Weltweit hungern 821 Millionen Menschen, während 2,5 Milliarden Menschen ihrer Gesundheit mit Übergewicht zusetzen. Zwei Milliarden leiden an „verstecktem Hunger, weil ihnen lebensnotwendige Nährstoffe wie Vitamine fehlen. Etwa ein Milliarde ist fettleibig mit einem Body-Mass-Index von mehr als 30.
In der Gaststätte „Rose“ in Berg stellte Benedikt Haerlin, Leiter der europäischen Initiative „Save our Seeds“ für gentechnikfreies Saatgut, den 2008 verabschiedeten Weltagrarbericht vor. Das Werk ist eine Bilanz über den Zustand der Welt und die Bedeutung der Landwirtschaft für die globale Entwicklung. Denn noch nie hat die Menschheit mehr Lebensmittel pro Kopf produziert als heute. Dennoch: „In den letzten Jahren ist die Zahl der Hungernden wieder angestiegen“, sagte Haerlin. Ursachen sind Kriege und Klimaveränderungen.
Welt befindet sich in kritischem Zustand
Weil die Weltbevölkerung in den kommenden Jahrzehnten auf etwa neun Milliarden Menschen anwachsen dürfte, stellt sich die Frage, wie die Menschen ernährt werden können – ohne den Planeten zugrunde zu richten. „Wir brauchen für eine enkelkindertaugliche Welt eine agrarökologische Revolution.“ Damit rannte er bei dem Schwörzkircher Bioland-Bauern Franz Häußler und Theo Düllmann, dem Sprecher des Bündnisses für eine agrogentechnikfreie Region (um) Ulm, offene Türen ein. Die beiden begrüßten gut 90 Gäste des Abends, der vom Bündnis, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, dem BUND Ehingen und dem Förderverein Alblinsen initiiert worden war.
Die Welt befindet sich dem Bericht zufolge in einem Dilemma. Gut 40 Prozent aller Treibhausgase werden direkt oder indirekt von der Agrar- und Lebensmittelproduktion, deren Verarbeitung, Transport, Verbrauch und Entsorgung verursacht. „Man müsste 80 Prozent der CO2-Emissionen vermeiden, um das Pariser Klimaziel zu erreichen“, sagte Haerlin. Der Landwirtschaft kommt dabei eine riesige Aufgabe zu, denn sie ist die Erwerbs- und Existenzgrundlage von mehr als einem Drittel der Menschheit. „Sie ist das Maß aller nachhaltigen Entwicklung.“
Eine These des Berichts lautet: „Hunger ist nur vor Ort zu überwinden.“ Eine andere: „Es kommt auf die Frauen an.“ Frauen bewirtschaften oft den Hof, während die Männer anderweitig zur Arbeit gehen. Der Weltagrarbericht setzt auf mehr Vielfalt bei Anbaumethoden und an Früchten. Das dringendste, sicherste und vielversprechendste Mittel, um Hunger und Fehlernährung zu bekämpfen und die ökologischen negativen Auswirkungen der Landwirtschaft zu minimieren, seien Investitionen in die kleinbäuerliche Produktion. Meist einfache Technologien und Kenntnisse, lokale Ernährungssysteme, Zugang zu Land statt Landraub ausländischer Investoren, eigenes Saatgut statt Abhängigkeiten von großen Saatgutherstellern sind nur einige Punkte, die der Referent anführte.
Auch positive Veränderungen
Man brauche Ernährungssouveränität, sagte Haerlin, also das Recht von Menschen und souveränen Staaten, auf demokratische Weise die eigene Agrar- und Ernährungspolitik zu bestimmen. Dazu gehören Traditionen, etwa lokale Märkte zu nutzen. Faire Einkommen, Organisationsfreiheit, Bildung, Entschuldung von Staaten, Zugang zu fruchtbarem Land und gerechte Handelsbeziehungen bestimmen die Ernährungssouveränität. Und zwar im Kleinen vor Ort. „Wir stehen vor der Herausforderung, das Gleichgewicht zwischen Globalisierung und lokaler Entwicklung wiederherzustellen“, heißt es im Weltagrarbericht, der von 58 Staaten unterzeichnet wurde, nicht aber von Deutschland und den USA.
Die Zuhörer fragten, wie Haerlin gegenwärtig die Entwicklung einschätzt. Einerseits sei es zum Davonlaufen, weil es politisch in die falsche Richtung gehe, sagte er. Andererseits tue sich viel in den Köpfen. Es gebe eine junge Generation von Biobauern, die begeistert ihre Arbeit tun.
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Bioland liefert auch an Lidl
Umdenken Auch im Handel beginne ein Umdenken, stellte Franz Häußler fest. „Wir Bioland-Bauern haben uns lange gewehrt, mit Discountern Verträge abzuschließen“, sagte der Landwirt im Bioland-Verbund. „Doch die von Lidl ließen bei uns nicht locker“. Wenn Bio-Produkte die breite Bevölkerung erreichen sollen, „dann kommen wir an den Discountern nicht vorbei“. Zudem habe Lidl den Erzeugern bei Bioland gute Bedingungen geboten, deren Produkte unterliegen in dem Discounter keinen Rabattaktionen, es gibt Fair-Play-Regeln und Ombudsstellen. In Ehingen ist bisher Bioland-Kresse erhältlich. Anderes Bio-Gemüse ist EU-bio, das anderen Vorschriften unterliegt.