Gegen die Krankenschwester, die an der Ulmer Uni-Kinderklinik fünf Säuglinge mit Morphin in einer Muttermilch-Spritze fast getötet haben soll, besteht „dringender Tatverdacht“. Das wurde am Donnerstagvormittag in einer gemeinsamen Pressekonferenz von der Ulmer Staatsanwaltschaft und dem Polizeipräsidium Ulm bestätigt.
Bei der Pressekonferenz der Universitätsklinik Ulm am Donnerstagnachmittag entschuldigte sich der Leitende Ärztliche Direktor, Udo X. Kaisers, zudem bei den Eltern und Angehörigen der Säuglinge.
Der Fall, der sich am 20. Dezember zugetragen hat, stößt auf bundesweites Interesse. Das Fernsehen übertrug beide Pressekonferenzen live.
Am Vormittag hatten zunächst Ulms Polizeipräsident Bernhard Weber und Oberstaatsanwalt Christof Lehr das Wort. Noch stehe man mit den Ermittlungen „ganz am Anfang“, sagte Lehr, Angaben zu einem Motiv konnte er noch keine machen. Dennoch wurden zu der schrecklichen Geschichte neue Details bekannt.

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Eine junge Krankenschwester der Uniklinik Ulm ist tatverdächtig

Die Verdächtige, laut Lehr eine „junge Frau“ und Deutsche, sitzt seit Mittwoch in der Justizvollzugsanstalt, aufgrund der Schwere der Tat bestehe Fluchtgefahr. Die Frau habe zwar umfassende Angaben gemacht, so Lehr, „sie bestreitet aber die Tat“.

Morphin an Frühchen in Ulm gegeben: Tat passierte in Nachtschicht

Diese Tat hat sich in den frühen Morgenstunden des 20. Dezember zugetragen. Fünf in einem Zimmer in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin untergebrachte Frühgeborene – im Alter zwischen einem Tag und einem Monat – litten plötzlich nahezu gleichzeitig unter lebensbedrohlichen Atemproblemen. Ihr Leben konnte den Angaben nach nur durch das rasche Eingreifen des Krankenhauspersonals gerettet werden. Die Säuglinge sollen nach derzeitiger ärztlicher Einschätzung aber keine Folgenschäden davon tragen.

Vergiftete Frühchen: Anfangs wurde eine Infektion vermutet

Als Ursache für die Atemprobleme wurde zunächst eine Infektion vermutet. Daher wurden das Gesundheitsamt und die Eltern informiert, intern wurden Krankenhaushygiene, Virologie und Klinikleitung eingeschaltet. Nachdem aber bei Urinuntersuchungen eine Virusinfektion ausgeschlossen werden konnte, wurden bei einer speziellen Laboruntersuchung in Urinproben aller fünf Kinder Rückstände von Morphin festgestellt.
Die Polizei Ulm und die Staatsanwaltschaft haben am Donnerstag über den Fall der fünf vergifteten Frühchen an der Ulmer Uniklinik informiert.
Die Polizei Ulm und die Staatsanwaltschaft haben am Donnerstag über den Fall der fünf vergifteten Frühchen an der Ulmer Uniklinik informiert.
© Foto: Moritz Clauß

Uniklinik Ulm stellte Strafanzeige wegen versuchten Totschlags

Da aber mit Gewissheit zwei der Kinder im Rahmen der Notfallversorgung kein Morphin verabreicht worden war, wandte sich die Leitung des Universitätsklinikums Ulm nach Bekanntwerden der Untersuchungsergebnisse am 17. Januar an die Polizei und stellte Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts des versuchten Totschlags.

Frühchen in Ulm: So begründet die Polizei die Dauer der Ermittlungen

Die langen vier Wochen, die seit dem Zwischenfall bis zur Anzeige vergangen waren, erklärt Oberstaatsanwalt Lehr mit den Untersuchungen, die in der Rechtsmedizin der Uni „möglicherweise über den Jahreswechsel einige Zeit in Anspruch genommen haben“.
Auf der Neonatologie der Uniklinik gibt es Morphin, allerdings wird es in einem Tresor verwahrt, und alle Gaben werden in einem Betäubungsmittelbuch festgehalten. Das Morphin wird aus medizinischen Gründen verabreicht, wie Lehr sagt, aber auch für den Entzug bei Frühchen von drogenabhängigen Müttern. Morphin kann oral, intramuskulär oder intravenös gegeben werden, allerdings war keines der fünf Babys an eine Infusion angeschlossen.

