Die Einschläge kommen näher. Die Gefahr, obdachlos zu werden, ist gestiegen und hat die Mitte der Gesellschaft erreicht. „Es ist beängstigend, wie schnell es gehen kann“, sagt die Neu-Ulmer Diakonie-Vorsitzende Corinna Deininger. Seit fünf Jahren steht die ökumenische Wohnungslosenhilfe, getragen von Diakonie und Caritas, Menschen mit Rat und Tat zur Seite, die bereits auf der Straße gelandet sind oder kurz davor stehen. Es sind nicht mehr nur die klischeebehafteten Gescheiterten, Suchtkranken und Ausgestiegenen, die vornehmlich im weihnachtlichen Licht aus dem Schatten treten und zur Kenntnis genommen werden.
Zum freien Fall aus der Mittelschicht fehle dieser Tage nicht mehr viel. Sobald ein Einkommen wegfällt, wird’s eng, was besonders für Alleinerziehende gilt. „Selbstständige fallen sofort in Hartz IV, das geht relativ schnell“, sagte Corinna Deininger in einer Diskussionsrunde zum fünfjährigen Bestehen der Beratungsstelle. Deininger weiß auch von Menschen, die in Ermangelung bezahlbarer Wohnungen teure angemietet haben, die sie sich nicht leisten können.
Lage in Neu-Ulm ist brisant
Wenn es keine Möglichkeit gibt, stärker kommunalen Wohnraum zu schaffen, fürchtet der stellvertretende Neu-Ulmer Landrat Herbert Pressl für die Zukunft „noch mehr Probleme“. Er hofft auch auf die Unterstützung „sozial denkender Bauträger“. Was dem ehrenamtlichen Kirchenorganisten besonders sauer aufstößt, ist die Meldung über den angeblich geplanten Verkauf der Vöhringer Wohnblöcke des St. Ulrichswerks der Diözese Augsburg.
Wie brisant die Lage ist, bekommt die Stadtverwaltung Neu-Ulm ständig vor Augen geführt. „Sie glauben nicht, wie viel Briefe wir monatlich bekommen“, sagte Oberbürgermeister Gerold Noerenberg angesichts der „langen Wartelisten mit Dringlichkeitsfällen“. Mittlerweile habe die Stadt 40 Wohnungen für Familien mit Kindern angemietet, die ansonsten auf der Straße stehen würden. Allein, „der Mietmarkt ist leergefegt“.
Und Neubauvorhaben stehen einem „limitierenden Faktor“ gegenüber: Grund und Boden. So entwickele sich die Attraktivität Neu-Ulms allmählich zum Fluch, der jährliche Zuwachs von 1000 Neubürgern „ist ein riesiges Problem“. Dabei baut die Stadt pro Jahr im Schnitt 100 Sozialwohnungen, stoße damit aber auch an Grenzen der Machbarkeit.
Abhilfe könnten, so Noerenberg, private Investoren schaffen – sofern die Rahmenbedingungen für einen attraktiven Mitteleinsatz geschaffen würden, damit sich eine Investition auch lohne. Die Mietpreisbremse sei dabei eher hinderlich. Der Neu-Ulmer Oberbürgermeister sieht den Gesetzgeber in der Pflicht: „Wenn wir ein Finanzierungsmodell mit einer Rendite-Chance finden, wird auch gebaut werden. Aber ohne staatliche Förderung kriegen wir keinen sozialen Wohnungsbau hin.“
Bauen ist teuer geworden
Angesichts der Rahmenbedingungen macht Volker Munk indessen wenig Hoffnung. Abgesehen davon, dass in früheren Jahren keine „Vorratspolitik“ in Sachen Grundstückserwerb betrieben worden sei, sorgt sich der Bauträger des immensen Kostendrucks wegen: „Bauen ist teuer geworden.“ Die Gemengelage aus energetischen und Sicherheitsvorschriften, gestiegener Grunderwerbssteuer und Architektenhonorare, teuren Grundstücken und ausgebuchten Handwerkern, die die Preise diktierten, habe dazu geführt.
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Beratung für Mieter und Vermieter
Prävention Mietschulden, gekündigter Mietvertrag, Räumungsklage oder sonstige Probleme mit der Wohnung: Die ökumenische Beratungsstelle für Wohnraumerhalt berät Menschen, die in der Stadt und im Landkreis Neu-Ulm von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Ziel ist es, den Wohnraum zu erhalten und Obdachlosigkeit zu verhindern. Das Angebot richtet sich ausdrücklich auch an Vermieter, die angesichts säumiger Mieter über eine Kündigung oder Räumungsklage nachdenken.
Kontakt Die Mitarbeiter der Beratungsstelle sind erreichbar unter [email protected], Tel. (0731)704 78 42 (Schwerpunkt Neu-Ulm); [email protected], Tel. (07307) 945 41 47 (Senden, Weißenhorn, Vöhringen); erwi[email protected], Tel. (0731) 970 95 70 (Illertissen).