Noch in der letzten Gemeinderatssitzung 2018 lagen sie sich in den Haaren: Jetzt haben SPD und Grüne ihren Zwist um die Frage beigelegt, wer zuerst die Idee für ein Kurzstreckenticket im Nahverkehr hatte. „Ist ja wohl auch lächerlich, wer jetzt das Erstgeburtsrecht für sich reklamiert“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Rivoir. Und Michael Joukov-Schwelling fügt an: „Wir haben das Rad auch nicht neu erfunden.“
Aber der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen ist schon stolz, wieder Bewegung in die etwas verfahrene Sache gebracht und noch eine dritte Partei auf das Kurzstreckenticket eingeschworen zu haben: die CDU. Denn Nachforschungen der Fraktionen haben ergeben, dass auch die Christdemokraten in früheren Jahren schon für ein solches Ticket plädiert hatten.
Mit vereinter Kraft und vor allem der Mehrheit der Stimmen am Ratstisch setzen sich die drei Fraktionen nun ganz offensiv dafür ein, in Ulm eine Kurzsteckenfahrkarte einzuführen – und das so schnell wie möglich. Das Thema soll, so heißt es in einem fraktionsübergreifenden Antrag von Grünen, SPD und CDU, in der Gemeinderatssitzung am 20. Februar auf den Tisch kommen – so der Ältestenrat der Stadt Ulm, der sich eine Woche zuvor mit dem Thema beschäftigt, den Antrag durchwinkt.

Ein Ticket für einen Euro

„Wir müssen die Dynamik jetzt nutzen, die Straßenbahn ist das Thema“, sagt Rivoir. Ihm will nicht in die Kopf, dass eine Fahrt über drei Stationen so viel kostet wie eine Fahrt von Böfingen nach Wiblingen oder neuerdings vom Kuhberg zum Eselsberg. Zum Vergleich: Die Linie 2 ist von Endhaltestelle zu Endhaltestelle 9,3 Kilometer lang, die drei Stationen vom Hauptbahnhof zum Willy-Brandt-Platz messen ungefähr 1,3 Kilometer. Rivoirs klare Ansage: Drei Stationen sollten einen Euro kosten – mehr nicht. Dramatische Verluste erwartet er nicht, im Gegenteil: „Wir gewinnen zusätzliche Fahrgäste.“
Davon ist auch Joukov-Schwelling überzeugt. Ein solches Ticket sei ein Anreiz, mehr Menschen zum Umsteigen auf Bus und Tram zu bewegen. Er bezeichnet das Kurzstreckenticket als „Einstiegsangebot“ für Menschen, die spontan sagen: Jetzt fahr ich schnell mal. Sei es, weil es regnet oder jemand weniger mobil, sprich: schlecht zu Fuß oder mit dem Rollator unterwegs ist.
„Es spricht viel für ein Kurzstreckenticket, die lange Strecke ist fast geschenkt“, sagt Thomas Kienle. Als SWU-Aufsichtsrat hat der CDU-Fraktionsvorsitzende allerdings auch die Einnahmeausfälle im Blick, die laut Berechnungen der Donau-Iller-Nahverkehrsgesellschaft (Ding) rund 350.000 Euro betragen. Ding-Pressesprecher Markus Zimmermann sieht sich außerstande, Auskunft darüber zu geben, ob die Zahl aus dem Jahr 2014 noch belastbar und ob überhaupt ein Kurzstreckenfahrschein möglich ist.
Joukov-Schwelling zeigt sich indes optimistisch, dass der Antrag durchgeht – zumal die drei Fraktionen über 26 von 40 Stimmen verfügen. Selbst wenn FWG, FDP und Linke dagegen stimmten, könne „davon ausgegangen werden, dass eine Mehrheit für die Einführung des Kurzstreckentickets vorliegt“. Doch selbst die Freien Wähler und die Liberalen schwenken auf das Kurzstreckenticket ein. „Ich begreife gar nicht, warum wir das bisher nicht hinbekommen haben“, fragt sich Helga Malischewski. „Wir wollen das auch schon lange.“ Und auch Ralf Milde, der für die FDP im Ulmer Gemeinderat sitzt, ist für die Einführung des Kurzfahrscheins. „Das macht einfach Sinn.“

OB Czisch: Keine Sparangebote

Bleibt der OB. Gunter Czisch lässt deutlich durchblicken, dass er recht wenig von der Einführung eines Kurzstreckentickets hält. „Die Preisspirale nach unten bringt keine Mitnahmeeffekte mit sich. Wir kommen nicht weiter mit Sparangeboten“, sagt Czisch. Sprich: Die Stadt verzichtet mit dem Kurzstreckenticket auf hohe Einnahmen, das Angebot bringt aber im Gegenzug keine signifikante Erhöhung der Fahrgastzahlen mit sich. Der OB liebäugelt mit einem anderen Bezahlsystem. „Wir müssen zu einem Ticket kommen, das die gefahrenen Stationen abrechnet. Die Digitalisierung gibt diese Möglichkeit.“

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Was die Fraktionen wollen

Kombiticket Für die Einführung eines so genannten Kombitickets, bei dem in der Eintrittskarte für Veranstaltungen die Nutzung des Nahverkehrs enthalten ist – etwa fürs Theater, für Fußballspiele und Konzerte –, sprechen sich alle Parteien aus. Ein solches Angebot gehöre zu einer modernen Stadt, sagt FWG-Frak­tionsgeschäftsführerin Helga Malischewski, schränkt aber auch ein: „Ein Kombiticket muss für die Veranstalter finanzierbar sein.“
365-Euro-Ticket Die Grünen plädieren eigentlich für ein Jahresticket, das wie in Wien 365 Euro kostet. OB Gunter Czisch winkt ab, „laut einer Untersuchung bringt dieses Ticket nicht die erhofften Effekte mit sich“.