Sie sind wie ein Buch, erzählen Geschichten, beeindrucken und regen zum Nachdenken an. Bernsteine, die gelben Schmuckstücke, die man oft nur von Omas teurer Halskette kennt, geben einen Einblick in die Vergangenheit. Wie ein Flugsaurier mit einer Klaue und ein paar Federn im Harz des Baumes festklebte, wie eine Fliege auf Beutejagd von der klebrigen Masse überrascht wurde oder warum verschiedene Ameisenarten in einem Bernstein auftauchen, obwohl sie eigentlichen in unterschiedlichen Klimata zuhause sind. Um die Steine aus Harz dreht sich im Naturkundemuseum Stuttgart  die neue Landesausstellung „Leben im Bernsteinwald“.
„Viele wissen nicht, dass wir eine der weltweit bekanntesten Bernsteinsammlungen haben“, erzählt Johanna Eder, Direktorin des Naturkundemuseums.  30 000 Objekte haben sich über die Jahre angesammelt. Auch weil das Naturkundemuseum versucht, immer als erstes an die besten Bernsteine zu kommen, wie Eder stolz verrät. Einige davon – aus drei unterschiedlichen Bernsteinwäldern – sind in der neuen Ausstellung zu sehen. Die Wälder, aus denen die Exponate stammen, könnten unterschiedlicher nicht sein: Burma vor 99, das Baltikum vor etwa 40 und die Dominikanische Republik vor etwa 16 Millionen Jahren.
16 Millionen Jahre klingen nach einer langen, langen Zeit. Da würde man meinen, seither hat sich viel verändert – vor allem im Tierreich. „Legen Sie einem Biologen einen Bernstein aus dieser Zeit mit einem Insekt vor, er würde nicht erkennen, dass es sich dabei um ein fossiles Tier handelt“, erzählt Arnold Staniczek, Insektenforscher und Kurator der Ausstellung.
Bei den Inklusen – so nennt man die eingeschlossenen Objekte –, die vor etwa 99 Millionen Jahren im burmesischen Bernsteinwald lebten, sieht die Sache schon ganz anders aus. „Damals sind noch T-Rex und Co. durch die Wälder gehuscht“, erklärt Staniczek. „Stellen Sie sich das vor.“ Besonders stolz ist der Insektenforscher und Kurator auf einen Bernstein, in dem eine Feder zu sehen ist. Auf den ersten Blick ist nichts Außergewöhnliches daran zu erkennen, doch auf den zweiten Blick wird klar: Das ist nicht irgendeine Feder. „Wahrscheinlich ist ein Flugsaurier mit seiner Klaue im Harz hängen geblieben.“ So ein Objekt sei seines Wissens nach in Europa noch nie ausgestellt worden.
Zu jedem Bernstein kann der Kurator eine Geschichte erzählen. „Ich könnte stundenlang so weitermachen. Doch so weit wollen wir es nicht kommen lassen“, witzelt er. Eine muss er aber noch erzählen. Denn in der Ausstellung, die übrigens 940 000 Euro gekostet hat und das Land 720 000 Euro übernimmt, haben auch die Rolling Stones einen Platz erhalten. Zwar nicht in menschlicher Form, aber in tierischer. Staniczek hat während seiner Forschungen eine neue Steinfliegenfamilie in Bernsteinen entdeckt – und hat sie prompt nach den Bandmitgliedern der Stones benannt. Im Naturkundemuseum liegt also unter anderem die Ur-Steinfliege Petroperla mickjaggeri und die Steinfliege Largusoperla micktaylori.

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Neuer Look für das alte Kabinett

Für die Ausstellung wurde auch das Bernsteinkabinett im Naturkundemuseum umgebaut. Seit Januar ist der kleine Raum am Eingang geschlossen gewesen. Als eine Herausforderung bezeichnet Harry Vetter, Innenarchitekt für Ausstellungsprojekte, die Umgestaltung des Kabinetts. „Die Sonderausstellung bleibt nur ein paar Monate, der Raum bleibt aber für immer.“ Ziel ist es, ihn so zu konzipieren, dass er nicht langweilig wird.
Mit Touchscreens können Besucher mehr über die Exponate vor ihrer Nase erfahren. So soll der Besuch im Bernsteinkabinett immer wieder zu einem neuen Erlebnis werden.
Über zwei Etagen erstreckt sich im Bernsteinkabinett eine Aurakarie, ein Nadelbaum, an dem Harz hinunter läuft. Wer genau hinsieht, findet immer wieder kleine Insekten, Vögel, Würmer und andere Tiere. „Man kann hier ewig stehen und nach Tieren suchen“, schwärmt Insektenforscher Staniczek.
Die Landesausstellung „Leben im Bernsteinwald“ ist noch bis zum 28. Juli im Museum am Löwentor für Besucher zugänglich. sei