„X = unbekannter Forscher“ – so nannte Thomas Kahl eine 1993 entstandene Materialcollage, die eine gelbe Micky-Figur mit Mini-Zylinder, mächtigem Kauwerkzeug und quer vor ihr liegendem güldenem Spaten auf braunem Grund zeigt. Entsprechend nennt Kurator Raimund Kast die erste umfassende Werkschau des 2017 mit nur 53 Jahren verstorbenen Ulmer Künstlers, die jetzt auf zwei Ebenen im dortigen Stadthaus zu sehen ist.
Zur Ausstellung haben Kahls Freunde um seinen Galeristen Tobias Schrade einen umfangreichen Katalog herausgebracht.
Überregional bekannt wurde der 1963 in Zittau (DDR) geborene und 1980 in die damalige BRD übergesiedelte Autodidakt und Lüpertz-Fan, der sich anfangs „King Kahl“ nannte, in den frühen 90er Jahren mit „Brot“-Bildern.
Installation aus Brotschneidemaschinen
An das pop-art-mäßig zur Ikone stilisierte Motiv angelehnt sind auch spätere Arbeiten wie die 166 Brotschneidemaschinen, die er in Anspielung aufs Lateinische „cum pane“ erstmals 1994 als „Die große Kumpanei“ zeigte, sowie das „größte Brot der Welt“ im Skulpturenpark Mariposa auf Teneriffa. 2011 war er nach zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen unter anderem in Ulm, Neu-Ulm, Bad Nauheim, Berlin, Köln, Budapest und Zürich auch auf Schloss Mochental vertreten.
Kein Unbekannter, aber ein Mann mit Forscherdrang
„Thomas Kahl, der unbekannte Forscher“ vereint die Brotmaschinen-Installation mit seinen großformatigen Brot-, Tomaten-, Zitronen-, Käfer- und Pilz-Studien sowie jüngeren Arbeiten der Serien „Proconsul“ und „Totentanz“ sowie „Dioramen“ aus Playmobil-Figuren und den wunderbaren im Jahr vor seinem Krebs-Tod geschaffenen Bojen-Leuchtkästen.
Kahl habe „die Leute so gelassen, wie sie sind. Deshalb konnten die ihn auch so lassen, wie er war“, zitierte Stadthaus-Leiterin Karla Nieraad zur Eröffnung am Freitag Tommy Kahls Freund Jürgen Widmer.
Frischer Wind in einer geordneten Stadt
Die Ulmer Kulturbürgermeisterin Iris Mann ging auf die Bedeutung des von Kahl in den 80er Jahren, noch vor dem Aufstieg der gleichnamigen Stuttgarter HipHop-Gruppe, mitbegründeten Künstlerkollektivs „Die fantastischen Vier“ ein: Mit Thomas Kahl, Patrick Pilsl – der zur Vernissage sang –, Peter Knabl und Ralf Ankner sowie später Katharina Rieck und dem US-Amerikaner Andrew Greif „kam frischer Wind nach Ulm“. Das habe dieser stets so geordneten Stadtgesellschaft gutgetan.
DJ Ted Gaier in der „Kradhalle“
Später benannte sich die Gruppe, der das Ulmer Museum nun parallel zu Kahls Stadthaus-Retrospektive eine erste Ausstellung widmet, nach ihrem Atelier am Roxy in „Künstlergruppe Kradhalle“ um. In diesem kleinsten und aufsehenerregendsten Club Ulms legte nach der gutbesuchten Vernissage ein weiterer Freund des auch als Musiker und Konzert-Veranstalter das kulturelle Leben der Stadt prägenden Künstlers auf: Ted Gaier von der Berliner Band Die Goldenen Zitronen, dessen künstlerische Karriere ebenfalls in Ulm ihre Anfänge hatte.
Info „Thomas Kahl, der unbekannte Forscher“ im Stadthaus – bei freiem Eintritt – und „Künstlergruppe Kradhalle“ im Museum Ulm, jeweils bis 26. April.