Die Zahl ihrer Transporte in die Ukraine zählen sie schon gar nicht mehr genau. Knapp 50 werden es seit Kriegsausbruch an Ostern sein, wenn Simon Nowotni und Martin Salzer die nächste Hilfslieferung aus dem Ermstal gen Ukraine bringen. Diese geplante Tour wird etwas heikel, denn Nowotni hat ein Hilferuf aus der Frontregion in der Gegend um Cherson und Mykolajiw erreicht. Seit Monaten seien dort keine Hilfsgüter mehr angekommen, nun werden Stromaggregate und Erste-Hilfe-Material geliefert. „Wir arbeiten mit einer örtlichen Hilfsorganisation zusammen, deren Leute die Gegend gut kennen. Deswegen wird’s schon gut gehen“, sagen Nowotni und Salzer über ihre eigene Gefährdung, die einem schnell sichtbar gemacht wird: Kaum ein Transporter fährt leer wieder zurück, „wir fahren Aggregate hoch und Leichen wieder runter“, berichten Salzer und Nowotni.
Eine Besonderheit der Generatoren-Lieferungen aus dem Ermstal: Jedes Gerät wird über ein Verteilernetz persönlich am späteren Einsatzort abgegeben. „Wir wissen genau, welches Gerät in welcher Schule, in welcher Uni, Kirche oder im Krankenhaus steht.“ So kann nichts aus großen Sammel- und Verteilzentren in dunkle Kanäle versickern.
Gerade erst zurück aus der Ukraine ist Maja Syrovatska. Sie hat einen Transport aus Münsingen in die Region Lwiw begleitet. Sie gehört mit ihrer Tochter Maryna Heinrich zu den treibenden Kräften von „Münsingen hilft“. Die aus dem Ermstal oder aus Münsingen benötigten Hilfsgüter ähneln sich natürlich: Stromaggregate, Medikamente, medizinische Utensilien, Camping-Zubehör vom Zelt über den Schlafsack bis zum Camping-Kocher.
Regale sind wieder gut gefüllt
Mit Blick auf Lebensmittel berichten die Helfer, dass es in den Geschäften in der Ukraine inzwischen quasi wieder alles zu kaufen gibt. Sie werden also nicht mehr aus Deutschland in die Ukraine gefahren, sondern sie werden vor Ort eingekauft. „So unterstützen wir auch noch den Händler vor Ort“, sagt Maryna Heinrich. Die Lebensmittel gehen dann zu großen Teilen an Binnenflüchtlinge, die innerhalb der Ukraine an einem vermeintlich sicheren Ort auf das Kriegsende warten.
Die Vertreter beider Vereine schildern die aktuelle Situation in der Ukraine ähnlich. Die Zahl der Verwundeten, die über das ganze Land verteilt werden, steigt stetig. Die Zahl der Ausreisewilligen sinkt dagegen, wer fliehen wollte und konnte, ist längst weg. Zurück bleiben die Alten. „Sie haben nicht die Mittel, um wegzukommen“, so Heinrich. Dementsprechend schießen Altenheime wie Pilze aus dem Boden. „Man darf davon keine falsche Vorstellung nach unseren hiesigen Maßstäben haben. Wenn eine Einrichtung Decken und Kissen für alle Bewohner hat, dann sprechen wir schon von Luxus.“ Um solche Grundausstattungen kümmert sich unter anderem „Münsingen hilft“.
Apropos Luxus: Die Grundversorgung ist für die Ukrainer enorm teuer geworden, alle Preise sind gestiegen. Zudem sind die Arbeitnehmer verpflichtet, zehn Prozent ihres Nettoeinkommens als Militärabgabe zu entrichten.
Man lernt, mit dem Krieg zu leben
„Man arrangiert sich, mit dem Krieg zu leben“, sagt Martin Salzer über die Ukrainer. Wie lange der Krieg noch dauere, wisse natürlich niemand. Aber eines sei in den Köpfen fest verankert: Niemals werde die Ukraine diesen Krieg verlieren, sonst wären alle bislang schon gebrachten Opfer umsonst gewesen. „Gedanken an eine Niederlage gibt es tatsächlich nicht“, berichten die Experten. Ob es nach all dem Leid allerdings echte Sieger geben wird, darf ebenso bezweifelt werden.
Die beiden Vereine helfen nicht nur den kriegsgebeutelten Ukrainern in ihrem Heimatland, sondern auch den hierher Geflüchteten. Wohnungssuche, Jobsuche, Sprach- und Integrationskurse, Anerkennung von Ausbildungsnachweisen, psychologische Betreuung – das Aufgabenfeld ist riesig. Und es wird nicht einfacher, sondern wegen bürokratischer Hürden eher schwerer als zu Beginn des Krieges, wie die Helfer ernüchtert feststellen.
Aufbauen können sie sich aber an den vielen positiven Beispielen, wenn ein Geflüchteter etwa eine Arbeitsstelle antritt oder eine eigene Wohnung beziehen kann. „Man spürt die gewaltige Dankbarkeit für die Hilfestellungen“, sagt Maryna Heinrich. Das gelte für Hilfe in der Ukraine ebenso wie für Unterstützung hier vor Ort.
Geld und Wohnraum wird benötigt
Die Hilfsleistungen aus dem Ermstal und Münsingen gehen natürlich ununterbrochen weiter. Benötigt werden wie beschrieben weiterhin Geldspenden, aber auch Sachspenden sind enorm wichtig. Matratzen, Bettwäsche, Medikamente, Powerbanks, Rollstühle und Rollatoren oder Erste-Hilfe-Kästen aus dem Auto. „Die dürfen sogar abgelaufen sein, da schaut an der Front niemand drauf.“ Und Wohnraum wird selbstverständlich nach wie vor stark gesucht.
In jedem Fall sind die Verantwortlichen der beiden Vereine den SWP-Lesern für ihre Spenden sehr dankbar. „Mit diesem Geld kann man wirklich vielen Menschen helfen.“
„Ermstal hilft“ und „Münsingen hilft“
„Ermstal hilft“ e.V.: Die Annahmestelle für Sachspenden ist in der Glemserstraße 6 in Neuhausen (ehemalige Bäckerei Winter). Eine Packliste für Pakete findet man unter www.ermstal-hilft.de. Geldspenden kann man nach wie vor an Ermstal hilft, Dettinger Bank, IBAN DE18 6006 9387 0018 1740 00 überweisen.
„Münsingen hilft“ e.V.: Die Annahmestelle ist in der Hermann-Staudinger-Straße 39 in Münsingen, Terminabsprache unter [email protected] Geldspenden können an das Spendenkonto mit der IBAN DE88 6405 0000 0009 4316 70 gerichtet werden.