Nach dem tödlichen Schuss eines Polizeibeamten auf einen 17-Jährigen ist es in Frankreich in der Nacht auf Freitag erneut zu gewaltsamen Protesten gekommen. Ein Ende der Krawalle gegen Polizeigewalt scheint vorerst nicht in Sicht.

Bankfiliale in Flammen - Wieder Ausschreitungen in Frankreich

In Nanterre bei Paris, wo der 17-Jährige am Dienstag ums Leben gekommen war, wurde am Donnerstagabend eine Bankfiliale in Brand gesetzt, wobei die Flammen auf ein darübergelegenes Wohngebäude übergriffen. Die Feuerwehr löschte den Brand, ohne dass Menschen zu Schaden kamen.
Im Anschluss an einen Trauermarsch für den erschossenen Jugendlichen in Nanterre mit 6000 Teilnehmern kam es dort am Donnerstagabend zu Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und der Polizei. Die Beamten wurden mit Molotow-Cocktails beworfen, die Polizei überwachte die Lage mit Hubschraubern und zog Spezialkräfte zusammen, 19 Menschen wurden festgenommen. In der Hafenstadt Marseille gerieten Hunderte Protestierende mit der Polizei aneinander, Geschäfte wurden geplündert und 14 Menschen festgenommen.
In Lille, Lyon und in Bordeaux kamen Spezialeinheiten der Polizei zum Einsatz. In Grenoble wurde ein Bus mit Feuerwerkskörpern beschossen und die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe legten daraufhin die Arbeit nieder. Auch in Belgiens Hauptstadt Brüssel kam es am Donnerstagabend zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Ordnungskräften. Jugendliche hätten sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Ordnungskräften geliefert und es habe mehrere Brände gegeben, teilte die Polizei mit.

So begannen die Proteste in Frankreich

Die Proteste hatten sich am Tod des 17-jährigen Nahel M. entzündet. Der Jugendliche war am Dienstag auf dem Fahrersitz eines Autos bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre erschossen worden.
Die Unruhen begannen am Dienstagabend mit einer Demonstration vor der Polizeiwache von Nanterre und griffen in der Nacht auf benachbarte Orte über. Wütende Menschen setzten Mülltonnen, Autos, eine Grundschule und den Anbau eines Rathauses in Brand. Die Einsatzkräfte wurden mit explodierenden Feuerwerkskörpern beschossen. Die Polizei reagierte mit dem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen. Laut dem Innenminister wurden 31 Personen festgenommen und 24 der 1200 eingesetzten Polizeibeamten verletzt. Etwa 40 Autos wurden zerstört, indem sie in Flammen aufgingen.
In der Nacht zum Donnerstag hatten sich die Ausschreitungen verstärkt und auf weitere Städte in Frankreich ausgeweitet. Nach Angaben Darmanins gab es 150 Festnahmen. Es seien Schulen, Rathäuser und Polizeistationen in Brand gesteckt oder angegriffen worden, erklärte der Innenminister am Donnerstagmorgen auf Twitter.

