Ein leises Tuscheln zieht sich durch die Schlossparkhalle in Geislingen. Dabei sind rund 700 empörte Bürgerinnen und Bürger zusammengekommen. Die Atmosphäre ist angespannt, besorgt, aber auch gereizt. Alle Stuhlreihen sind besetzt, sogar die hinteren Zuschauerränge der Sporthalle füllen sich. Überall sieht man besorgte Mienen, hört man gedämpftes Geflüster – denn alle Gekommenen interessieren sich brennend für die Informationen der Bürgerinitiative (BI) Waldhof. Diese hatte am vergangenen Mittwochabend zu einer Infoveranstaltung eingeladen.
Die BI engagiert sich seit Bekanntwerden gegen die Pläne für die Anhöhe „Waldhof“ in Geislingen. Land und Bundeswehr haben im Februar 2022 beschlossen, dort ein Absetzgelände für Fallschirmspringer des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und der US-Armee aufzubauen, und damit auch Landrat und Bürgermeister vor Ort überrascht.

Von Calw nach Geislingen

Bisher fanden die Fallschirm-Übungssprünge und die Übungen zum Absetzen von Lasten aus Flugzeugen des in Calw stationierten KSK auf dem Absprunggelände Renningen-Malmsheim bei Böblingen statt. Weil dort die Firma Bosch ihr Forschungs- und Entwicklungszentrum ausbauen möchte, braucht es ein neues Absetzgelände. Die Entscheidung über das Schicksal des Waldhofs soll bis Ende des Jahres fallen. Bisher sieht es ganz danach aus, als ob auf dem Waldhof-Areal tatsächlich Flieger landen werden, denn nach weiteren Überprüfungen des Landes spricht momentan offiziell nichts dagegen.
Was die Anwohner bei diesem Szenario erwartet, zählt BI-Mitglied Tobias Vötsch auf:
  • Geplant ist ein Absprunggelände samt Start- und Landebahn. Fallschirmspringer des KSK und der US-Streitkräfte sollen dort Lasten- und Absetzübungen absolvieren.
  • 120 Übungstage pro Jahr sind geplant, möglich seien aber auch 356 Tage, sagt Vötsch.
  • Eine Fläche von 550 000 Quadratmetern, die bisher aus Ackerflächen besteht, wird dafür geopfert. Die Fläche müsse frei von Hindernissen sein, im Radius von vier Kilometern sind keine Hochbauten möglich.
  • 200 Absprünge pro Übungseinheit sind geplant, die Sperrungen der angrenzenden Straßen erfordern werden. Momentan steht eine Ampellösung dafür im Raum, möglich ist aber auch eine Verlegung der Straße.
  • Kleinflugzeuge, wie zum Beispiel M28 Skytrucks, und Hubschrauber werden dort eingesetzt sein.
Diese „ominösen Kleinflugzeuge“, wie es Moderator Stefan Eberhard formuliert, sind jedoch gar nicht so klein. In der Regel haben diese Modelle eine Länge von 13 Metern und eine Spannweite von 22 Metern. „Die hört man“, sagt Eberhard.
Es folgt ein Videobeitrag, der das Gelände des Waldhofs zeigt, unterlegt mit idyllischem Vogelgezwitscher. Dann mischt sich lautes Motorenröhren darunter übertönt schließlich das Zwitschern. Die Animation eines Flugzeugs fliegt dazu über den Waldhof hinweg. Eine Frau im Publikum fasst sich entsetzt an den Kopf. Laut Staatsministerium soll Vogelzwitschern lauter sein als der Lärm. „Schon allein der Vergleich von Vogelgezwitscher und Fluglärm ist absurd“, sagt Sprecher Ernst Schatz von der BI. „Wir werden von der Landesregierung nicht ernst genommen.“

Existenzängste der Landwirte

Die BI befürchtet eine Wertminderung ihrer Immobilien durch Straßensperrungen und den Lärm. Außerdem sehen die Bürgerinnen und Bürger den Erholungs- und Freizeitwert des Gebiets bedroht. „Dann ist es mit unserer beschaulichen, liebenswerten Heimat plötzlich vorbei“, sagt Schatz.
Zu alledem fühlen sich Landwirte in ihrer Existenz bedroht. „Ohne landwirtschaftliche Flächen können Bauernhöfe nicht existieren“, sagt Landwirt Ulrich Steimle. Die Ackerflächen auf dem Waldhofgelände haben im Durchschnitt einen Humusgehalt von neun Prozent, wodurch sie resilienter gegenüber Wetterextremen und nährstoffreich sind.
Obendrein seien die Straßensperrungen ein „Riesenproblem“ für Landwirte. Gesprungen werde an schönen Tagen – als Landwirt sind das aber auch die produktiven Tage. Behinderungen im Verkehr sind teuer, da ausgeliehen Geräte beispielsweise stehen bleiben müssen. Straßensperrungen seien deshalb inakzeptabel für die Landwirtschaft, aber auch für die Bevölkerung und für Rettungsfahrzeuge, sagt Steimle.
Was der BI Hoffnung macht: das Landesdenkmalamt. Denn auf dem Gelände des Waldhofs sind archäologische Funde aus der Zeit von 6500 v. Chr. bis 800 n. Chr. gefunden worden. Diese Reste aus der Römer-, Bronze- und Alemannen-Zeit sind Kulturdenkmale, die mit dem Absetzungsgebiet zerstört werden würden. Ein Beschluss des Landesdenkmalamts könnte dies verhindern. Noch ist aber keine Rückmeldung eingegangen.

