der Kinderbetreuung fehlen könnte.
Die CSU hält den Kurs für grundsätzlich falsch. „Die Pläne vermindern Erwerbsanreize für die Eltern und bewirken einen dauerhaften Verbleib der gesamten Familie im Leistungsbezug“, so der familienpolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Stephan Stracke. Um die Ursachen der Armut zu bekämpfen, helfe nur eine „gute und ausgewogene Arbeitsmarktpolitik“.
Praktiker aus der Kommunalpolitik bezweifeln zudem, dass das Geld wirklich in erster Linie den Kindern zugutekäme. Auf 20 bis 25 Prozent beziffern Sozial­politiker hinter vorgehaltener Hand den Anteil der Eltern, bei denen es zweifelhaft ist, ob tatsächlich jeder dafür vorgesehene Euro für das Wohl der Kinder eingesetzt wird.

Die Scheckkarte

Bedürftige Kinder erhalten ihre Leistungen kostenlos per Scheckkarte. So hält es die Stadt Hamm in Nordrhein-Westfalen. „Wir haben das 2012 schrittweise eingeführt. Unsere Erfahrungen sind sehr gut“, sagt Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann (CDU) dieser Zeitung. Die Kinder und Jugendlichen können viele Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung abrufen, das 2011 gestartet wurde und das der Bund im Jahr 2017 mit 646 Millionen Euro pro Jahr finanzierte. Kritiker werten das Paket zwar als Bürokratie-Monster, das Angebot wird bundesweit nur von 25 Prozent der Berechtigten genutzt. Nicht so allerdings in der 180.000-Einwohner-Stadt Hamm: Dort sind es dank der Scheckkarte mehr als 90 Prozent, die vom Bildungs- und Teilhabepaket profitieren.

„Förderung ohne  Missbrauch“

„Die Schüler müssen einfach nur die Karte durch den Scanner ziehen, und die Vereine und die Tanzschule rechnen direkt mit uns ab“, erklärt Hunsteger-Petermann das Prinzip. Überdies stehen von der Stadt bezahlte ­Bildungsbegleiter bereit, die helfen, wenn doch mal Fragen auftauchen oder ein Antragsformular auszufüllen ist. Was dem Oberbürgermeister besonders wichtig ist: „Die Karte hat auch den Effekt, dass man die Förderung nicht missbrauchen kann.“
Im zuständigen Bundesarbeitsministerium scheint man von den Vorteilen der Scheckkarte nicht überzeugt zu sein. „Die Kommunen entscheiden eigenständig über die Art und Weise der ­Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets“, heißt es auf Anfrage lapidar. Dies gelte auch für die Einführung von Scheckkarten.

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