„Ich bin unschuldig, und ich brauche einen Anwalt“. Das wiederholt der Angeklagte zu Beginn der Verhandlung im Landgericht Offenburg immer wieder. Antwort des Vorsitzenden Richters Heinz Walter: „Sie haben zwei Anwälte.“ Mit dieser Diskussion und dem mehrfach vorgetragenen Vorwurf des Angeklagten, er sitze seit fünf Monaten unschuldig in Haft, verging die erste halbe Stunde in der Verhandlung um den Mord an einem Arzt in Offenburg. Das Interesse der Bevölkerung war groß. Im Zuhörersaal saßen unter anderem Patienten des Arztes und Angehörige.

Ohne Warnung zugestochen

Der  27-jährige somalische Flüchtling ist angeklagt, den Arzt, bei dem er selbst in Behandlung war, am 16. August 2018  in seiner Praxis mit 20 Messerstichen getötet zu haben. Staatsanwalt Kai Stoffregen warf dem Mann in der Anklage vor, am Morgen des 16. August die Praxis betreten zu haben und direkt  ins Behandlungszimmer gegangen zu sein. Dort habe der Arzt ein Beratungsgespräch geführt. Er sei ahnungslos hinter dem Schreibtisch gesessen. Der Angeklagte habe „ohne Vorwarnung“ ein Küchenmesser mit 13 Zentimeter langer Klinge aus der Manteltasche gezogen und  zugestochen. Dabei habe er immer wieder gesagt „Was hast Du gemacht?“
Obwohl der Arzt schon schwer verletzt war, habe er noch zur Tür gehen wollen. Doch der Angeklagte habe weiter auf ihn eingestochen. Eine Arzthelferin habe den Angreifer am rechten Arm gezogen und dafür eine drei Zentimeter lange Schnittwunde am Unterkiefer zugefügt bekommen.
20 Mal habe der Angreifer auf den Arzt eingestochen. „Sieben Mal auf den Kopf, 10 Mal in den Hals“, sagte der Staatsanwalt. Dabei seien beide Halsschlagadern sowie die Kehle getroffen worden. Das Messer sei schlussendlich im Bauch stecken geblieben.
Der Angeklagte habe die Praxis blutverschmiert verlassen und dabei über mehrere Straßen eine Blutspur hinterlassen. Der 27-jährige Somalier ist wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung angeklagt.

Angeklagter leider womöglich unter Verfolgungswahn

Der Mann, der von zwei Verteidigern vertreten und von einem Dolmetscher unterstützt wird, machte am Mittwoch zu den Vorwürfen keine Angaben. Richter Heinz Walter forderte ihn mehrfach auf, zu erklären, warum er das getan hat. „Es gibt hier im Saal vermutlich wenig Menschen, die die Tat verstehen und warum Dr. T. sterben musste“, sagte Walter.  In Briefen habe sich der Angeklagte beklagt, er sei krank und brauche einen Arzt. „Sie sind aber nicht zu einem Arzt gegangen.“ Darin liege womöglich der Schlüssel für die Tat.
Die Ermittlungen hatten ergeben, dass der Angeklagte unter einer psychischen Störung, eventuell unter Verfolgungswahn leidet. Der beharrte am Mittwoch darauf, einen Anwalt seines Vertrauens zu bekommen. Mit seinen Verteidigern wolle er nicht zusammenarbeiten, weil die ihm geschickt worden seien. Er wolle sich seinen Anwalt aber selbst aussuchen. Außerdem sei ihm gesagt worden, er müsse nur fünf  Tage in Haft bleiben und nun seien es schon fünf Monate.
In den Zuschauerreihen regte sich Unmut und Unverständnis. Der Angeklagte wirkte verwirrt und zornig. Richter Walter machte dem wirren Hin und Her ein Ende und rief den ersten Zeugen auf, den Bruder des getöteten Arztes. Der beschrieb seinen Bruder als einen Menschen, der sich sehr für Gerechtigkeit eingesetzt habe. „Auch wenn es für ihn selbst von Nachteil war.“ Sein Bruder habe zielstrebig seine Aufgaben erledigt und sich sehr um seine Tochter gekümmert. Der Frau des Arztes gehe es sehr schlecht. Die Tochter sei noch die Stabilste in der Familie. Sie wolle die Mutter unterstützen.
Außerdem kam eine Situation zur Sprache, in der die Frau des Arztes am Telefon bedroht wurde. Eine angebliche Psychiaterin habe von dem Arzt für einen Patienten ein Attest verlangt, damit der nicht abgeschoben werden würde. Die Arztfrau habe das abgelehnt. Die Frau am Telefon habe daraufhin gedroht, sie und ihr Mann hätten die Konsequenzen zu tragen, sollte der Patient abgeschoben werden.

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„Er hatte ein offenes Ohr für jeden.“

Das Interesse zum Prozessauftakt war groß. Sämtliche Plätze waren besetzt, viel warteten draußen. Frühere, langjährige Patienten des getöteten Arztes zeigten sich fassungslos. „Wir hätten das nie für möglich gehalten, weil Dr. T. sehr offen war, für jeden ein offenes Ohr hatte und sich für jeden viel Zeit genommen hat“, sagte eine Frau. „In der Praxis war alles vertreten. Obdachlose, Flüchtlinge, alle, die einen Arzt brauchten, durften zu ihm kommen.“ wal