Um die zwischenmenschliche Belastbarkeit auf den Prüfstand zu stellen, reicht oft schon ein gemeinsamer Urlaub. Auf einem Segelboot etwa, wo die Teamfähigkeit in der schweren See aus unterschiedlichen Interessen und Neigungen gern Schlagseite bekommt. Ein noch ganz anderer Gradmesser ist dagegen der Bau eines Eigenheims innerhalb einer Baugemeinschaft. Just daran hat sich eine Gruppe Ulmer gewagt und es nicht bereut – im Gegenteil. Als die designierten Bauherren in Böfingen erstmals auf dem Lettenwald-Grundstück standen, hatten sie mit dem Boden auch Neuland betreten. Zumindest für Ulmer Verhältnisse.
Während dieses Modell andernorts seit Jahren gang und gäbe ist, wie in Freiburg und Tübingen, hat man sich damit in Ulm zumindest auf kommunaler Ebene bislang eher schwer getan, wie Annette Weinreich weiß, die das Projekt angestoßen und betreut hat. „Es gab einen langen Vorlauf, weil wir für Ulm das Rad neu erfunden haben.“ Gleichwohl gab es einige Interessenten, aber auch Erklärungsbedarf, was das Konstrukt als solches und die Modalitäten betraf. „Die Idee fanden viele gut“, erinnert sich Gründungsmitglied Gudrun Schmid. Aber gemeinsam ein Grundstück zu bebauen und alle Interessen unter einen Hut zu bringen „haben sich am Anfang einige nicht vorstellen können“. Manche derer, die deshalb abgesprungen sind, „bedauern heute, dass sie nicht mitgemacht haben“.
Was 2013 mit der Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) begann, hat Gestalt angenommen und ist mittlerweile unübersehbar im Viertel: ein Geschosswohnungsbau mit 13 Wohneinheiten in direkter Nachbarschaft zu den später dazugekommenen fünf Kettenhäusern. Dem voran lagen Jahre der Planung sowie Abstimmung und mit regelmäßigen Treffen der Gesellschafter. Was von den Beteiligten als durchaus vorteilhaft empfunden wurde, wie Denise Niggemeier sagt: „Man lernt seine Nachbarn bereits vorher kennen und weiß, worauf man sich einlässt.“ Unter anderem auch auf unterschiedliche Auffassungen, die es unter einen Hut zu bringen galt.
Eine der Grundvoraussetzungen für die Teilnahme an einem derartigen Kollektivprojekt sei auch die Bereitschaft „Kompromisse einzugehen“, macht Gudrun Schmid deutlich. „Wer immer nur auf seinen Vorteil bedacht ist, wird in einer Baugemeinschaft nicht glücklich.“ Auch wenn das bedeutet, eigene Präferenzen mal hinten anzustellen. Als sie der Fassadengestaltung zugestimmt hätten, sei ihnen auch „kein Zacken aus der Krone gefallen“ erinnert sich Denise Niggemeier. „Dafür haben wir unsere Wunschfenster bekommen.“
Wobei die gemeinsame Sache individuellen Gestaltungswünschen für die eigenen vier Wände nicht im Wege steht, zumal genau diese Möglichkeit ein wesentlicher Teil des Konzepts ist. „Das Tolle ist, dass jeder seine Wohnung so planen kann, wie er es möchte“, sagt sie, wobei Bernhard Höhne einschränkt: „Innerhalb der Grenzen der Statik.“ Wovon Annette Weinreich ein Lied singen kann, angesichts der bewältigten statischen Herausforderungen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Grundrisse: „Hier steht keine Wand über der anderen.“ Sehr zur Freude von Nina und Simon Leinmüller, die jetzt über das verfügen, was sie in herkömmlichen Wohnungs-Grundrissen bislang vergeblich gesucht haben: „Wir wollten drei Kinderzimmer mit einem dazugehörigen eigenen Bad.“
Was die Baugemeinschaft zudem eint, ist die Erkenntnis, dass ein derartiges Vorhaben ohne fachkompetente Projektsteuerung, die die Fäden zusammenhält, moderiert, berät und den Baufortgang im Auge behält, nicht möglich ist. „Es steht und fällt mit der Betreuung der Baugemeinschaft.“ Und kommt nicht zuletzt auf eine „belastbare Preiskalkulation“ an, die wegen der unterschiedlichen Gestaltungswünsche erst nach der Planungsphase möglich sei, wie Annette Weinreich sagt. „Der Architekt muss sauber kalkulieren“, macht sie deutlich und lobt in diesem Zusammenhang ihren mit dem Projekt betrauten Berufskollegen Roberto Carnevale ausdrücklich. Sein damals kalkulierter Quadratmeterpreis von 2700 Euro habe auch Jahre später trotz des um 20 Prozent gestiegenen Baupreisindexes gehalten, während der Preis für andere Wohnungen in diesem Gebiet bereits auf 3500 Euro pro Quadratmeter gestiegen sei. Und dabei hätte die Gemeinschaft auch noch „qualitativ viel hochwertiger gebaut.“
In diesem Zusammenhang verwies das Baukollektiv noch auf weitere Einspareffekte. So werde die Grunderwerbssteuer nur für das Grundstück und nicht für die Wohnung fällig, während andere bei einem herkömmlichen Erwerb vom Verkäufer eingepreiste Rendite- und Finanzierungskosten gar nicht anfielen. Was bei dem ein oder anderen Gesellschafter für Überraschung gesorgt habe, wie Nina Leinmüller sagt: „Wir hatten einen Kredit mit einem Puffer aufgenommen und waren in der absurden Situation, am Ende noch Geld übrig zu haben.“ Vor allem habe man volle Kostentransparenz, ergänzt Denise Niggemeier. „Ich weiß, wie für jedes Gewerk kalkuliert wurde und kann in der Schlussrechnung sehen, liege ich drunter oder drüber und kann den Grund erfragen.“
Unterm Strich ziehen die Beteiligten ein rundweg positives Fazit – auch was die zwischenmenschliche Komponente betrifft. Zwar seien während der Projektphase kontroverse Diskussionen nicht ausgeblieben, doch die sachliche Ebene habe man nie verlassen. So redet man auch heute noch miteinander innerhalb der einstigen Baugemeinschaft, die längst zur Nachbarschaft geworden ist.
Projektsteuerung hält die Fäden in der Hand
Projekt Im Rahmen eines 2013 gestarteten Gemeinschaftsprojekts privater Bauherren, die sich zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammengeschlossen haben, sind im Lettenwald ein Geschosswohnungsbau mit 13 individuell gestalteten Wohneinheiten entstanden, mit unterschiedlichen Grundflächen zwischen 65 und 128 Quadratmetern. Rund drei Jahre später wurden gegenüber fünf 138 bis 180 Quadratmeter große Kettenhäuser hoch gezogen. Eine Baugemeinschaft agiert in Eigenregie, jedes Mitglied kann nach eigenem Gutdünken sein Vorhaben individuell gestalten, über die Gemeinschaftsflächen muss sich das Gremium abstimmen. Besitzverhältnisse und jeweilige Grundschuld regelt der Teilungsplan, über den Einsatz von Planern und Handwerkern wird mehrheitlich entschieden. Eine externe Projektsteuerung hält die Fäden zusammen, organisiert den Ablauf, überwacht und koordiniert die Baumaßnahme und fungiert darüber hinaus als Ratgeber und Moderator.