In Frankreich stand am Sonntag, 19. Juni 2022, die entscheidende Runde der französischen Parlamentswahl an. Rund 48,9 Millionen eingeschriebene Wähler konnten ihre Stimme abgeben. Kurz nach der Wiederwahl von Präsident Emmanuel Macron bestimmten die Französinnen und Franzosen die 577 Mitglieder der Nationalversammlung.
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kam das Macron-Lager auf 245 der 577 Sitze. Das neue linke Bündnis angeführt von Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon erzielte 131 Sitze im Parlament und wird damit stärkste Oppositionskraft. Für die absolute Mehrheit wurden mindestens 289 Sitze benötigt.
Starken Zuwachs erzielte die rechtsnationale Partei Rassemblement National, deren Spitzenkandidatin Marine Le Pen in der Endrunde der Präsidentschaftswahl Macron unterlegen war. Sie kam auf 89 Sitze, gut elf Mal so viel wie bisher, und wird damit drittstärkste Kraft im Parlament.
- Was sagten die Umfragen vorab?
- Wie lautet die Hochrechnung?
- Welches Ergebnis wird erwartet?
- Wie fiel die Wahlbeteiligung aus?
Alle Infos zur Wahl des Parlaments in Frankreich 2022 gibt es hier in der Übersicht.
Wahl in Frankreich 2022: Macron ohne absolute Mehrheit
Nach der Parlamentswahl in Frankreich ohne absolute Mehrheit für Präsident Emmanuel Macron steht das politische System des Landes vor einer Bewährungsprobe. Macron muss angesichts herber Mandatsverluste mit seinem Mitte-Lager in der Nationalversammlung Partner für eine Regierungsmehrheit suchen. Die nach dem Wahlergebnis deutlich gestärkten Parteien am linken und extrem rechten Rand werden auf mehr Einfluss pochen und auf einen harten Oppositionskurs einschwenken. Möglicher Partner des Macron-Lagers könnten die bürgerlich-konservativen Républicains werden, aber das ist längst nicht ausgemacht.
Erstmals seit über 30 Jahren steht der französische Präsident somit ohne absolute Parlamentsmehrheit da und muss mit seiner Regierung auf die Unterstützung anderer Lager bauen. Ein Regieren mit Koalitionen über das eigene politische Lager hinweg sowie mit Kompromissen ist in Frankreich weniger üblich als in Deutschland. Für eine mögliche Koalition oder Zusammenarbeit muss die Präsidentenpartei nun auf mögliche Partner im Parlament zugehen.
Ergebnis der Wahl in Frankreich als schwerer Schlag für Macron
Das Ergebnis ist ein schwerer Schlag für Macron, dessen Lager derzeit noch die absolute Mehrheit im Unterhaus des Parlaments hält. Denn normalerweise wird die kurz nach der Präsidentschaftswahl abgehaltene Parlamentswahl als Bestätigung gesehen, so dass oft die gleiche politische Kraft mit absoluter Mehrheit siegt. Einen enormen Erfolg verbuchten hingegen das neue Linksbündnis und Mélenchon, die damit als mächtigste Oppositionsgruppe mehr Einfluss erhalten.
Bei der Parlamentswahl ging es für Macron darum, ob er seine Vorhaben auch in seiner zweiten Amtszeit wird umsetzen können. Dafür benötigte er eine Mehrheit im Parlament. Mit einer nun nur noch relativen Mehrheit sind der Präsident und die Regierung gezwungen, Unterstützung aus den anderen Lagern zu suchen. Je nach Vorhaben werden sie sich auf Mitte-Links- oder Mitte-Rechts-Kräfte zu stützen versuchen.
Wahlergebnis: Le Pen nach Parlamentswahl erfreut über „stärkste Fraktion“ seit jeher
Die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen hat das unerwartet gute Abschneiden ihrer Partei Rassemblement National bei der Parlamentswahl begrüßt. Ihre Partei werde "die größte Fraktion in der Geschichte (ihrer) politischen Familie" in der Nationalversammlung bilden, sagte sie am Sonntag in Hénin-Beaumont.
So fiel die Wahlbeteiligung in Frankreich aus
Bei der zweiten Runde der Parlamentswahl in Frankreich am Sonntag hat sich eine geringe Wahlbeteiligung abgezeichnet. Laut dem Innenministerium in Paris lag die Beteiligung bis 17 Uhr bei 38,11 Prozent, in der ersten Runde hatte sie um diese Zeit bei 39,42 Prozent gelegen. Mit 38,11 Prozent war sie aber höher als bei der Parlamentswahl 2017 um diese Zeit (35,33 Prozent). Kurz vor Schließung der ersten Wahllokale wurde die Wahlbeteiligung von fünf Meinungsforschungsinstituten auf 53,5 bis 54 Prozent geschätzt.
Wahl in Frankreich 2022: Worauf haben die Umfragen hingedeutet?
Für den Mitte-Politiker Macron geht es darum, sich auch in seiner zweiten Amtszeit eine Parlamentsmehrheit zu sichern. Nach der ersten Wahlrunde am vergangenen Wochenende schien noch nicht ausgemacht, dass das Präsidenten-Lager seine absolute Mehrheit im Parlament wird halten können. In der ersten Runde am vergangenen Sonntag hatten nur fünf Kandidaten die nötige absolute Mehrheit der Stimmen in ihrem jeweiligen Wahlkreis erhalten. In allen anderen Wahlkreisen fanden nun Stichwahlen statt.
Der bisherigen Regierungsmehrheit steht ein breites Bündnis des linksgerichteten Ex-Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon gegenüber, das auch Sozialisten und Grüne umfasst. Das links-grüne Wahlbündnis hatte in den Umfragen zuletzt weiter zugelegt und demnach Aussichten auf 140 bis 200 Sitze.
Beim Stimmenanteil lag Macrons Bündnis mit dem Linksbündnis im ersten Wahlgang gleichauf. Das Mehrheitswahlrecht begünstigt bei der Sitzverteilung jedoch das stärkste Wahlbündnis. Macrons Allianz kann demnach auf 255 bis 305 Sitze hoffen. 289 wären für eine absolute Mehrheit nötig. Ohne diese wäre Macron für seine Reformpläne auf Stimmen der Opposition angewiesen.
Die Partei RN von Marine Le Pen könnte mit mindestens 15 Abgeordneten erstmals eine eigene Fraktion bilden. Der Vorgängerpartei FN war dies zuletzt 1986 gelungen. Umfragen sahen die Rechtpopulisten bei 20 bis 45 Sitzen. Fraktionsgröße dürften außerdem noch die konservativen Republikaner erreichen.
Diese ersten Prognosen gab es bei der Parlamentswahl in Frankreich am Wahltag
Der Wahltag startete bereits mit einem Rückschlag für das Lager des Präsidenten. Auf der Karibikinsel Guadeloupe, wo wie in einigen Überseegebieten schon am Samstag gewählt worden war, unterlag Macrons Staatssekretärin für Meeresangelegenheiten, Justine Benin, dem Kandidaten aus dem linken Lager. Sie wird voraussichtlich künftig nicht mehr Teil der Regierung sein.
15 weiteren amtierenden Regierungsmitgliedern drohten ebenfalls Niederlagen in ihren Wahlkreisen - und im Einklang mit einer ungeschriebenen Regel damit auch der Verlust ihrer Regierungsposten. Zu ihnen zählten Premierministerin Elisabeth Borne, Umweltministerin Amélie de Montchalin und Europa-Staatsminister Clément Beaune.
mit AFP und dpa