Bürger fühlen sich nicht gehört

„Das wird existenzielle Folgen für alle Bewohner und kommende Generationen haben“, sagt BI-Mitglied Tobias Hölle. Schweigen folgt auf diese Worte – die Enttäuschung, Angst und Wut macht das Publikum sprachlos. Aber die Wut ist dann doch zu groß, sie durchbricht das lähmende Schweigen immer wieder. Zum Beispiel, wenn Kretschmann, Stuttgart oder die Verwaltung angesprochen werden. „Wir müssen die negativen Wahrheiten zwischen den Zeilen lesen‘“, beklagt Hölle. Buh-Rufe werden laut.
Bürgermeister Oliver Schmid zeigt Verständnis für diese Wut: „Die Wahrnehmung eines Rechts ist kein Aufstand.“ Applaus folgt auf diese Worte. Ministerpräsident Kretschmann hatte in einem Zeitungsinterview die BI als „Aufstand“ bezeichnet.
Schmid führt in seinem Grußwort weiter aus: „Die Planungen der Landesregierung für das Waldhof-Gelände, und die Art und Weise wie hier vorgegangen wird, bereiten mir große Sorgen.“ Es sei inakzeptabel, wie Ministerien über die Köpfe der Bürger, von Gemeinderäten und Stadt- sowie Landkreisverwaltungen hinweg Fakten schaffen wollten. Höhnisches Lachen folgt, als Schmid Kretschmanns „Politik des Gehörtwerdens“ zitiert. Der Frust des Publikums schwingt in jedem Lachen mit. Die Bürger sind erzürnt über die Bürokratie und fühlen sich nicht gehört. „Die wollen einfach nicht. Die mögen uns nicht auf dem kleinen Heuberg“, sagt ein Senior aus dem Publikum. Emotional wendet sich noch ein Rentner zu Wort: „Ich bin Landwirt und weiß, was es bedeutet, fruchtbaren Boden zu haben. Ihr lieben Leute – das geht nicht!“
Zu Gast in Geislingen ist auch SPD-Bundestagsabgeordneter Robin Mesarosch, der die BI unterstützt: „Man will das hier irgendwie schnell über die Bühne bringen, sonst nichts!“ Der Applaus ist ihm spätestens nach folgenden Worten sicher: „Wenn das Land sich entscheidet, bequem zu sein, müssen wir uns entscheiden, unbequem zu sein!“

Was das Staatsministerium Baden-Württemberg dazu sagt

Sprecherin Judith Hufnagel ordnet die Vorwürfe ein: Man wolle Unternehmen wie Bosch im globalen Wettbewerb und die Bundeswehr angesichts der aktuellen Lage unterstützen. Ministerpräsident Kretschmann sei dies persönlich wichtig, er lasse sich regelmäßig über den Stand des Vorhabens informieren. Er wisse Bescheid über den Unmut vor Ort, den er nachvollziehen könne. Man verstehe, dass viele Fragen da und Antworten oft unbefriedigend seien.
Gleichzeitig sei für Kretschmann wichtig festzuhalten: Über 100 Standorte wurden vorab in die Suche einbezogen, geprüft wurde unter anderem nach militärischen Anforderungen und Umweltauswirkungen. „Im Vergleich der militärisch geeigneten Standorte hat der Waldhof die nach bisherigen Erkenntnissen voraussichtlich geringsten Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu erwarten. Deshalb wollen wir das Vorhaben dort umsetzen“, so Hufnagel. Es benötige noch in vielen Bereichen die sachliche Grundlage, um weitere Entscheidungen treffen zu können, zum Beispiel stünden Gutachten noch aus.
Es stimme nicht, dass keine Kommunikation stattfinde. Man habe eine Informationsveranstaltung gemacht, alle Briefe der BI genauso wie alle weiteren Bürgeranregungen beantwortet. Das Ministerium sei unter anderem für Sprechstunden und bei weiteren Veranstaltungen vor Ort und im Austausch mit der BI gewesen. Man hätte auch gerne an der BI-Veranstaltung teilgenommen, man sei aber nicht eingeladen gewesen.
Ein Scoping-Termin soll bekannt gegeben werden, wenn alle hierfür nötigen Vorarbeiten abgeschlossen sind. Er dient der Vorbereitung des formellen Genehmigungsverfahrens. Außerdem wird eine Interimslösung für einen begrenzten Zeitraum gesucht, da eine dauerhafte Lösung noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird. Bosch soll die Fläche in Renningen so schnell wie möglich zur Verfügung stehen.