Für die Sache brennt er wie am ersten Tag. Mit leuchtenden Augen berichtet Heinrich Korn von seinem jüngsten Coup. Der stellvertretende Leiter des Stuttgarter Jugendamtes erzählt, dass eine ausrangierte Großküche der Stadt vollständig in ein Kinderzentrum nach Weißrussland geht. „Was bei uns nicht mehr in Gebrauch ist, wie eine Kartoffelschälmaschine, ist dort ein Riesenfortschritt“, freut sich Korn. Der 63-Jährige ist Vorsitzender des Stuttgarter Vereins „Freunde der Kinder von Tschernobyl“, der sich bemüht, die Folgen der Reaktorkatastrophe in der Ukraine für Kinder und Jugendliche im verstrahlten weißrussischen Grenzgebiet rund um die Stadt Gomel zu mildern. Angelaufen ist die Hilfe vor genau 30 Jahren.
Die unter dem Dach der württembergischen evangelischen Landeskirche entstandene Gruppe hat in drei Jahrzehnten Spenden im Wert von 4,8 Millionen Euro gesammelt. Der Löwenanteil in Höhe von 3,5 Millionen Euro sind Geldspenden. Das ist den Verantwortlichen auch am liebsten, weil sie davon dringend benötigte Medikamente kaufen und nach Weißrussland schicken können. Mehr als zwei Dutzend der ehrenamtlich tätigen Mitglieder der Gruppe kommen vor allem aus Stuttgart und Ludwigsburg. Der Verein will auch die Erinnerung an den Super-Gau, den schwersten möglichen Unfall, vom 26. April 1986 wachhalten, der vor 33 Jahren ganze Landstriche verwüstete. Die Explosion des Blocks IV im Atomkraftwerk Tschernobyl in der Nordukraine erschütterte die Welt und versetzte auch die Menschen in Stuttgart in Angst und Schrecken. Wolken mit radioaktivem Fallout erreichten Süddeutschland. Pilze und Wild sollten nicht verzehrt werden, Kinder nicht im Freien spielen.
Not auf Pilgerfahrt erkannt
Der Südosten Weißrusslands war mit am schlimmsten betroffen. Die Folgen der Verstrahlung sind bis heute spürbar. Zwar streiten Experten über die Zahl der Opfer. Unbestritten ist jedoch der Anstieg der Leukämie- und Schilddrüsenerkrankungen, besonders bei Kinder und Jugendlichen. In Kliniken vor Ort fehlte es damals an allem. Dies erkannte der Stuttgarter Männerpfarrer Christoph Rau, als er auf einer politischen Pilgerfahrt zum 50. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1989 Weißrussland besuchte. Das evangelische Männerwerk Württemberg wurde daraufhin aktiv. Aus dieser Initiative und einer Hilfsaktion der Stuttgarter Zeitung entstanden 1992 die „Freunde der Kinder von Tschernobyl“.
Sprecher Klaus Wagner erinnert sich, wie er Krankenhausbetten in Tübingen und Stuttgart zum Transport nach Gomel verlud. Medizinische Geräte wurden an Kinderkliniken verschickt, zuletzt 2018 vier EKG-Geräte im Wert von 11 000 Euro. „Mithilfe der Ärzte im Verein können wir einschätzen, wo Hilfe am effektivsten ist“, sagt Wagner.
Die Hälfte der Mittel des Stuttgarter Vereins fließt in die medizinische Hilfe, dorthin, „wo Leben gerettet wird“, so Wagner. Dazu zählt die Leukämiestation für Kinder und Jugendliche in Gomel, die einzige im Südosten Weißrusslands. Hier unterstützt der Verein auch die psychosoziale Betreuung junger Patienten und ihrer Eltern. Hilfe erhält auch die Frühgeborenen-Station am städtischen Krankenhaus Gomel. Die erhöhte Zahl von Frühgeburten sei vermutlich auf die schlechte körperliche Verfassung der Mütter in Folge der Strahlenbelastung zurückzuführen, erklärt Wagner.
Kinder erholen sich wieder
Der Erfolg des Engagements ist für den Journalisten unverkennbar. In 25 Jahren sei die Heilungsrate bei Leukämie fast auf westeuropäisches Niveau von etwa 80 Prozent gestiegen. Neben kleineren sozialen Projekten wie einer Selbsthilfegruppe von Eltern krebskranker Kinder ist ein weiterer Schwerpunkt der Hilfe das Kinderzentrum Nadeshda bei Minsk. Rund 6000 Kinder aus den verstrahlten Gebieten erholen sich dort pro Jahr. Mit der Küche aus Stuttgart kann mehr und besser gekocht werden.
4,8 Millionen Euro gesammelt
Die Wurzeln des Stuttgarter Vereins „Freunde der Kinder von Tschernobyl Württemberg“ reichen bis ins Jahr 1989 zurück. Bei der diakonisch-humanitären Hilfsaktion innerhalb der württembergischen evangelischen Landeskirche engagieren sich mehr als zwei Dutzend Frauen und Männer ehrenamtlich.
Nicht nur Spenden in Höhe von 4,8 Millionen Euro wurden gesammelt, sondern auch mehr als vierzigmal Hilfsgüter nach Weißrussland gebracht, wobei es bürokratische Hürden gab. Kindergärten wurden in den 90er Jahren mit Milchpulver versorgt. Heute werden Medikamente über das Hilfswerk „action medeor“ verschickt. lan