Seine Drogenkarriere begann mit 15, da wurde er das erste Mal mit Cannabis erwischt, davor probierte er Spice. Er führt das auf „die Rollerzeit“ zurück und auf „falsche Freunde“. Wegen des Konsums gab es Streit mit den Eltern. Das sagt er am Montag in der Verhandlung vor dem Schöffengericht des Amtsgerichtes Crailsheim. Heute ist der Angeklagte 24 Jahre alt. Er wohnt in einer südlichen Gemeinde des Landkreises Schwäbisch Hall, inzwischen wieder bei den Eltern. Er brach drei Ausbildungen ab, hat keinen Führerschein und jobbt in der Firma eines Verwandten.
Der Auszug aus dem Bundeszentralregister liest sich so: Fahren ohne Fahrerlaubnis anno 2009, Fischwilderei 2010, Besitz von Betäubungsmitteln 2012 und zweimal Besitz von Betäubungsmitteln 2015. Mit drei Hanfpflanzen auf dem heimischen Balkon fing alles an, für eine Aufzuchtanlage mit 67 Pflanzen bekam er eine Jugendstrafe von einem Jahr auf Bewährung aufgebrummt. Doch die Bewährungsfrist war noch nicht abgelaufen, da erwischte es ihn erneut.
Haschisch übers Darknet
Anfang Juli 2017 durchsuchte die Polizei in einem Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz dessen Dachgeschosswohnung. Der Angeklagte bestellte über das Darknet anno 2014 zweimal Haschisch in Leipzig. Bei Ermittlungen dort tauchte irgendwann dessen Postanschrift auf. Daraufhin überprüfte die Polizei Bitcoin-Transaktionsdaten, E-Mail- und IP-Adresse – und der Staatsanwalt besorgte eine richterliche Anordnung für die Durchsuchung.
Die Beamten staunten nicht schlecht. Versteckt in einem Kniestock fanden sie eine professionelle Aufzuchtanlage: Lüftungssystem mit Aktivkohlefilter, LED-Lampen, Heizmatten – für 350 Euro im Internet bestellt, sagt der Angeklagte. Im April 2017 legte er los, die Setzlinge orderte er in Österreich. „Ich hätte nie gedacht, dass da so eine Menge rauskommt.“
Resultat: 35 Pflanzen, 30 bis 40 Zentimeter hoch. Sie standen noch in voller Blüte, als die Polizei sie entdeckte, fünf weitere waren schon abgeerntet. Eine Wirkstoffanalyse kommt später auf 316,5 Gramm Blüten. Mit den 58,1 Gramm, die die Polizei noch unter dem Sofa findet, aber die nicht von der Anlage stammen, sind es knapp 375 Gramm. Ausschlaggebend ist allerdings die Wirkstoffkonzentration der verbotenen Substanz, in diesem Fall Tetrahydrocannabinol, weitaus geläufiger unter dem Kürzel THC. Es ist das Fünffache der nicht geringen Menge, betont Oberstaatsanwalt Dirk Schulte. Die zwölf Gramm Verschnitt, die irgendwo anders noch rumliegen, fallen da schon nicht mehr ins Gewicht.
Morgens Joint, abends Bong
„Es liest sich wie eine Entwicklung“, findet Richter Dr. Stefan Heinz. Der Angeklagte habe „die Idee schon mal gehabt, nur jetzt professioneller“. Mit einem Unterschied: Jetzt steht der Vorwurf des Drogenhandels im Raum. „Es sind halt große Mengen“, sagt der Richter. Der Oberstaatsanwalt will wissen, wozu der Angeklagte die Feinwaage benutzte, die man bei ihm sicherstellte? Damit habe er seine Menge abgewogen.
Der Tag fing bei ihm morgens vor der Arbeit mit einem Joint an und endete abends zum Schlafengehen mit einem Bong, einer Wasserpfeife. „Warum das alles?“, fragt der Richter. 2014 habe er einen schweren Bandscheibenvorfall erlitten, antwortet der Angeklagte, ein Nerv sei wohl in Mitleidenschaft gezogen, eine OP könne ihm nicht mehr helfen. Als die Schmerzen sich nicht besserten, habe er vier bis fünf Ibuprofen am Tag genommen. Stärkere Mittel würde der Arzt ihm nicht verschreiben. „Irgendwann habe ich mit dem Konsum angefangen.“
Der Richter hakt nach. Warum er nicht weiter im Internet bestellt habe? „Ich weiß ja sonst nicht, was ich da rauche“, sagt der Angeklagte. Ihr Klient sei „sehr offen mit dem Konsum umgegangen“, sagt seine Bewährungshelferin. Zudem habe er sich als „sehr zuverlässig“ und „absprachefähig“ erwiesen. Ein medizinischer Gutachter stellt fest: „Seit Juli 2017 Abhängigkeitskriterien nicht mehr zu diagnostizieren“.
Dann folgen die Plädoyers. Der Verkauf sei dem Angeklagten nicht nachzuweisen, so der Oberstaatsanwalt. Es gebe keinen Anhaltspunkt außer der Menge. Keine 20- oder 50-Euro-Scheine. Keine Plastiktütchen mit Druckverschluss. Keine Listen, die man sonst so finden würde. Zudem sei er nicht als Dealer bekannt. Schulte geht von Eigenkonsum aus, um die Rückenschmerzen zu therapieren, und fordert eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten – „noch mal zur Bewährung, auch wenn es ein Bewährungsbruch war“.
Den Antrag auf ein Jahr und drei Monate hält die Verteidigerin Heike Michaelis aus Essen für maßvoll, obwohl ihr Mandant „einschlägig in Erscheinung getreten“ sei. „Wir sprechen über Marihuana, weiche Drogen“, sagt Michaelis, und: „Er ist ein typischer Homegrower.“ Er bagatellisiere das nicht, „da ist er ganz fern von“.
„Leider sehr erfolgreich“
Richter Heinz verurteilt den Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Es ist „unsere Überzeugung, dass Sie Schmerzen hatten“, sagt Heinz. Überdies geht er von Eigenbedarf aus, die bestellte Anzahl von Setzlingen sei geringer gewesen als beim Mal davor. Der Angeklagte habe diese dann „leider sehr erfolgreich aufgezogen“.
Auflagen erteilt Heinz auch: Bewährungshelfer, regelmäßige Drogen-Screenings, Schmerztherapie. Neben den Kosten des Verfahrens muss der 24-Jährige 1000 Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlen: „Damit Sie spüren, dass das kein Freispruch ist.“ Das Urteil ist bereits rechtskräftig.