Schon vor der Wende bestanden Beziehungen zwischen den evangelischen Kirchengemeinden Zwiefalten/Hayingen und Ohorn in Sachsen. Kurz danach nahmen auch die beiden Kommunen Kontakt zueinander sowie zu Brünn auf. „Als die Mauer 1989 fiel, wurde das wahr, wovon wir jahrzehntelang träumten, aber kaum mehr daran glaubten“, erinnerte sich Hubertus-Jörg Riedlinger, damaliger Bürgermeister von Zwiefalten und Vorsitzender des Geschichtsvereins.
1999 wurde im Zwiefalter La Tessoualle-Park ein Denkmal aufgestellt, das den Gedanken eines vereinigten Europas und die Zusammengehörigkeit der über vierzig Jahre getrennten deutschen Nation symbolisieren soll. Künstlerin Ursula Nollau, deren Mann Christoph damals Pfarrer in Zwiefalten war, hatte das Denkmal entworfen, der Allgäuer Herbert Leichtle fertigte es mit zwei auseinanderragenden Betonstelen, die durch einen Stahlring miteinander verbunden sind, an. Alle drei waren am Samstagnachmittag zur Gedenkfeier gekommen.
Es gibt noch immer einiges zu tun
Vieles sei in den vergangenen 30 Jahren geschafft und erreicht worden, fertig sei man aber noch lange nicht, gab Riedlinger zu bedenken: „Wir müssen darin fortfahren, auf bürgerschaftlicher Ebene zusammenzuwachsen und die Verbindungen zwischen Zwiefalten, Ohorn und Brünn mit vitalem Leben und mit Begegnungen stärken.“ So sei das Denkmal nicht nur eine Erinnerung an die Trennung, sondern auch eine Wegweisung für die Zukunft.
Ursula Nollau, deren Familie durch die Mauer getrennt war, erinnerte sich an die Angst und die Verunsicherung, wenn sie in die DDR gefahren war, aber auch an die Hoffnung, die mit den friedlichen Montagsdemonstrationen aufkam. „Nur mit Gebeten und Kerzen – ganz ohne Gewalt. Was aber wäre gewesen, wenn ein Soldat auch nur einen Schuss abgegeben hätte?“, fragte sie. Für sie sei der Fall der Mauer das „größte politische Ereignis“ ihrer Zeit gewesen, das sie vor dem Fernseher bibbernd in Zwiefalten mit verfolgt habe.
Pfarrer Bodo Dungs aus Brünn in Thüringen wollte nicht vom „Fall der Mauer“ sprechen: „Sie wurde zum Einsturz gebracht“, betonte er. Menschen aus dem Osten ließen alles hinter sich: Wohnung, Beruf, Familie, Freunde und Weggefährten. Sie seien keine Feiglinge gewesen, sondern Menschen mit Mut und großem Verzicht. „So viele Menschen wollten sich nicht mehr ihr Leben von der Staatsmacht vorschreiben lassen und haben mit ihren Demonstrationen Deutschland und die Welt verändert“. Dungs verurteilte all jene, die geschichtsvergessen die DDR-Zeit verharmlosten, er schäme sich für seine Landsleute, die das ewig Gestrige und „die gute alte Zeit“ verherrlichten. „Ich bin voll grenzenloser Dankbarkeit, dass ich diesen historisch einmaligen Prozess miterleben durfte.“
Das gesamte deutsche Volk könne nun in freier Selbstbestimmung, in Einheit und Freiheit leben. Als eine Delegation aus Brünn 1990 zum ersten Mal nach Zwiefalten gekommen sei, habe man Neuland betreten. „Die Menschen waren herzlich, offen und neugierig, die Sprache allerdings wie in einem anderen Land. Wir sahen in aufgeschlossene Gesichter, erfuhren liebevolle Gesten und offene Arme. Viele Begegnungen haben seither trotz der 400 Kilometer langen Entfernung stattgefunden“, so Dungs und appellierte daran, dem vorherrschenden dunklen Zeitgeist ein deutliches Signal von Frieden, Freiheit und Völkerverständigung entgegenzusetzen.
Es darf keine neuen Barrieren geben
„Wir haben nicht vor 30 Jahren die Mauer eingerissen, um heute dabei zuzusehen, wie neue errichtet werden“. Dieter Schölzel aus Ohorn erzählte von seinen Erinnerungen an das Leben in der DDR: „Wir lebten im Tal der Ahnungslosen.“ Die Unzufriedenheit im Osten habe mehrere Ursachen gehabt. „Wir bekamen aufgrund der Mangelwirtschaft vieles nicht, was wir gerne gehabt und auch gebraucht hätten. Wir konnten uns nicht frei bewegen und nicht alles sagen und wir befanden uns in Abhängigkeit vom Staat.“ Es sei nicht zu fassen, dass sich das alles nur durch Kerzen, Reden und in Frieden änderte.
Klaus Käppeler sprach als stellvertretender Bürgermeister von einem der „bewegendsten und schönsten Tage der deutschen Geschichte“. Mittlerweile sei die Euphorie der Normalität gewichen, die rechte Szene mache Angst und entfremde auf ganz neue Art die Nation. Nicht nur im Osten, auch im Westen nehme Staatsverdrossenheit, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu. Jeder müsse nun dazu beitragen, dass das ewig Gestrige in der Minderheit bleibe: „Wehren wir uns gegen die schleichende Vergiftung und die Spaltung der Gesellschaft: Jeder an seinem Platz und in seinem Umfeld“, so Käppeler. Dieses Denkmal in Zwiefalten stehe als Symbol für Einigkeit und Recht und Freiheit, so sei der 9. November ein würdiger Tag: „Ein Tag der Freude, aber auch ein Tag des Gedenkens.“