Wie interagieren Tiere und Pflanzen? Und welche Rolle spielen dabei chemische Signale? Das ist eines der Hauptthemen, die Prof. Manfred Ayasse und seine Forschungsgruppe seit Jahren umtreibt. Dass diese Interaktion immer schon stattfand und weiter stattfindet, ist in der Wissenschaftswelt mittlerweile akzeptiert, sagt der Leiter der Arbeitsgruppe Chemische Ökologie am Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik der Uni Ulm. „Chemische Botenstoffe spielen dabei eine große Rolle.“ Nehmen wir nur mal Bienen oder Falter, sagt Ayasse. Sie werden als Bestäuber von Blütenpflanzen über Duft und Farbsignale angelockt. Das ist die eine Form von Tier-Pflanze-Interaktion. Die andere: Tiere dienen als Samenausbreiter. Sie fressen die Früchte der Pflanzen, der Samen wird nicht verdaut und im Kot wieder abgegeben. Eine neue Pflanze kann wachsen.
Pflanzen haben sich im Lauf der Zeit spezialisiert: auf eben bestimmte Tiere als Vektoren. Denn nichts wäre sinnloser, als wenn der Samen von Tieren gefressen, zerkaut und völlig verdaut würde. „Was nützen Fledermäuse, die die Früchte zwar fressen, aber vom Samen nichts mehr übrig lassen. Daran haben die Pflanzen kein Interesse.“ Auf der anderen Seite haben sich aber auch die Tiere spezialisiert, um möglichst effizient Nahrung zu sammeln. Beim Wiesensalbei beispielsweise kommen nur größere, kräftige Bienen, wie zum Beispiel Hummeln zum Zug, die über einen langen Rüssel verfügen, um an den Nektar zu gelangen. „Biologen sprechen von Koevolution. Das heißt: Beide Partner haben bestimmte Merkmale entwickelt und sich einander angepasst“, sagt Ayasse.
Wo sich diese Art der Koevolution beobachten lässt: auf Madagaskar. Die Insel vor der afrikanischen Ostküste bietet ideale Voraussetzungen – nicht nur, weil die Pflanzenwelt einzigartig ist, sondern weil dort auch mit den Lemuren eine Primatengruppe lebt, die sonst nirgends zu finden ist. Lemuren sind teils farbenblind, ein Manko, das sie über ihr hervorragendes Riechorgan ausgleichen. Dr. Omer Nevo von Ayasses Forschungsgruppe hat auf Madagaskar untersucht, ob sich die Pflanzen den Bedürfnissen der Tiere angepasst haben und wie diese Interaktion funktioniert. Sprich: Wie sind die chemischen Botenstoffe beschaffen? Welche Düfte verströmen die reifen Früchte, um die Primaten anzulocken? Und: Nevo hat auch klassische Biologenarbeit gemacht und die Lemuren im Feld beobachtet – wie sie an den Früchten schnüffeln, reinbeißen und fressen.
430 reife und ebenso viele unreife Früchte von 30 Pflanzenarten hat der Post-Doktorand gesammelt, 19 Arten setzen auf Lemuren als Samenverbreiter, 11 Arten auf Vögel. Die chemische Analyse ergab, dass bestimmte chemische Komponenten nur bei reifen Früchten vorkommen, die Lemuren als Samenverbreiter nutzen. 389 verschiedene Duftstoffe hat Nevo detektiert, der zurzeit wieder auf Madagaskar ist, um seine Studien zu vertiefen. „Aber nicht alle diese Duftstoffe sollen Lemuren anlocken“, erklärt Ayasse. Duftstoffe haben oft auch einen anderen Zweck, sie schützen Früchte vor dem Verfall durch Mikroorganismen.

Essbar oder nicht?

