Wer die Praxis von Dr. Bora Akyürek im Stifterweg betritt, ist schon mittendrin: Der Arzt steht vor dem Empfangstresen und bespricht mit zwei älteren Herren ein Rezept auf türkisch, klärt schnell, wie noch ein dringender Patient dazwischengeschoben werden kann und gibt Anweisungen für die nächsten Termine. Zwischen all der Geschäftigkeit versprüht der 46-Jährige beste Laune, denn wenn es etwas zu tun gibt, ist er in seinem Element.
Männerdutt und Crocs
Man kann Dr. Bora, wie er auch gern mal genannt wird, mit Fug und Recht als unkonventionell bezeichnen. Weißer Kittel und eine Gott-in-Weiß-Attitüde sucht man bei ihm vergebens. Stattdessen trägt Akyürek einen Hipster-Männerdutt und weiße Crocs. Zuletzt machte er in der Pandemie von sich reden, als er in den Clubs der Stadt für die Corona-Impfung warb. 2010 eröffnete Akyürek seine erste Praxis in der Wengengasse, inzwischen sind es drei, Söflingen und der Eselsberg sind hinzugekommen. Neun Ärzte arbeiten an den Standorten, elf Sprachen werden gesprochen. Sein lockeres Konzept kommt an, inzwischen platzen die Praxen aus allen Nähten. Kein Grund für den Arzt, mal einen Gang zurückzuschalten – im Gegenteil. Der 46-Jährige hat eine unbändige Energie und immer neue Ideen.
Bescheidene Anfänge
Dabei war sein Weg in die Medizin alles andere als vorgezeichnet. Seine alleinerziehende Mutter ging viel Arbeiten, um die kleine Familie irgendwie über die Runden zu bringen. „Wir wohnten in einer Einzimmerwohnung in der Ulmer Radgasse. Ohne Toilette und fließend Wasser“, erinnert sich Akyürek an die späten 70er-Jahre in Ulm. Der Mediziner mit türkischen Wurzeln bezeichnet sich selber als den Prototyp eines Ulmers: „Ich bin hier geboren, habe das Anna-Essinger-Gymnasium besucht, habe dann hier studiert, in unterschiedlichen Stadtteilen gewohnt und gearbeitet, in Söflingen Handball gespielt …“. Dass er es inzwischen so weit gebracht hat, macht seine Mutter heute natürlich stolz: „Wir sprechen uns viel, sie ist inzwischen 83 und lebt nach wie vor in Ulm", sagt der Arzt.
Nächster großer Schritt
Nach drei Praxen wagt er nun den nächsten großen Schritt, den Bau eines Ärztehauses am Weinbergweg. „Der Eselsberg hat nach und nach Hausärzte verloren – dabei ist das ein riesiges Wohngebiet mit mittlerweile nur noch vier Ärzten“, sagt er. Irgendwann hat der Hausarztmangel am Eselsberg auch die Stadt Ulm erreicht. Nach langen Hin und Her wurde ein Grundstück am Weinbergweg für den Bau eines Hausärztehauses ausgeschrieben. „Auf das Projekt habe ich mich beworben und bekam im Juli tatsächlich den Zuschlag“, freut er sich. Jetzt geht die Arbeit aber erst richtig los: Ein Planungsbüro muss gefunden werden, Architekten können sich bewerben, das ganze gipfelt in einem Auswahlverfahren. „Alles nicht ganz einfach“, sagt der Mediziner, der selber voll ins Risiko geht. „Insgeheim habe ich mir gewünscht, dass die Stadt sagt: Wir steuern auf einen dramatischen Hausärztemangel zu und unterstützen den Arzt dabei, dass er ein Grundstück bekommt. Aber so ist das nicht.“ Akyürek hat das Grundstück ganz offiziell gekauft und will auch den gesamten Bau ohne Fremdinvestor stemmen. Die Entscheidung fiel natürlich nicht von heute auf morgen. Anwälte und Steuerberater wurden konsultiert und schließlich die „Ärztehaus Eselsberg GmbH und Co. KG“ für das Großprojekt gegründet.
