Das Gebiet ragt wie ein Dolch in die freie Landschaft rein“: Bezirksgemeinderat Matthias Wais (CDU) brachte auf den Punkt, was auch vielen anderen Sondelfingern offenbar Schmerzen bereitet: Die Tatsache, dass im nächsten Flächennutzungsplan 18,8 Hektar für Gewerbe im Bereich Spießhart vorgesehen sind. Noch ist der neue Flächennutzungsplan in der Entstehungsphase, auf Widerwillen stößt das Entwicklungskonzept, das im Reutlinger Rathaus erarbeitet wurde, aber jetzt schon. Das Vorhaben der Stadtverwaltung, Teile des künftigen Wohngebietes Bergäcker-Halden aus der Planung herauszunehmen, macht die Sache auch nicht gerade besser. Im Gegenteil: Mancher Grundstückseigentümer, der sich im Besitz von Bauerwartungsland wähnte, ist bitter enttäuscht. Entsprechend war die Stimmung am Montagabend im evangelischen Gemeindesaal, als Ulrich Wurster vom Amt für Stadtentwicklung die Sondelfinger über das neue Konzept informierte.
Bezirksgemeinderat-Sitzung: Immenses Interesse der Bürger
Das Interesse der Bürger an der Sitzung des Bezirksgemeinderats war immens. Über 120 Sondelfinger füllten nicht nur den Gemeindesaal, sondern auch Teile des Foyers als Wurster zusammen mit der Pfullinger Landschaftsplanerin Prof. Waltraud Pustal und dem Tübinger Umweltingenieur Dr. Frank Dröscher die Pläne für die Sondelfinger Gemarkung vorstellte – und das zwar vor großem Publikum, aber einem leicht dezimierten Bezirks-Gremium. Denn drei Räte mussten bei dem Tagesordnungspunkt wegen Befangenheit in die Zuhörerreihen abwandern – darunter auch Bezirksbürgermeister Mike Schenk. An seiner Stelle leitete Eva Meinhardt-Müller (aLSo) die Sitzung und stellte eines gleich vorweg klar: „Dass die drei Ratsmitglieder den Tisch verlassen haben, hat nichts damit zu tun, dass sie private Interessen verfolgen“, widersprach sie einer Flugblattaktion, bei der Sondelfinger im Jahr 2018 genau das unterstellt hatten. Schon damals ging es um Bergäcker-Halden, für das bereits parallel zur Flächennutzungsplanung ein weiteres Verfahren läuft, das auf einen Bebauungsplan abzielt.
Bergäcker-Halden: Mittelteil fällt weg
Bergäcker-Halden, das geographisch eine Art Lückenschluss in Richtung Orschel-Hagen bildet, beschäftigt die Sondelfinger also schon sein längerem – und soll nun deutlich kleiner werden. Der gesamte Mittelteil wird wohl aus der Flächenplanung verschwinden, es bleiben 1,9 Hektar im Osten und 3,5 Hektar im Westen. Bei den nur noch 5,4 Hektar will man es laut Ulrich Wurster belassen, weil das Landratsamt und das Regierungspräsidium sich kritisch geäußert haben. Beide hatten beim mittleren Bereich von Bergäcker-Halden Bedenken wegen des Artenschutzes und der klimatischen Folgen. Warum das so ist, erläuterte Waltraud Pustal am Montag den Sondelfingern. In dem Sektor befinden sich nämlich FFH-Flachland-Mähwiesen der Kategorie A. Streng geschützte und damit planungsrelevante Käfer und Fledermäuse hat Pustal zwar auf den Flächen nicht gefunden, dafür aber 14 Brutvogelarten und ein Biotop. Weil die FFH-Wiesen aus ökologischer Sicht extrem wertvoll sind, empfiehlt sie, Teile von Bergäcker-Halden ruhen zu lassen.
Extrem wertvoll ist der Bereich allerdings nicht nur für die Natur, sondern auch für die Grundstücksbesitzer. „Das ist Bauerwartungsland. Was sagen Sie den Leuten, deren Grundstücke Sie jetzt aus der Planung gestrichen haben?“, wollte denn auch Ratsmitglied Matthias Wais von Stadtplaner Wurster wissen. Eva Meinhardt-Müller gab Wurster indes mit auf den Weg, dass Sondelfingen das Bedürfnis habe, zu wachsen und man von den einst 24 Hektar, die für Wohnbebauung in Frage gekommen sind, bereits einen ordentlichen Batzen abgegeben habe. Andreas Vogelwaid (aLSo) ärgerte sich vor allem darüber, „dass wir diese Fläche seit 15 Jahren entwickeln und sie uns jetzt klein gemacht wird“. Und Manfred Besch (ebenfalls aLSo) machte sich Gedanken darüber, „wo die Bürger in 30 oder 40 Jahren bauen sollen, wenn die Fläche nicht komplett entwickelt wird.“
Stadt Reutlingen will Gewerbegebiet vergrößern
Während die Stadt Reutlingen Bergäcker-Halden schrumpfen lassen will, plant sie beim Gewerbegebiet fünf Hektar mehr ein. Die 18,8 Hektar, bei denen man nun gelandet ist, „sind eine massive Vergrößerung. Ich finde das untragbar, und das Gebiet ist viel zu nah am Wald“, ärgerte sich Regine Vohrer (FWV). Erna Hummel, ebenfalls FWV, sieht’s ähnlich. „Ich will das nicht. Ich finde das Gebiet furchtbar“, sagte sie mit Blick auf eine mögliche Gewerbeansiedlung – die übrigens gar nicht so leicht zu bewerkstelligen wäre in dem Bereich, der parallel zur B 28 in Richtung Metzingen liegt. Laut Ingenieur Dröscher sind dort wegen der klimatischen Auswirkungen im Westteil „emissionsträchtige Betriebe nämlich nur bedingt ansiedelbar. „Wir sollten dort Grünflächen vorsehen und die Kalt- und Frischluftschneise erhalten“, legte er der Stadt Reutlingen ans Herz. Deren Vertreter an dem Abend musste indes eingestehen, dass eine Erschließung, die von der Bundesstraße her kommen müsse, extrem teuer werden würde.
Nach fast dreistündiger Sitzung waren die Bürger noch längst nicht geplättet. Im Anschluss diskutierten sie zwischen den Info-Stellwänden noch heftig und viele notierten auf den ausgelegten Zetteln auch ihre Bedenken gegen die Planungen. „Keine weitere Erschließung von Bauland“ war da genauso zu lesen wie die Frage, wer sich für die Natur einsetzt, „wenn nicht wir?“
Freilich ist beim neuen Flächennutzungsplan für den Nachbarschaftsverband, zu dem neben Reutlingen unter anderem auch Tübingen, Eningen und Pfullingen gehören, noch nicht das letzte Wörtchen gesprochen. Wenn alle Bezirksgemeinden gehört worden sind, schlägt das Thema wieder im Reutlinger Gemeinderat auf und eine erneute Beteiligung der Öffentlichkeit und der Behörden folgt.