Nicht nur die Duftnoten verändern sich mit zunehmendem Reifegrad, auch die Duftmenge nimmt zu. „Insgesamt kommt es im Laufe des Reifeprozesses zu einer starken Veränderung des Duftsignals, was den Lemuren eine Unterscheidung von unreifen und reifen Früchten ermöglicht“, so Dr. Nevo. Sprich: Die Lemuren riechen, ob die Frucht essbar ist oder nicht. Bei Vögeln als Samenverbreiter spielen diese Düfte eine untergeordnete Rolle, Vögel orientieren sich hauptsächlich visuell, zum Beispiel über Farben. Ihr Geruchssinn ist weniger gut entwickelt.
Auch die Beobachtungen im madegassischen Ranomafana-Nationalpark bestätigten die Laboranalysen. Der Ulmer Biologe hatte gemeinsam mit Kollegen der madegassischen Universität Antananarivo, der University of Connecticut und der TU Braunschweig den Lemuren beim Fressen zugesehen. Bei welchen Früchten setzen die Primaten ihren Geruchssinn ein? Das Ergebnis der 530 Beobachtungen: Lemuren erkennen die Früchte, die sie ausbreiten, am Duft und können sie von Früchten, die durch Vögel ausgebreitet werden, unterscheiden“, sagt Ayasse. Der Vorteil für die Lemuren: Sie können sehr schnell eine reife Frucht, eine für sie gute, weil ungiftige Nahrung, identifizieren. Der Vorteil für die Pflanze: Sie hat Fruchtmerkmale entwickelt, um genau die Tiere anzulocken, die ihre Früchte fressen und später den Samen über den Kot ausbreiten.
Die Koevolution – eine klassische Win-win-Situation für beide Partner. Ayasse: „Die Studie, die jüngst in der renommierten Zeitschrift „Science Advances“ publiziert wurde, zeigt das sehr schön.“

Drei Fragen an Prof. Manfred Ayasse:

1 Alle Welt redet von Molekularbiologie. Interessieren sich die Studierenden überhaupt noch für die klassische Biologie?
Natürlich hat die molekulare Biologie in den letzten Jahrzehnten durch die Entwicklung vieler neuer Methoden einen enormen Aufschwung erlebt. Zudem gibt es oft eine enge Zusammenarbeit mit der Medizin und anderen angewandt arbeitenden Bereichen. Die Berufsperspektiven sind innerhalb der Biologie im Bereich der Molekularbiologie sicherlich besser als in vielen anderen Bereichen, wenn man etwa an die Biotechnologie denkt. Trotzdem gibt es viele Studenten, die sich auch nach wie vor für die Fächer innerhalb der Klassischen Biologie interessieren. So wird z.B. der Bereich Biodiversität/Ökologie immer wichtiger in Anbetracht der großen Umweltprobleme, die auf dieser Welt existieren. Auch hier hat sich das Methodenrepertoire stark verändert und es werden auch molekulare Methoden eingesetzt.

2 Ist es unter diesen Voraussetzungen schwierig, Gelder für Forschungsprojekte zu bekommen?
Meine Erfahrung ist, dass Fördermöglichkeiten für sinnvolle und gute Projekte im Bereich der Klassischen Biologie vorhanden sind. Die DFG etwa ist ein potenzieller Drittmittelgeber, aber auch Bundesministerien wie das BMUB/BfN, wenn es um angewandte Projekte im Bereich Umwelt- und Naturschutz geht.  Daneben gibt es auch Förderung durch die Landesbehörden.

3 Warum wird die Arbeit der klassischen Biologie immer wichtiger?
Aufgrund der massiven Probleme durch Umweltverschmutzung, Lebensraumverlust und Klimaveränderung kommt es im Moment zu einem drastischen Artensterben auf unserer Erde. Einhergehend damit ist auch ein Verlust an sogenannten Ökosystemleistungen zu verzeichnen, wie beispielsweise die Bestäubung von Kultur- und Wildpflanzen. Ein  Rückgang von Bestäubern hat für die Menschen im Zusammenhang mit der Lebensmittelproduktion stark negative und auch wirtschaftliche Konsequenzen. Dies ist nur eines von vielen Beispielen. Leider wurde in den letzten Jahrzehnten an den Universitäten die Ausbildung im Bereich der Taxonomie stark zurückgebaut. Als Konsequenz fehlen immer mehr Spezialisten, die in der Lage sind Pflanzen und Tierarten zu erkennen. Barcoding (Bestimmen von Arten mit Hilfe von molekulargenetischen Methoden) ist zwar eine große Hilfe bei der Festlegung von Arten, kann aber Spezialisten nicht ersetzen. Wenn es darum geht, gegen das massive Artensterben, welches im Moment bei den Insekten verzeichnet wird vorzugehen, sind jedoch Taxonomen, Biodiversitätsforscher und Ökologen gefragt, um Schutz- und Förderkonzepte zu erarbeiten.