Wie ist Ulm in den nächsten drei Jahren überhaupt noch erreichbar? Diese Frage stellt sich nach einer dramatischen Verschärfung der Situation am Hauptbahnhof. Dort soll sich die einseitige Sperrung der Friedrich-Ebert-Straße in Richtung Ehinger Tor nicht nur bis April 2020 verlängern, sondern bis 2022 oder sogar 2023. Das räumt nun Baubürgermeister Tim von Winning in Folge einer Diskussion mit Handelsvertretern am Dienstagabend an. IHK-Hauptgeschäftsführer Otto Sälzle sagte: „Das gibt eine Leidensgeschichte ohne Ende.“ Die Reaktion des Handelsexperten der Kammer, Josef Röll, der bei dem Treffen ebenfalls dabei war: „Das ist der Wahnsinn.“
Der Baubürgermeister sagte verständnisvoll, er könne solche Reaktionen „in jedem Fall nachvollziehen“. Auch die Stadtverwaltung habe längere Zeit gebraucht, um die Komplexität der Baustelle am Hauptbahnhof vollends zu verstehen – mit Tiefgarage, Passage, Sedelhöfen, neuer Straßenbahnhaltestelle sowie kritischen Leitungen der Telekom.
Noch vor Weihnachten im Gemeinderat
Diese Komplexität mache auf längere Zeit und auch noch weit nach Eröffnung der Tiefgarage 2021 die Einspurigkeit notwendig. Das Resultat: Das Rathaus wird dem Ulmer Gemeinderat noch vor Weihnachten vorschlagen, die einseitige Sperrung der Friedrich-Ebert-Straße – die eigentlich nächstes Jahr endlich aufgelöst werden sollte – bis Herbst 2022 zu verlängern. Das ist die schmerzlosere Variante.
Die zweite Variante sieht phasenweise die Rückkehr zur Zweispurigkeit vor, so dass in beide Richtungen gefahren werden könnte. Dies würde die Bauzeit allerdings bis 2023 ausweiten und zudem die Baukosten erhöhen.
Sedelhöfe und neuer Bahnhof: Neuer „Ankunftsort“ für Ulm
Von Winning zweifelt nicht daran, dass eingeschränkte Erreichbarkeit über eine längere Zeit hinweg zu Geschäftsaufgaben im Einzelhandel führen könne. Es handle sich jedoch – wie damals der Neubau der Neuen Straße mit Tiefgarage – um ein gesellschaftlich gewünschtes Projekt.
Schließlich werde der neue Bahnhofsvorplatz als zentraler „Ankunftsort“ in Ulm zu einer erheblichen Aufwertung des Standorts führen. Bereits im Frühjahr 2020 würden in diesem Kontext die Sedelhöfe fertiggestellt: auch mit 750 Parkplätzen. Dies biete vor allem eine neue Anlaufstelle für City-Kunden, die von Nordenher in die Innenstadt wollen.
Mit Blick auf diese Verkehrsströme hält von Winning gleichwohl nichts davon, die Fahrtrichtung bei der Einspurigkeit umzudrehen: also von Norden nach Süden, vom Theater in Richtung Universum-Center. Denn dabei müsse der Autoverkehr die Straßenbahntrasse zweimal kreuzen: was zwar während der Bauphase 2018 auch schon der Fall war, aber noch ohne die Linie 2 mit höheren Taktfrequenzen.
Bei Betrachtung der Nord-Zufahrt rückt die anstehende Sanierung der Ludwig-Erhard-Brücke (wir berichteten) in den Fokus, die ebenfalls eine einspurige Verkehrsführung nach sich zieht. Von Winning ist sich im Klaren darüber, dass dies in Kombination mit der fortgesetzten Einspurigkeit am Bahnhof zu einer prekären Situation in Sachen Erreichbarkeit der City führen kann: „Wir sind an der Ludwig-Erhard-Brücke intensiv dran.“
Als weitere Schwachstelle erweist sich schon heute die Zufahrt zum Parkhaus Deutschhaus: Da es wegen der Bauarbeiten für die Bahnhofstiefgarage keine richtige Abbiegespur ins Deutschhaus gibt, führt schon ein kleiner Rückstau dazu, dass Autos nicht mehr in die verbliebene eine Spur weiter Richtung C & A einfahren können. Von Winning sagte, man sei auch angesichts der anstehenden Adventssamstage an dem Thema dran und wolle die Abbiegespur ins Deutschhaus ausbauen. Ein eventueller Einsatz von Verkehrslotsen sei fraglich, weil sie schon von aufgebrachten Autofahrern angegangen wurden.
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Experte: Perspektive für die Läden fehlt
Krisensitzung IHK und City-Marketing befassen sich nächste Woche mit der nochmal dreijährigen einseitigen Sperrung am Hauptbahnhof. Hauptgeschäftsführer Otto Sälzle sagte, angesichts der Verzögerungstaktik des Rathauses bei der Kommunikation sei womöglich das Ende gar nicht erreicht: „Man dachte, schlimmer kommt’s nimmer, und es wurde schlimmer.“ Sälzle fordert generell eine nachhaltige Entlastung für die Ulmer Innenstadt.
Prognose Handelsexperte Röll befürchtet, dass für Läden in Ulm bald die Perspektive fehlt. Dies gehe zu Lasten kleiner Geschäfte. Betriebsübernahmen seien gefährdet. Es drohe weniger Vielfalt wegen Perspektivlosigkeit.