Der Bericht von Thomas Oxley ist brisant. Offiziell wird er erst am Mittwoch in der renommierten US-Medizinzeitschrift „The New England Journal of Medicine“ veröffentlicht. Doch schon jetzt sorgt er für Aufregung. Medien berichten, Forscher debattieren.
Oxley ist Leiter der Intensivstation eines New Yorker Krankenhauses. Auf seiner Station wurden in den vergangenen beiden Wochen fünf Schlaganfall-Patienten behandelt. Sie hatten drei Gemeinsamkeiten. Erstens: Sie waren unter 50 Jahre alt. Zweitens: Sie hatten keine signifikanten Vorerkrankungen. Drittens: Sie waren mit Covid-19 infiziert.

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Corona erhöht die Gefahr für Schlaganfälle bei jüngeren Menschen. So lautet die Oxleys Vermutung. Bewiesen ist noch nichts. Fünf Patienten reichen nicht aus, um die Hypothese zu bestätigen. Doch es mehren sich Indizien, dass Corona größeren Schaden im Körper hinterlässt als bislang angenommen.

Hypothese der Forscher: Corona greift Nervensystem an

Das Sorgenkind der Forscher: das Nervensystem des Körpers. Viele Corona-Patienten klagen über Geruchsverlust. Viele Corona-Patienten klagen über Übelkeit und Kopfschmerzen. Dazu kommen bestätigte Fälle und epileptischen Anfällen, Lähmungen und Schlaganfällen in Verbindung mit dem Coronavirus. All diese Symptome könnten mit dem Nervensystem zu tun haben.

Studie: Mehr als ein Drittel der Corona-Patienten leidet unter neurologischen Beschwerden

Eine Studie erhärtet den Verdacht. Im Januar und Februar untersuchten Ärzte 214 Corona-Patienten im chinesischen Wuhan. Mehr als ein Drittel hatte neurologische Beschwerden. Am häufigsten an Kopfschmerzen und Übelkeit. Fünf bekamen einen Schlaganfall. Ein Patient litt an epileptischen Anfällen.
Den Forschern zufolge traten die Krankheitsbilder vor allem bei schweren Verläufen auf. Knapp 45 Prozent der stark Erkrankten hatten eine neurologische Beschwerde. Dazu zählten auch die fünf Schlaganfälle, die im Rahmen des Experiments registriert wurden.

Vermutung: Coronavirus kann Blutgerinnsel verursachen

Fieber, Husten, Lungenentzündungen – Schlaganfälle. Wie passt das zusammen? Bei einem Schlaganfall setzen Teile des Gehirns plötzlich aus, weil die Nerven nicht mehr richtig durchblutet werden. Dafür sorgen häufig Blutgerinnsel. Eine Art Propf, der das Blut am fließen hindert. Ähnlich wie der Korken einer Flasche.
Einige Forscher glauben, dass das Coronavirus diese Blutgerinnsel hervorrufen kann. Niederländische Mediziner untersuchten 188 Patienten, die wegen Sars-Cov-2 auf der Intensivstation waren. Das Ergebnis: Bei 30 Prozent war die Blutzirkulation im Körper in irgendeiner Weise beeinträchtigt. Der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel berichtete der FAZ, er habe bei mehreren verstorbenen Covid-19-Patienten ungewöhnlich viele Thrombosen – verstopfte Blutgefäße – entdeckt.

Blutverdünner: Die Retter in der Corona-Krise?

Das alles sind bislang nur Beobachtungen. Sicher ist nichts. Sollten sich die Hypothesen bewahrheiten, wäre das Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil Corona schwere Krankheiten wie Schlaganfälle und Herzinfarkte verursachen könnten. Segen, weil so womöglich viele Corona-Kranke vor dem Tod gerettet würden.
Der Schweizer Kardiologe Nils Kucher vermutet, dass nicht allein Atemnot zum Corona-Tod führt. Sondern auch eine sogenannte Lungenembolie. Bei dieser Krankheit verstopfen Blutgerinnsel die Lungenarterie. Blut gelangt nicht mehr in die Lunge. Wie beim Schlaganfall kann das schnell lebensbedrohlich werden.
Kucher startet nun ein Experiment. Die Probanden: 500 Corona-Patienten, die über 50 sind und leichte Symptome haben. Sie sollen sich über zwei Wochen täglich gängige Blutverdünnungsmittel spritzen. Eine zweite Testgruppe soll konventionell behandelt werden. Das Ergebnis bleibt abzuwarten. „Es wäre möglich, dass das Coronavirus gar nicht mehr so gefährlich ist, wenn wir diese Thrombosen verhindern, das ist meine Hypothese“, sagte Kucher dem Tagesspiegel.