Haben Sie vielleicht noch Karten?“, fragt eine Frau mittleren Alters vor dem Eingang und ist nicht die einzige, die enttäuscht umkehren muss. Bis zum letzten Platz belegt ist das Credo-Gemeindezentrum der Evangelisch-methodistischen Kirche in Ebersbach. Michael Riek strahlt übers ganze Gesicht und heißt die 325 Gäste willkommen.
Verständnisvoll nimmt das Publikum die zehnminütige Verspätung in Kauf, ein erstes Musikstück verkürzt die Wartezeit. Dann erscheint Samuel Koch im Rollstuhl, sagt mit leiser Stimme „Hallo“. Die Zuschauer grüßen ebenso zurück. „Guten Abend zum Kulturtipp der Woche, mal schau’n, was dabei rauskommt“, scherzt der 30-Jährige mit einem in sich gekehrten Lächeln, das an diesem Abend immer wieder aufblitzt. Während er hinter einer Stellwand seinen Platz einnimmt, schnappt sich Samuel Harft die Gitarre und unterhält fortan mit jedem seiner Lieder das still lauschende Publikum.
Dann sitzen beide nebeneinander in Ohrensesseln, der eine, Harfst, breitbeinig, der andere lässig, das rechte Bein angewinkelt auf dem linken abgelegt. Zwei ziemlich beste Freunde, die sich während Kochs Reha in der Schweiz kennengelernt haben, seit 2013 gemeinsam auf Tournee gehen und dabei mit sichtlicher Wonne die ein oder andere humorvolle Spitze austauschen. „Na, wie geht’s“?, fragt der Singer-Songwriter. „Sehr gut, und selber?“, kontert der Buchautor, der klar und deutlich eigens ausgewählte Passagen aus seinen Büchern „Zwei Leben“ sowie „Rolle vorwärts“ vorliest.
Koch berichtet von seinem sportlichen Leben davor und seinen Zweifeln danach, von dem Grundvertrauen, das er vorher Gott gegenüber empfunden hatte und das durch den Unfall erschüttert wurde. Anfangs sei er am Boden zerstört gewesen, und auch heute gebe es „immer noch Momente, die mich fast wahnsinnig machen“, verrät Samuel Koch.
Es ist die Mischung, die den Abend außergewöhnlich macht. Das Vorlesen, tiefgründige Gespräche mit seinem Namensvetter, die stets mit einer erfrischenden Lockerheit einhergehen, und das Erkennen, wie beide im Tun und Denken doch so ähnlich sind. Empfindet Samuel Koch Wut, dann auf sich selbst, wie er ohne Selbstmitleid verrät. „Innere Kraft schöpfe ich aus vielen alltäglichen Dingen, für die ich dankbar bin“, sagt er und nennt morgendliches Vogelgezwitscher, Sonnenstrahlen, nette Briefe oder auch einfach nur ein paar warme Socken als Beispiele.
Und Samuel Harft? Der 31-Jährige drückt in seinen Liedern Gefühle aus. So geht es in „Kleine Seele“ auch darum, nie den Glauben an sich selbst zu verlieren, ganz egal, wie aussichtslos die Situation erscheint. Humorvoll, ernst und nachdenklich sorgten die beiden Samuels mit ihrer Konzertvorlesung für emotionale Momente und Begeisterungsstürme.
Auf der Bühne mit Whitney Houston
Samuel Harfst: Nach Erfahrungen im Wetzlarer Kükenchor trat der Hesse mit seiner Band jahrelang als Straßenmusiker auf. Im Jahr 2009 wurde er beim Nachwuchswettbewerb der Reihe „MTV Unplugged“ mit seinem Song „Alles Gute zum Alltag“ unter die zehn besten deutschen Newcomer-Bands gewählt. Er war im Vorprogramm von Marit Larsen sowie Whitney Houston und gewann 2011 den David Award der christlichen Popmusik-Szene. Mittlerweile hat er acht Alben veröffentlicht.
Samuel Koch: 17 Jahre lang, seit seinem siebten Lebensjahr, war Koch Kunstturner bei Wettkämpfen in der deutschen und französischen Liga. Nach seinem Unfall im Dezember 2010 bei „Wetten dass…“ wurde er im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil behandelt. 2014 machte er sein Diplom in „Schauspiel, Musik, Theater und Medien“ und war Ensemblemitglied am Staatstheater Darmstadt. 2012 erhielt er den Medienpreis für den Spiegel-Bestseller „Zwei Leben“, 2015 folgte das zweite Buch
„Rolle vorwärts“. Der 30-Jährige unterstützt die Deutsche Stiftung Querschnittlähmung (DSQ) sowie die Rückenmarksforschung „wings for life“ und ist seit August 2016 verheiratet. ack
„Rolle vorwärts“. Der 30-Jährige unterstützt die Deutsche Stiftung Querschnittlähmung (DSQ) sowie die Rückenmarksforschung „wings for life“ und ist seit August 2016 verheiratet. ack