Was ist die beste Selbstverteidigung?
ALEXANDER SCHUSTER: Sich nicht in brenzlige Situationen begeben. Der beste Weg zu kämpfen ist, nicht zu kämpfen. Wenn man ein unangenehmes Bauchgefühl hat, sollte man darauf hören. Voraussehbare Brennpunkte würde ich immer meiden. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass da eine Gruppe Halbstarker herumsteht, die schon von der Körpersprache her provokativ unterwegs ist, dann halte ich mich möglichst fern. Das ist ja ganz normal. Man versucht ja auch nicht, eine Straße an der belebtesten Stelle zu überqueren.
Also einen provokativen Spruch als Frau am besten überhören?
SCHUSTER: Nein. Besser ist man aufmerksam, schaut den Gegner an und zeigt so, dass man ihn bemerkt hat. Und am besten sofort "Stop. Nein." sagen und zweifelsfrei klarmachen, dass man kein Interesse an ihm hat.
Und wenn man doch in eine gefährliche Situation gerät?
SCHUSTER: Vor allem als Frau sollte ich mir dann bewusst sein: "Jetzt wird es ernst!" Einen freundlichen Annäherungsversuch kann ich dann nicht freundlich entgegnen. Schon bei der ersten Annäherung sollte man sagen, dass man nicht will. Ernst und bestimmt - ohne zu lächeln.
Was, wenn die Angreifer als Gruppe auf einen zukommen?
SCHUSTER: Versuchen, der Situation zu entkommen, also wegzurennen. Wenn man selbst ebenfalls in der Gruppe unterwegs ist, Rücken an Rücken stehen und sich gegenseitig den Rücken frei halten.
Wie reagiert man am besten auf Übergriffe?
SCHUSTER: Ein vehementes Auftreten ist sehr wichtig. Laut schreien, auf die Situation aufmerksam machen. Man sollte konsequent und selbstbewusst handeln. Keine Hemmungen oder Scham zeigen.
Hat man als Frau eine ernsthafte Chance gegen Männer?
SCHUSTER: Man muss von dem Bild wegkommen, eine arme, schwache Frau zu sein und darf sich nicht in der Opferrolle sehen. Frauen sollten vor allem in solchen Situationen Selbstbewusstsein ausstrahlen und dürfen nicht die Situation still über sich ergehen lassen, sondern laut schreien. Es gibt dieses Bild der Löwin, der man versucht, das Baby wegzunehmen. Die zerfleischt unter Umständen ein ganzes Rudel.
Wie überträgt man das dann auf eine Frau?
SCHUSTER: Kratzen, Beißen, Spucken, egal was. Die Hemmung sich zu wehren, den Gegenüber zu berühren um ihm wehzutun, muss weg. In's Schienbein treten oder in die Genitalien - in einer ernsthaften Situation ist alles erlaubt, was wehtut. Schon jemandem ins Gesicht zu spucken, kann einen Überraschungsmoment schaffen, in dem man fliehen kann.
Also ist vieles Einstellungssache?
SCHUSTER: Ja. Wenn ich mir nicht vorstellen kann, den Gegner zu besiegen, dann ist es unwahrscheinlicher, dass mir das tatsächlich gelingt, als wenn ich den Gegner im Kopf schon auf dem Boden sehe.
SCHUSTER: Es gibt die Möglichkeit, sich mit einfachen Techniken eine Selbstsicherheit aufzubauen, die in einer solchen Situation helfen kann. Aber wichtig ist, dass man sich dann trotzdem nicht für unbesiegbar hält.
Haben Sie konkrete Beispiele?
SCHUSTER: Vor allem mit langen Fingernägeln ist es schon sehr wirkungsvoll, mit der offenen Hand Krallen zu machen und auf das Gesicht des Gegners zuzugehen. Niemand wird dann da seine Augen reinhalten wollen. Oder einfach eine banale Ohrfeige, die übrigens sowieso wirkungsvoller als ein Fauststoß ist. Aus dem Handgelenk heraus eine Peitschenbewegung auf das Ohr zu machen - es ist erwiesen, dass das einen psychologischen Effekt auf den Gegner hat. Es knallt und unter Umständen kann sogar das Trommelfell reißen.
Aua. Worauf kann man sonst noch so zielen?
SCHUSTER: In den Mund fassen, in die Nase oder die Augen fassen. Mit beiden Händen links und rechts auf die Ohren schlagen. Mit drei Fingern an den Kehlkopf greifen, oder einfach die Hand des Angreifers packen und die Finger auseinander reißen oder umbiegen.
Gibt es geeignete Hilfsmittel?
SCHUSTER: Ich finde, dass Frauen Trillerpfeifen und Pfeffersprays mit sich tragen sollten. Aber auch einfach einen Schlüsselbund an einer langen Schnur zu schwenken oder zwei Schlüssel zwischen die Finger einer geballten Faust zu stecken, zeigt schon, dass das Opfer vorhat, sich zu wehren. Oder eine zusammengerollte Zeitung - es gibt fast nichts Stabileres als eine gerollte Zeitung. Damit könnte man auch Messer abwehren.
Wie verhält man sich, wenn man mit richtigen Waffen bedroht wird?
SCHUSTER: Am besten: Wegrennen, wenn das geht.
Qi Gong und Tai Chi Chuan
Der Ulmer Alexander Schuster ist 57 Jahre alt und hat in seiner Laufbahn unterschiedliche Kampfsportarten erlernt. Der Trainer für Kampfkunst und Gesundheit gibt Selbstverteidiguns-Kurse im Raum Ulm und unterrichtet die Kampfsportarten Qi Gong und Tai Chi Chuan.