Fünf Euro kostete der Eintritt zum Vortrag von Dr. Thomas Hardtmuth, Titel: „Medizin im Würgegriff des Profits“. Was dem Arzt und Hochschuldozenten bescheinigte: Im Gegensatz zu den von ihm kritisierten Pharmakonzernen scheint dem Autor Profitmaximierung fern zu liegen.
Genau über dieses Profitstreben referierte Hardtmuth eineinhalb Stunden lang, erläuterte den etwa 50 Besuchern dieser von Volkshochschule und Homöopathischem Verein organisierten Veranstaltung Fakten und Zahlen. Seine These: Unter der Profitgier leiden das Gesundheitssystem in Deutschland und die Patienten.
Die Zuhörer lernten eine Pharmaindustrie kennen, die nach Einschätzung des Mediziners kriminelle Dimensionen erreicht hat, und ein Gesundheitssystem, in dem Krankheitsbehandlungen „quasi verkauft“ werden. Die Auswirkungen seien fatal. Patienten würden inzwischen nach mehr oder weniger lukrativen Krankheitsbildern selektiert, Medikamente in einer solchen Vielfalt verordnet, dass die Wirkung des einzelnen Präparats nicht mehr kalkulierbar sei.
Die europäische Bevölkerung sei übermedikamentiert, sagte Hardtmuth. „Es mag sich für Sie dubios anhören, und wenn man das äußert, gerät man schnell in den Verdacht, ein Verschwörungstheoretiker zu sein.“ Der Referent zitierte aus diesem Grund renommierte Gleichgesinnte. Etwa den dänischen Medizinforscher Dr. Peter Christian Götzsche, der die wirtschaftlichen und moralischen Ziele der Pharmaindustrie in Frage stelle, oder Dr. Marcia Angell, die das Fehlverhalten der Pharmaindustrie anprangere, deren Forschungen anzweifle – und das im „Deutschen Ärzteblatt“.
Um nachvollziehen zu können, wie Pharma-Konzerne ihre wirtschaftliche und politische Machtposition erlangen konnten, verpasste Hardtmuth seinen Zuhörern einen Crashkurs in Sachen Finanzmarktentwicklung seit den 1970er Jahren. Er führte politische Entscheidungen an, die das enorme Wachstum börsenorientierter Konzerne erst ermöglicht hätten. Um die Profite zu steigern, sei in den 70er Jahren das „Märchen“ von einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen verbreitet worden: die Basis für die erste Gesundheitsreform im folgenden Jahrzehnt. Hardtmuth: „Krankenkassenbeiträge und Zuzahlungen stiegen, Leistungen wurden gekürzt, Krankenhäuser wurden an private Investoren veräußert.“ Die seien nun kommerzielle Wirtschaftsbetriebe mit der Gesundheit als Geschäft.
Insbesondere der Pharmaindustrie genüge der gesetzliche Rahmen nicht, viele bereicherten sich mit illegalen Geschäften, für die sie durchaus auch verurteilt würden, sagte der Referent. „Aber die verhängten Strafzahlungen liegen weit unter dem, was sie zuvor erwirtschaftet hatten, obendrein sind die schon mit einkalkuliert.“
Doch die einzigen Politiker, die etwas ändern könnten, orientierten sich in der Regel an Forschungen und Studien. Diese sind Hardtmuth zufolge jedoch nur noch bedingt glaubwürdig, da meist die Interessengruppen selbst dahinter steckten.
„Wie können wir etwas ändern“, fragte eine Zuhörerin, „sollen wir dem Gesundheitsminister alle schreiben?“ Ratlosigkeit machte sich breit und Frustration. Eine kurze Diskussion endete mit der Erkenntnis: Dieses System unter dem Einfluss der mächtigen Pharmaindustrie drehe sich im Kreis und sei von einzelnen oder Gruppen nicht umzudrehen. Eine Besucherin kommentierte das mit leisem Zorn in der Stimme: „Es ist zum Kotzen.“
Zur Person
Referent Dr. Thomas Hardtmuth, Jahrgang 1956, ist Arzt und Dozent für Gesundheitswissenschaften und Sozialmedizin an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Seit 1985 arbeitete er an verschiedenen Kliniken im süddeutschen Raum, zuletzt war er Oberarzt für Chirurgie und Thoraxchirurgie am Klinikum Heidenheim. Hardtmuth veröffentlichte 2017 das Buch „Medizin im Würgegriff des Profits - Die Gefährdung der Heilkunst durch die Gesetze der Ökonomie“.