Für die Mieter aus der Stauffenbergstraße 30 ist es ein Teilerfolg – mehr nicht. Der aus dem Raum Biberach stammende Profi-Vermieter, der das Böfinger Mehrfamilienhaus im vergangenen November gekauft und sodann allen Mietparteien gekündigt hatte, um durch die Vermietung von WG-Zimmern deutlich höhere Einnahmen zu erzielen (wir berichteten), nimmt die Kündigungen zurück. Das teilt dessen Anwalt Achim Ziegler auf Anfrage mit. „Die Kündigungen sind gegenstandslos, damit ist jedoch keine Anerkennung einer Rechtspflicht verbunden.“
Dass sich die Freude bei den Bewohnern in Grenzen hält, hat Gründe. Der Vermieter werde demnächst mit Umbauarbeiten im Erd- und Untergeschoss beginnen, wie Ziegler ebenfalls bestätigte. Dies wird zum einen möglich, weil eine im Erdgeschoss wohnende Familie zwischenzeitlich einem Auszug gegen Zahlung einer Abfindung von 12 000 Euro zugestimmt hatte. Die Räume im Untergeschoss, in dem sich ehemals ein Schwimmbad befand, stehen ohnehin leer. „Das Haus ist hellhörig, wenn die Bauarbeiten losgehen, wird das richtig laut“, befürchtet Stefanie Verheyen, eine der Mieterinnen. Zudem habe der Vermieter nun „einen Fuß in der Tür“ und könne nach dem Umbau die ersten WG-Zimmer an Studenten oder Monteure vermieten.
Was die Vermieterseite zur Rücknahme der Kündigungen bewogen hat, ließ Ziegler offen. Zwar bestätigte er, dass es dieser Tage ein vertrauliches Gespräch mit OB Gunter Czisch im Ulmer Rathaus gegeben habe, ohne sich aber über dessen Inhalt zu äußern. Ein Grund für die Rücknahme könnte freilich auch die öffentliche Berichterstattung gewesen sein. Nach der SÜDWEST PRESSE hatten mehrere andere Medien das Thema aufgegriffen. Nach Mitteilung Stefanie Verheyens hat zuletzt auch das ZDF bei ihr angefragt, um einen Beitrag über den Fall zu drehen. Überdies hatten die verbliebenen fünf Mietparteien erst vor wenigen Tagen ein Schreiben an den Anwalt des Vermieters geschickt, in dem sie sich einmal mehr geschlossen positionieren. Einen freiwilligen Auszug lehnen sie weiterhin ab, es sei denn, jede Mietpartei werde mit 15 000 Euro entschädigt. Ziegler bezeichnete diese Forderung als unannehmbar.
Der Ulmer Mieterverein hatte den Bewohnern geraten, die Kündigungen zurückzuweisen: Das bloße Ansinnen eines Vermieters, durch die Vermarktung von WG-Zimmern „eine bessere wirtschaftliche Verwertung zu erzielen“ (so der O-Ton des Kündigungsschreibens), sei kein rechtlich haltbarer Kündigungsgrund.
Die Deeskalation im Fall der Kündigungen kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage zwischen Vermieter- und Mieterseite extrem angespannt ist – ein weiterer Rechtsstreit bahnt sich an. Grund ist ein Protestbanner, das die Mieter vor knapp drei Wochen gemeinsam angefertigt hatten. Zu lesen war darauf der Slogan „entmietung-retticheu“, eine sprachliche Verballhornung der inzwischen abgeschalteten Internetadresse des Vermieters. Das Banner hatte Stefanie Verheyen außerhalb der Fensterfront ihrer Wohnung gut sichtbar angebracht.
Aufgrund dieser Aktion fährt der Anwalt nun schweres Geschütz gegen sie auf (siehe auch Infokasten). Das Wort „Entmietung“ stelle einen Zusammenhang mit dem im Nationalsozialismus ebenfalls verwendeten Begriff her, schreibt Ziegler und verweist auf das so genannte „Entmietungsgesetz“ aus dem Jahr 1939, das den gesetzlichen Mieterschutz zu Lasten jüdischer Mieter und Vermieter geändert habe. Die Verwendung eines solchen Begriffes stelle eine „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung“ seines Mandanten dar.
Vertragsstrafe droht
Verheyen wird aufgefordert, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben und sich zu verpflichten, das Wort „Entmietung“ im Zusammenhang mit dem Fall Stauffenbergstraße nicht mehr zu verwenden. Andernfalls drohe in jedem Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe von 5100 Euro, schreibt Ziegler, der ihr für den Schriftsatz zudem 492,45 Euro in Rechnung stellt.
„Ich war fassungslos“, sagt Verheyen, die das Schreiben Ende vergangener Woche in ihrem Briefkasten vorfand. Die Vorwürfe nennt sie hanebüchen. Zu keinem Zeitpunkt hätten sie und die übrigen Mieter einen Zusammenhang mit der Nazi-Zeit herstellen wollen. Das Wort „Entmietung“ tauche im Internet tausendfach auf – immer im Zusammenhang mit dem Versuch von Vermietern, Mieter loszuwerden.
Das sieht auch Katja Adler so. Die Juristin des Ulmer Mietervereins kommt nach erster Prüfung des Schreibens zum Schluss, dass die Vorwürfe konstruiert seien. Sie selbst denke beim Wort „Entmietung“ an die Hausbesetzerszene der 70er und 80er Jahre, sagt Adler, die Verheyen rät, die Unterlassungserklärung auf keinen Fall zu unterschreiben.
Anwaltsschreiben im Wortlaut
Schreiben „Da die Nennung des Namens und die Tätigkeit als gewerblicher Vermieter unseres Mandanten im Zusammenhang mit dem Begriff „Entmietung“ der nationalsozialistischen Diktion entspricht, begründen sie zumindest den Anfangsverdacht einer üblen Nachrede, einer Verleumdung und einer Beleidigung. ... Erschwerend kommt hinzu, dass die Äußerung bewusst – ausschließlich – im Rahmen der Medienberichterstattung erfolgte, um unseren Mandanten und seine Geschäftstätigkeit in der breiten Öffentlichkeit zu diffamieren, da das Plakat nur zum Zwecke der Veröffentlichung am Haus unseres Mandanten angebracht wurde.“