Voll krass, der beste Ort, schwärmt Tim Bengel.  Neben insgesamt 800 Quadratmetern Gesamt- und 150 Metern Wandfläche mit Industriehallen-Charme begeistert den 28-jährigen Künstler aus Esslingen am diesjährigen Ort der von ihm kuratierten Gruppenausstellung seiner Gruppe „Plattform 11“, dass eine Rolltreppe hoch in die Pop-up-Galerie führt. „Wer sie betritt, kann nicht mehr zurück.“ Es ist in der Tat ein ungewöhnlicher Ort, an dem nun zwischen Marken-Stores wie Samsonite, Marc O’Polo, Levi’s und Lacoste mitten in der Metzinger Outletcity junge Kunst aus der weiteren Region gezeigt wird.
Wo einst Damenschuhe von Hugo Boss anprobiert und verkauft wurden, ist an provisorisch eingezogenen weißen Pappwänden von heute an zwei Wochen lang Malerei, Grafik, Fotografie und Objektkunst zu sehen. Kostenlos, niedrigschwellig, frei zugänglich – über einen Aufzug auf Anfrage bei der Aufsicht auch barrierefrei.

Symbiotischer Übergang

Das Intermezzo des Künstlerkollektivs um Tim Bengel ist ein sogenanntes Zwischennutzungsprojekt.  Symbiotische Übergangsszenarien der Stadtentwicklung, die einst in Metropolen wie London, New York und Berlin aufkamen, peppen längst auch kleinere Städte auf, wie etwa Ulm vor einigen Jahren mit seiner „Kulturfahrschule“ und aktuell mit dem „Gleis 44“.
Die Holy AG als Immobilienentwickler macht sich mit „Art Gallery by Outletcity Metzingen“ aber zugleich auf in eine neue Ära. Die immer wieder zeitweise leerstehenden Räume und Flächen inmitten der von ihr verwalteten Kommerz- und Konsummeile sollen künftig öfters für Ausstellungen genutzt werden, kündigt Tamara Klett von der Outletcity an. Am Ende ist gar ein Museum angedacht, „in dem solche Kunst gezeigt wird“. Wann das eingerichtet wird und wo genau, das steht allerdings noch in den Sternen.

Vom Stern zum „Trigger“

Apropos Sterne: Einen solchen haben die Besucher von der Rolltreppe weg im ersten Stock des ehemaligen Boss-Fabrikverkaufsgebäudes direkt vor der Nase. Der Künstler Georg Barinov nennt sein Objekt „Russendisko“, denn es ist aus einem alten Teppich, wie ihn sich Russen gern an die Wand hängen, umrahmt von  an schäbige Künstlergarderoben erinnernde, ungleichmäßig aufleuchtende Glühbirnen. Schräg davor ist auf einer Stele eine Mini-Micky-Maus eingeklemmt in einem mittels Comic-Pistole zur ultimativen Bedrohung mutierten Mikroskop: „Trigger“ lässt aus spielerisch witzige popkulturelle Art über Tierversuche nachdenken.
Dahinter zeigt der aus St. Petersburg stammende Stuttgarter Chirurg collagierte Upcycling-Bilder. Auch darin setzt er sich mit seiner Herkunft und Gegenwart auseinander.
Das macht den 31-Jährigen neben den international bereits erfolgreichen Kollegen Tim Bengel mit Wandcollagen aus Sand und Blattgold, Vince Voltage mit vielschichtig inszenierten Großformat-Porträts auf Stoff, Jay two mit Kalligraphie-Graffiti und Anna van den Hövel mit Dripping-Gemälden, die nurmehr entfernt an Jackson Pollock erinnern, zu einem der künstlerisch interessantesten Teilnehmer dieser Gruppenschau.

Große Bandbreite

Deren Spektrum reicht von Malerei in der Nachfolge verschiedenster kunsthistorischer Größen zwischen Kiefer, Haring und Basquiat über eine Flashmob-Dokumentation zum „Fall Heckler-Koch“ des Künstlerduos Schillerhöhe, fotografische People-Studien des Neckartailfingers Steven Womack und Landschafts-Fotografie von Yannik Michael, die ans Postkarten-Idyll grenzt, bis hin zur bewusst künstlerisch in Flohmarkt-Nähe angesiedelten Mariya di Angela mit esoterisch gefälligen, aber gut verkäuflichen Aquarellen.
Dazwischen begeistern etwa Felicitas Pfister mit kleinformatigen Mixed-Media-Arbeiten, Robin Häußler mit digitaler Illustration, Orkan Tan mit seiner „Comfort Zone“ als Rauminstallation und Freya von Bülow mit Fineliner-Zeichnungen sowie Romulo Kuranyi mit direkt auf die Wand gekritzelten Edding-Doodles.

Alles, nur nicht elitär

Die Pop-up-Galerie vereint 31 leidenschaftliche Autodidakten und Profis zur kunterbunten Mischung aus wertiger, ernstzunehmender Kunst, Dekorativem und spielerisch wildem Ausprobieren, Zwei- und Dreidimensionales, Idee und Technik. „Super divers“ findet das „Plattform-11“-Mitbegründer Bengel. Das wollen diese Künstler von morgen auch sein. Alles, nur nicht elitär.

Info „Plattform 11 – Art Gallery by Outletcity Metzingen“ in der Reutlinger Straße 49-53, bis 12. September, geöffnet: Mo-Do 14-20; Fr/Sa 12-20 Uhr.

Vom Kollektiv zum Verein junger Künstler

Fünf aufstrebende Kreative aus Stuttgart taten sich 2015/16 zusammen, stellten zunächst unter dem Namen „Kunscht“ gemeinsam etwa im Amtsgericht aus. Seit der Umbenennung in „Plattform 11“ und der Vereinsgründung gehören mehr als 30 Künstler aus dem süddeutschen Raum zwischen 17 und 30 Jahren dazu. Vergangenes Jahr stellten sie im Stuttgarter Auktionshaus Nagel aus und schufen dafür einen aufwändigen Katalog, die Outletcity war als Sponsor dabei. cli