Tödliche Schüsse auf 17-Jährigen bei Verkehrskontrolle

Bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre wurde Nahel M. am Dienstag auf dem Fahrersitz eines Autos erschossen. Ursprünglich hatte die Polizei behauptet, dass das Fahrzeug auf zwei Motorrad-Polizisten zugefahren sei. Ein Video, das von AFP auf seine Authentizität überprüft wurde, zeigt jedoch, wie zwei Polizisten das Fahrzeug anhalten wollten. Dabei zielte ein Polizist durch das seitliche Autofenster auf den Fahrer und schoss aus nächster Nähe, als das Auto plötzlich beschleunigte.
Kurz darauf prallte das Fahrzeug gegen einen Pfosten, nur wenige Meter weiter. Trotz Wiederbelebungsversuchen der Rettungskräfte verstarb der 17-jährige Fahrer Nahel M. kurze Zeit später aufgrund einer Schusswunde in der Brust. In dem Video war zuvor der Satz während der Kontrolle zu hören: "Du kriegst eine Kugel in den Kopf."
Gemäß den Angaben der Staatsanwaltschaft sollte der vermutliche Schütze im Laufe des Donnerstags einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden, um sich möglicherweise wegen Totschlags anzuklagen. Pascal Prache, der Staatsanwalt von Nanterre, erklärte, dass die "rechtlichen Voraussetzungen" für den Einsatz einer Waffe in diesem Fall nicht gegeben waren. Am Abend kam dann die Meldung: Der Polizist sitzt in Untersuchungshaft, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Der Einsatz der Waffe bei der Kontrolle sei nicht gerechtfertigt gewesen.
Frankreich, Nanterre: Eine Frau zeigt ein Plakat mit der Aufschrift «Gerechtigkeit für Nahel» während eines Marsches für den getöteten 17-jährigen Nahel in dem Pariser Vorort.
Frankreich, Nanterre: Eine Frau zeigt ein Plakat mit der Aufschrift «Gerechtigkeit für Nahel» während eines Marsches für den getöteten 17-jährigen Nahel in dem Pariser Vorort.
© Foto: Michel Euler/dpa

Proteste gegen Polizeigewalt: „Wir haben es satt, so behandelt zu werden“

Die gewaltsamen Proteste stellen eine erneute innenpolitische Krise in Frankreich dar. Staatschef Emmanuel Macron hat gerade erst ein halbes Jahr voller heftiger Demonstrationen aufgrund seiner kontroversen Rentenreform hinter sich.
Der tragische Vorfall löste nun erneut große Empörung aus, und aufgrund der Videoaufnahmen steht der Vorwurf von Polizeigewalt im Raum. "Wir haben es satt, so behandelt zu werden", sagten zwei junge Männer, die Mülltonnen zu einer brennenden Barrikade in Paris rollten. "Das ist Nahel. Wir sind Nahel", fuhren sie fort.
Die aktuellen Szenen wecken auch Erinnerungen an das Jahr 2005: Damals brachen nach dem tragischen Tod zweier Jugendlicher, die vor der Polizei auf der Flucht waren, schwere Unruhen aus. Immer wieder kommen Menschen in Frankreich bei Fahrzeugkontrollen ums Leben, wenn sie sich nicht an Anweisungen halten. Laut einem Bericht der Zeitung "L'Obs" starben im Jahr 2022 insgesamt 13 Personen bei solchen Kontrollen, nachdem sie sich der Polizei widersetzt und versucht hatten, zu fliehen. Die Opfer sind häufig junge Männer mit Migrationshintergrund aus den Vororten, wo gewaltsame Proteste im Anschluss an solche Vorfälle leider keine Seltenheit sind.

Prominente Anteilnahme am Tod von Nahel M.

Prominente Franzosen mit ausländischen Wurzeln bezogen Position. „Mein Frankreich tut mir leid. Eine inakzeptable Situation. Alle meine Gedanken gelten Nahels Familie und seinen Lieben, diesem kleinen Engel, der viel zu früh gegangen ist“, twitterte Fußball-Superstar Kylian Mbappé von Meister Paris Saint-Germain. „Meine Gedanken und Gebete sind bei der Familie und den Angehörigen von Nahel, der heute Morgen im Alter von 17 Jahren gestorben ist, von einem Polizisten in Nanterre erschossen“, twitterte Schauspieler Omar Sy („Ziemlich beste Freunde“). „Möge eine Justiz, die diesen Namen verdient, das Andenken dieses Kindes in Ehren halten.“
Politiker aus dem linken Spektrum zeigten sich empört über den Vorfall und unterstrichen, dass der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in keiner Weise die Tötung eines Menschen rechtfertige. Jean-Luc Mélenchon, ein Politiker der Linken, betonte auf Twitter, dass es in Frankreich keine Todesstrafe mehr gebe und kein Polizist das Recht habe, jemanden zu töten, es sei denn, es handle sich um Notwehr. Er kritisierte, dass solche Vorfälle das Ansehen des Staates schädigten und forderte eine umfassende Reform der Polizei.
(mit Material von dpa und afp)