Acht Stockwerke
Akyürek hofft, dass bis Weihnachten geklärt ist, mit welchem Architekten er bauen kann. Im Frühjahr soll der Plan ausgearbeitet werden, um dann von der Stadt einen genehmigungsfähigen Bauantrag zu bekommen. 2026 würde er gern im Ärztehaus loslegen. Grob skizziert hat er sein Großprojekt natürlich schon: Auf acht Stockwerken geht es rund um die Medizin. Im Eingangsbereich sollen eine Apotheke und ein Restaurant zu finden sein. Der Arzt selber zieht mit seiner Praxis auf eine Fläche von 1500 Quadratmetern. Ein Zahnarzt steht noch auf dem Wunschzettel, einen Kinderarzt hat Akyürek schon an der Hand. Dann Reha, Physio und Chiropraktiker. Und ganz oben wäre noch Platz für eine Pflegeeinheit. Angedacht ist auch, dass über den Standort der ländliche Raum mitversorgt wird. „Da ist die Hausarztnot noch größer“, stellt Akyürek fest. Was dann mit seinen bisherigen Praxen passiert, wird noch überlegt – alle Varianten sind möglich.
Zu Hause ist er „Oldschool“
Dass er damit bis auf Weiteres einen vollen Kalender hat, ist ihm bewusst. Aber wenn etwas ansteht, macht er es einfach, da kann er nicht raus aus seiner Haut. „Manchmal und auch in diesem Fall zum Leidwesen meiner Frau“, gesteht Akyürek. Das Projekt Ärztehaus wird eine Menge Zeit und Geld in Anspruch nehmen. „Die nächsten 20 Jahre muss ich Vollgas geben, dann bin ich 66.“ Die drei kleinen Kinder werden dann schon erwachsen sein. Seine Familienstruktur beschreibt er als „Oldschool“: Er geht arbeiten, seine Frau Sabrina ist daheim und managt Haus und Kinder. „Zum Glück macht sie das. Sie hat alles im Griff und schaut, wo Lücken im Kalender sind. Da packt sie dann Familienevents und die Kinder rein“, erzählt der Arzt.
Auch mal ausgelaugt
Auch wenn der Mediziner scheinbar unendlich viel Energie hat, auch ihm liegen einige Dinge schwer im Magen. Er hat wie alle viele andere Ärzte mit der Gesundheitspolitik zu kämpfen. „Was heute erlaubt ist, ist morgen wieder anders. Deshalb muss etwas auf politischer Ebene getan werden, eine Reform ist notwendig“, sagt er. „Aber was bringt es immer zu meckern, so kommt man nicht voran. Ich will auch ein Vorbild für junge Ärzte sein“, sagt er enthusiastisch. Damit sich möglichst viele auch in der Zukunft für den Job entscheiden, denkt er auch darüber nach, im zukünftigen Ärztehaus Arzthelfer und IT zu stellen. „Ärzte, die jetzt fertig werden, haben weniger das Geldverdienen im Kopf. Sie wollen die Zeit, die sie haben, für den Patienten aufbringen, und nicht mit Verwaltung. Ganz nach der Devise: lieber weniger Geld, dafür mehr Work-Life-Balance.“ Nach langen Tagen gibt Akyürek zu, ist auch er mal ausgelaugt. „Es liegt in der Natur eines Arztes, dass die Leute immer mit Problemen kommen. Da geht es oft um Leben und Tod. Man kriegt aber auch Lob. Wenn 100 Leute am Tag kommen, 95 meckern und fünf dich loben, habe ich gelernt, mir nur diese fünf zu merken.“
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Das neue Ärztehaus am Eselsberg
Was alles geplant ist, Informationen und Ansprechpartner rund ums neue Ärztehaus am Ulmer Eselsberg gibt es auf der Homepage des Projekts: www.aerztehaus-eselsberg.de.