Ermittler können Tatzeitraum eingrenzen

Polizei und Staatsanwaltschaft nahmen am 17. Januar die Ermittlungen im Universitätsklinikum auf. Die Ermittlungsgruppe umfasste bis zu 35 Polizeibedienstete, wie Polizeipräsident Weber sagte. Aufgrund der Wirkweise von Morphin – es lähmt das Atemzentrum – konnte der Tatzeitraum auf die frühen Morgenstunden des 20. Dezember eingegrenzt werden.

Spritze mit Muttermilch im Spind einer Schwester gefunden

Diesen Dienstag kam es nun zu Durchsuchungen und Vernehmungen bei allen sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nachtschicht. „Alle haben Angaben gemacht, und alle haben bestritten, Kinder in Gefahr gebracht zu haben“, sagt Lehr. „Hellhörig“ haben die Polizisten aber ein Fund in dem Spind einer Schwester gemacht: eine Spritze mit einer Flüssigkeit – Muttermilch. Lehr: „Das hat in einer Umkleide nichts zu suchen!“

Auch Morphin war in der Spritze enthalten

Nach Untersuchungen des Landeskriminalamts Baden-Württemberg war klar: In der Spritze war Morphin. So ergab sich der Tatverdacht gegen die Schwester. Sie wurde am Mittwoch dem Haftrichter vorgeführt, der erließ Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts der gefährlichen Körperverletzung und des versuchten Totschlags in fünf Fällen.

Morphin soll bei Fütterung der Frühchen verabreicht worden sein

Wahrscheinlich habe die Frau den Kindern das Morphin bei der Fütterung mit der Muttermilch verabreicht. Zum Motiv könne man noch keine Angaben machen, doch könne von „Vorsatz“ ausgehen: Die Frau habe wohl billigend in Kauf genommen, dass die Kinder geschädigt oder sterben könnten, führte der ermittelnde Staatsanwalt Peter Staudenmaier aus. Nach Stand der Ermittlungen weise die Tat keine Mordmerkmale auf, „aber das kann später doch noch in Betracht kommen“.

Vergiftete Babys: Psychologisches Gutachten zur Tatverdächtigen angefordert

Es sei bereits ein Sachverständiger damit beauftragt worden, den psychischen Zustand der Frau zu begutachten, informierte Staudenmaier. Zur Identität der Tatverdächtigen wurden keine Angaben gemacht, außer dass sie „jung“ ist, deutsch und polizeilich bislang nicht aufgefallen. Natürlich werde auch untersucht, ob nicht ein Anderer der Frau die Spritze in den Spind untergeschoben haben könnte. Die eingehende Untersuchung der Spritze und der Muttermilch werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen, sagte Lehr.
Die ermittelnden Behörden werden nun auch gründlich prüfen, ob es an der Ulmer Uni-Kinderklinik ähnliche frühere Verdachtsfälle und Auffälligkeiten gab.

Auch Universitätsklinikum Ulm gab Pressekonferenz

Am Donnerstagnachmittag äußerte sich Udo X. Kaisers, Leitender Ärztlicher Direktor der Ulmer Uniklinik, zu dem Vorfällen.
Am Donnerstagnachmittag äußerte sich Udo X. Kaisers, Leitender Ärztlicher Direktor der Ulmer Uniklinik, zu dem Vorfällen.
© Foto: privat
Vertreter der Universitätsklinik Ulm äußerten sich am Donnerstagnachmittag zum Sachverhalt. Alle Infos findet ihr hier:

Update vom 3.2.2020: Tatverdächtige Krankenschwester aus U-Haft entlassen

Am Montag, 3.2.2020, wurde bekannt, dass die bis dahin tatverdächtige Krankenschwester aus der Untersuchungshaft entöassem worden sein soll.