Handwerker und Bauarbeiter, die nachts bei Würth in der 24-Stunden-Filiale alleine einkaufen, ohne dass Verkaufspersonal zugegen ist, sind so ehrlich und seriös wie die Kunden in anderen Filialen auch: Es wird schon mal etwas gestohlen – aber nicht mehr als im Normalbetrieb. Das zeigte sich während des Pilotlaufs des neuen Handwerker-Baumarkts in Vöhringen, wo eine App reicht, um Zugang zu bekommen und der Kunde die Ware selbst scannt.
Ein überaus anständiger Kunde wollte selbst die Apfelschorle bezahlen, die zur Selbstbedienung eigentlich kostenfrei bereitsteht. Der Scanner streikte, er nahm die Flasche nicht an, was wiederum Alarm beim Werkschutz auslöste. Der kam mitten in der Nacht und klärte diese ungewöhnliche Funktionsstörung.
Den Ort Vöhringen im Illertal hatte das Unternehmen für sein neues Konzept ganz bewusst gewählt. Man hatte seitens der Verantwortlichen ernsthaft befürchtet, dass Diebstahl ein großes Problem sein könnte. Würth ging deshalb mit seinem 24-Stunden-Projekt zuerst „in eine Region, wo wir wenig Sorgen haben mussten“, sagt Matthias Glaser, der Leiter für den Bereich Niederlassungsexpansion.
In großstädtisch geprägten Gegenden könnte das Diebstahlrisiko weit höher sein. Ob das zutrifft, wird sich zeigen: Dieses Jahr noch eröffnet Würth zwei weitere 24-Stunden-Shops, im Großraum Stuttgart. Glaser sagt: „Wir geben weiter Gas.“ Soll heißen: 2019 sind 30 bis 50 Umbauten und neue Standorte geplant.
24-Stunden-Geschäft als Zukunftsmodell
An der einen oder anderen Schraube des neuen Einkaufsformats wird – im übertragenen Sinne – noch gedreht: So stellte sich heraus, dass es zu still ist in so einem Laden. Keine Geräusche. Keine Stimmen. Das fühlt sich eigenartig an, lautete das Feedback von Kunden. Würth reagiert und wird dort nachts mit Musik beschallen.
Das Warenangebot ist beschränkt, was zum einen mit gesetzlichen Vorschriften zusammenhängt. So dürfen einige Chemikalien nicht ohne Beratung verkauft werden. Zum anderen hat das mit der Größe der Artikel zu tun: Eine Schubkarre passt schlicht nicht durch den Scanner. Aber manche Waren haben noch keinen Code, oder er befindet sich an einer unlesbaren Stelle – und das lässt sich ändern. Künftig sollen mehr Produkte verfügbar sein.
Das Verkaufskonzept ist Teil der Multi-Kanal-Strategie des Werkzeug-Handels-Konzerns mit Sitz in Künzelsau. Der Spezialist für Montage- und Befestigungsmaterial verkauft seine Produkte nach wie vor in herkömmlichen Läden, über seinen Außendienst und das Internet. Er sieht in dem 24-Stunden-Geschäft ein Zukunftsmodell, das den Trend zur Digitalisierung aufgreift und eine Antwort für den gesamten stationären Einzelhandel formuliert. „Wir haben viele Besucher“, sagt Glaser. Lebensmittelhändler, Drogisten, Vertreter von Baumärkten schauen sich um.
Zwischenbilanz der neuen Filiale
Die Zwischenbilanz nach einem halben Jahr zeigt: Die 24-Stunden-Filiale, in die das Unternehmen einen höheren fünfstelligen Eurobetrag investierte, funktioniert sowohl in wirtschaftlicher als auch in technischer Hinsicht. „Es rechnet sich“, sagt Glaser. Und die Technik habe sich als selbsterklärend erwiesen.
Genutzt wird die nächtliche Einkaufsmöglichkeit hauptsächlich zwischen 17 und 21.30 Uhr und dann wieder ab 4.30 Uhr. Also um sich nach Feierabend oder morgens auf dem Weg zur Baustelle mit Material einzudecken, das ausging oder kaputt ist: Schrauben, Dübel und Bohrer – seltener: Werkzeuge wie Zangen, Hammer, Schieblehren. Es handelt sich ganz überwiegend um Männer, die dort einkaufen. Glaser: „Das Handwerk ist sehr männerdominiert.“ Vereinzelt waren auch Frauen da. Die Zahl der Kunden will das Unternehmen aus Wettbewerbsgründen nicht nennen. Nur soviel: Tagsüber werden 94 Prozent des Umsatzes gemacht, nachts 6 Prozent.
Es zeigte sich außerdem, dass das Einkaufsformat obendrein das Samstagsproblem löst: An diesem Tag sind nämlich die meisten Würth-Filialen geschlossen, weil sich der Normalbetrieb mit Personal nicht lohnt. Auf Kundenseite herrscht allerdings auch an diesem Werktag Bedarf.
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Zugang zum Laden mit Code
Ablauf Die Kunden haben mithilfe eines QR-Codes via Würth-App nachts Zugang zu der Filiale. Am Ende des Einkaufs legen sie ihre Waren auf das Förderband an der Kasse. Der Scanner erkennt die Produkte automatisch. Der Kunde erhält einen Lieferschein. Die Rechnung kommt später zu ihm nach Hause.