Es ist eines der traurigsten Fotos unserer Zeit: Ein Eisbär sitzt auf einer Scholle, weit und breit um ihn herum ist nur Wasser. Ein Bild, das die schmelzenden Polkappen aufgrund der Erderwärmung emotional verdeutlicht. „Trotzdem“, sagt der selbstständige Unternehmer Helmut Gaus, „ist das zu weit weg von uns. Wir identifizieren uns nicht damit.“ Der vergangene Sommer und die Trockenheit, die auf Feldern, Wald und im Garten sichtbare Schäden angerichtet hat, hat seiner Meinung nach „viele hier aufgeweckt“. Es sei deutlich geworden, wie sehr die Zeit für einen klimapolitischen Wandel dränge.

Druck von unten

Aufgewacht sein heißt aber noch lange nicht, dass man auch handelt. Dass beispielsweise Bürger Druck von unten auf die Regierungen ausüben. So wie in den 80er Jahren beim Kampf gegen die Atomkraft, gegen die Stationierung der Langstreckenraketen. An beides erinnert sich der 55-jährige Vater zweier erwachsener Kinder noch gut. „Es waren immer überwiegend junge Menschen, die gegen das etablierte Denken protestierten und ein Umdenken forderten“, sagt er. Gaus hat darauf gewartet, dass das endlich wieder passiert.
Tut es auch: Seit vergangenem Dezember haben sich Schüler in Deutschland der globalen Schüler- und Studenteninitiative „Fridays for Future“ (Freitags für die Zukunft) angeschlossen, die sich für den Klimaschutz einsetzt. Die Anhänger gehen jeden Freitag auf die Straße und fordern sofortige Maßnahmen gegen die Klimakrise. Er habe die Idee und deren Dynamik vom ersten Tag an gut gefunden, sagt Gaus. „Wir müssen etwas tun und die wenige Zeit, die noch bleibt, nutzen.“ Die Protestbewegung sei ein Ventil für die Ängste und den Unmut der Menschen. „Das Unwohlsein wächst.“
Auch er wolle seinen Teil dazu beitragen. Deshalb werden der 55-Jährige und rund 20 andere Erwachsene eine regionale Gruppe gründen, die sich „Parents for Future“ (Eltern für die Zukunft) nennt. „Die gibt es bereits in Baden-Württemberg und anderswo“, sagt er. Ziel der Gruppe sei nicht „den Jugendlichen zu sagen, wo es lang geht  oder auf irgendeine Art in Konkurrenz zu treten.“ Viel mehr wollen die Eltern die Jugendlichen unterstützen.
Etwa bei einer Lösung des Themas Schulschwänzen. Dass die Demonstrationen freitags während der Unterrichts- und Vorlesungszeit stattfinden, wird nicht nur von vielen kritisiert – es gibt schlichtweg keine einheitliche Regelung dafür, wie die Schulen mit dem Thema umgehen können. „Manche integrieren die Streiks in den Unterricht, manche schreiben extra Klassenarbeiten, manche sprechen Schulverweise aus“, weiß der 55-Jährige. Es gebe die Schulpflicht, aber auch die Versammlungsfreiheit – „ein Dilemma für Schulleiter“.

Petition auf dem Weg

Eine der ersten Aktionen der landesweiten Gruppe „Parents for Future“, die von der Ulmer Gruppe unterstützt wird, ist ein offener Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann, in dem sie von ihm eine klare Positionierung einfordert. Einerseits lobe die Regierung den Einsatz der Schüler. Andererseits würden aufgrund des Eingreifens der Regierung Schüler an allen Schulen in Baden-Württemberg nun als Schulschwänzende behandelt und sanktioniert. Die Schulen sollten stattdessen selbst entscheiden, wie sie mit den demonstrierenden Schülern umgehen, heißt es in dem Schreiben, das auch eine Petition ist.
Die Kritik vieler dran, dass die Demonstrationen während des Unterrichts stattfinden, nimmt Gaus zur Kenntnis. Allerdings: „Ich halte das Verhalten der Jugend für angemessen und notwendig.“ Leider tendiere die Politik dazu, das Problem der Klimaerwärmung auszusitzen und die Chance zu einer Änderung zu verpassen. Er könne das nicht nachvollziehen: „Es ist bald zu spät.“
Deutschland verschlafe zudem die Chance, von einer veränderten Klimapolitik zu profitieren. „Wir haben das technische Know-How, warum nutzen wir es nicht?“, fragt der Geschäftsführer einer Firma, die regionalen Ökostrom verkauft. Offenbar habe niemand mehr Mut in der Politik.

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Fridays for Future: Morgen weltweit Demos

Global: „Wir streiken bis Ihr handelt!“ Unter diesem Motto wollen am morgigen Freitag weltweit in 40 Ländern Schüler und Studenten für eine Umkehr in der Klimapolitik streiken. Organisiert wird der Protest über die sozialen Netzwerke. In Deutschland gibt es 155 Ortsgruppen von „Fridays for Future“. Gestreikt werden soll in 120 Städten. In Ulm findet die Veranstaltung um 12 Uhr auf dem Marktplatz statt.
Eltern: Laut Helmut Gaus werden die „Parents for Future“ mit Plakaten vor Ort sein. Kommende Woche will sich die Gruppe offiziell gründen. Bei Interesse mehr Infos unter: parentsforfuture.de/regionalgruppen
Solidarität Die Umweltgewerkschaft Ulm unterstützt die Fridays for Future Bewegung, heißt es in einer Pressemitteilung. „Während immer neue wissenschaftliche Erkenntnisse die beschleunigte Entwicklung zur Klimakatastrophe belegen, bleibt die Bundesregierung bei ihrer Verschleppungstaktik in der Umweltpolitik.“ Als überparteiliche Umweltschutzorganisation halte man es für wichtig, dass „dieser Jugendprotest als Teil der weltweiten kämpferischen Umweltbewegung weiter wächst und sich nicht parteipolitisch vereinnahmen lässt“.