Bereits Anfang März häuften sich die Zahlen der am Coronavirus Infizierten in Südtirol. Obwohl zahlreiche Familien die Faschingsferien dort verbracht hatten, saßen im Anschluss viele schniefende und hustende Schüler in den süddeutschen Klassenzimmern. Für Daniel Schweizer aus Gomadingen war sofort klar, dass seine Tochter Sarah den Unterricht am Münsinger Gymnasium daher nicht mehr besuchen wird. Die 13-Jährige hat ihre Wurzeln zur Hälfte in China, wo auch deren Großeltern leben. Durch den engen Kontakt mit Oma und Opa erlebten Daniel Schweizer und sein Mädchen quasi hautnah mit, wie sich der Coronavirus Ende vergangenen Jahres in China unaufhaltsam verbreitet hatte. Schulpflicht hin oder her, das Risiko, dass sich die Siebtklässlerin womöglich das Virus einfängt, wollte der besorgte Vater nicht eingehen.
Mein Kind an der Corona-Front
Sauer und enttäuscht darüber, dass das Land vor diesem Hintergrund keine Schulschließungen in Erwägung gezogen hatte, wandte er sich mit einem Schreiben proaktiv an Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann und Gesundheitsminister Manne Lucha. Unter dem Betreff „Mein Kind soll an die Corona-Front“ bat er um eine Stellungnahme und forderte die Umsetzung der Maßnahme. Auf eine Antwort von den Politikern wartet er noch heute. Da Aufgeben nicht zu Schweizers ausgeprägten Stärken zählt, nahm er Kontakt mit Regierungspräsident Klaus Tappeser auf. Eine Reaktion folgte, diese war für den Gomadinger jedoch alles andere als befriedigend: man richte sich nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI). Eben dieser ständige Verweis auf eine übergeordnete Behörde bringt den 44-Jährigen auf die Palme. Schon Otto von Bismarck habe es treffend formuliert: „Mit schlechten Gesetzen und guten Beamten lässt sich immer noch regieren. Bei schlechten Beamten aber helfen uns die besten Gesetze nichts.“ Will heißen, dass gute Beamte ihre Ermessensspielräume klug zu nutzen wissen und selbstständige Entscheidungen treffen. „Wenn die Fürsten und Unterfürsten nicht eigenständig denken und handeln, dann können diese auch durch Algorithmen ersetzt werden“, schimpft Daniel Schweizer. Das Land der Dichter und Denker kann er zumindest nicht mehr erkennen: „Wir werden von Juristen regiert. Ein Jurist kann nur einen Toten bewerten, aber keinen verhindern.“
Herr, schmeiß Hirn ra!
Warum Schweizer so emotional auf dieses Thema reagiert, liegt für ihn klar auf der Hand. Egal, ob es sich um Magen-Darm-Erkrankungen oder eine Bronchitis handelt, die Durchseuchung läuft meist über die Schule oder den Kindergarten, dies wisse jede Mutter und jeder Vater. Während der Wintersaison 2018/2019 wurden 5,2 Millionen Übernachtungen von Gästen aus Deutschland gezählt und vier Millionen Übernachtungen von italienischen Touristen. „Geht man von ähnlichen Verhältnissen aus, reichen die Kenntnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung aus der fünften Klasse, um die entsprechenden Rückschlüsse zu ziehen“, so der ängstliche Vater. „In solchen Fällen sagte meine Oma stets: Herr, schmeiß Hirn ra!“
China als Vorbild
Noch vor zwei Monaten habe Sarah regelmäßig bei ihren Großeltern in Nordostchina und ihrer in Shanghai lebenden Mutter angerufen, um sich nach deren Wohlergehen zu erkundigen. Die Antwort darauf lautete immer: „Unsere Regierung passt auf uns auf.“ Die Bewohner seien über eine Handy-App regelmäßig über die Lage in den Gebieten und Blöcken informiert worden. „Auch die Post war gebrieft. Bevor ein Paket auf dem Tisch abgestellt wurde, ist dieses gründlich desinfiziert worden“, berichtet Daniel Schweizer. Auch das Thema Schule war klar geregelt, diese hatten geschlossen. Der Unterricht fand jedoch trotzdem statt: online. Warum man nicht auch in Deutschland längst digitale Klassenzimmer umgesetzt hat, ist für Schweizer „nicht nachvollziehbar“. Schließlich gäbe es interaktive Whiteboards und die Option, Videokonferenzen auf Handy, Tablet oder Laptop abzuhalten. Damit hätte man auch die Kinder, die sich in Quarantäne befinden, integrieren können. Nun habe sich das Blatt gewendet und die sorgenvollen Anrufe kommen aus China. „Sarah kann ihren Großeltern keine aktiven Aktionen gegen den Coronavirus nennen“, klagt der unruhige Vater.
Was sich der 44-Jährige von den Schulleitungen gewünscht hätte, fasst er so zusammen: „Corona, das ist ein Virus, das keiner kennt. Keiner weiß, was es mit uns macht, mit den Kollegen und Kindern. Da starben Menschen dran, alte und junge! Im Zweifel ist mir ein einziges Leben wichtiger als das Gequatsche meiner Ministerin. Ich mach zu! Ein einziges Kind, ein einziger Kollege geht vor!“
Die dunkle Glaskugel
In die nahe Zukunft blickt er düster. In den kommenden Wochen erwartet Daniel Schweizer eine deutliche Ausbreitung des Virus. „Diese Krise wird zu einer Nabelschau Deutschlands“, orakelt der Gomadinger. „Familie und Freunde aus China reden über ein offenkundiges Versagen. China wurde überrascht und hat gehandelt. Unsere Regierung wusste, was auf uns zukommt und hat nicht gehandelt.“ Als große Verlierer der Geschichte betitelt Schweizer „den machtlosen Gesundheitsminister Jens Spahn und das im Rückspiegel beurteilende, nicht prognostizierende RKI“.