Der Abend, der ihn „einfach nur durcheinandergebracht“ hat, wie Cesur Kenar sagt, wäre unter normalen Umständen vollkommen unspektakulär zu Ende gegangen. Es ist Samstag, 1. Juli, gegen 22.50 Uhr. Cesur Kenar, 21, wohnhaft in Crailsheim, will sich noch schnell eine SIM-Karte für sein Zweithandy bei einer Tankstelle kaufen. Sein Cousin ist bei ihm und steuert mit dem Auto zunächst die im Alten Postweg an, doch dort wird Kenar nicht fündig. Also geht es weiter, gleich um die Ecke in der Haller Straße ist ja noch eine Tanke.
An der Kreuzung müssen die beiden jungen Männer warten, die Ampel zeigt Rot. Auf einmal schießt ein schwarzer BMW an ihnen vorbei, der ist Richtung Innenstadt untwegs und stoppt unter der Unterführung in der Bahnhofstraße. Als sie um die Ecke biegen, sieht Kenar noch, dass jemand etwas aus dem rechten hinteren Autofenster wirft. An einen Hund denkt er zunächst nicht. „Es gibt ja irgendwelche Vögel, die McDonald’s-Tüten rausschmeißen“, sagt er sich. Und dann düst der BMW auch schon wieder weiter und ward nicht mehr gesehen.
Mindestens zwei Personen
Wenige Minuten später, Kenar ist gerade ausgestiegen, läuft ihm am Eingang der Tankstelle ein kleiner Hund direkt in die Arme. Das Tier blutet und winselt. Eine Pfote ist verdreht, man kann den Knochen sehen, dazu einige Schürfwunden. Die Polizei schreibt am Donnerstag in einer Meldung, dass der Hund noch vom BMW angefahren worden sein könnte.
Natürlich hat Kenar sofort die seltsame Begegnung mit dem BMW im Kopf. Er ist überzeugt: „Die haben ihn einfach aus dem Auto geschmissen.“ Was macht ihn da so sicher? „Das war so auffällig, wie die gefahren sind und da standen.“ Es müssen mindestens zwei Personen gewesen sein, einer, der gefahren ist, und einer, der geworfen hat. „Ich kann nicht verstehen, was die getan haben“, betont Kenar. „Die hätten das Tier doch einfach im Tierheim abgeben können.“
Wenn der Hund aus dem BMW geworfen wurde, dann stehen die Chancen vielleicht nicht schlecht, dass man die Übeltäter findet. Denn Kenar, muss man dazu wissen, kennt sich mit Autos aus. Bei dem BMW handele es sich um einen 5er, sagt er, Baujahr 2010 oder 2011. Außerdem habe das Fahrzeug getönte Scheiben. Und dann glaubt Kenar noch, dass er ein CR-Kennzeichen erkannt habe – eine solche Beschreibung dürfte nicht auf viele Fahrzeuge im Altkreis Crailsheim zutreffen.
Zurück zum Hund. Kenar wickelt ihn erst in sein T-Shirt ein, dann geht es kurz nach Hause. Er tauscht das Shirt mit einem Handtuch, seine Schwester ruft in der Tierklinik Dinkelsbühl an – und los. Kenar sitzt auf dem Beifahrersitz und hält den Hund auf dem Arm fest, seine Schwester fährt. Weil der Hund friert, Blut verliert und „vor Angst“ nur so zittert, dreht Kenar die Heizung auf.
„Komme immer noch nicht klar“
Der Hund habe ihm signalisiert: Bitte hilf mir. „Da habe ich gesagt: Ich werde dir helfen, kleiner Mann! Das Einzige, was ich an dem Abend wollte: dass es dem Kleinen gutgeht.“ Und es kommt etwas zurück: „Er hat meine Hand geschleckt“, sagt Kenar. „Ich hatte das Gefühl, dass er sich bedankt hat.“
Der Abend sei schrecklich gewesen, fügt Kenar hinzu. Bis 5 Uhr sei er wach gewesen. „Ich komme immer noch nicht klar, wie man einem kleinen Lebewesen so was antun kann. Das hat mir sehr wehgetan. Das ist fast so, als ob man sein eigenes Kind aus dem Fenster schmeißt.“ Am nächsten Tag ruft er in der Tierklinik an und will wissen, wie es dem Hund geht.
Als die Zeitung am Dienstag bei der Tierklinik anruft, darf die Ärztin, die den Hund behandelte, nicht viel sagen. Schweigepflicht. Die sei bei Haustieren nicht aufgehoben, und so lange es keinen Besitzer gebe, könne nur das Tierheim Crailsheim sprechen. Was die Ärztin aber sagt, weil darüber ja schon berichtet worden sei: dass es sich um eine Notsituation gehandelt und sie den Hund operiert habe. „Das war schon gut vom Finder, dass der sich schnell in ein Auto gesetzt hat und zu uns gefahren ist“, so formuliert sie es. Mit anderen Worten: Cesur Kenar hat dem Tier wohl das Leben gerettet. „Ich würde ihn gerne mal besuchen“, sagt er.
Der Hund befindet sich derzeit in einer Pflegestelle. Übrigens scheint noch nicht ganz klar, um was für einen es sich genau handelt. Das Tierheim Crailsheim spricht von Chihuahua, in der Polizeimeldung steht Prager-Rattler-Mix. Wer die Namen googelt und sich die Bilder anguckt, wird irgendwie auch nicht schlauer. Sei‘s drum.
Das Tierheim vermittelt ihn erst, wenn es ihm wieder gutgeht. Kenar würde ihn sofort adoptieren, betont er. „Bei mir wäre es nicht langweilig. Bei mir hätte er soziale Kontakte mit Menschen und anderen Hunden.“
Bella, Puffy, Rifki – und Güçlü?
Zur Geschichte gehört auch, dass Cesur Kenars Familie ein großes Herz für Hunde hat, sie besitzt deren drei. Zum Beweis zeigt er im Gespräch Fotos auf seinem Handy. Da ist Bella, ein Mini Malteser, da ist Puffy, ein Toypudel, und da ist Rifki, ein Pekinese. Letzteren hat er zufällig im Internet gesehen und zu sich geholt. Rifki war in Crailsheim daheim und ziemlich verwahrlost, das Herrchen heillos überfordert.
Der Hund, der aus dem Auto geworfen wurde, ist noch namenlos. Welchen Namen würde er ihm denn geben? „Güçlü“, sagt Cesur Kenar. Güçlü ist türkisch und bedeutet stark. Das würde voll passen, findet sein Retter. „Der Hund war stark, der Hund ist ein richtig starker Kerl.“
Info Die Polizei hat jetzt Ermittlungen wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz aufgenommen und bittet Zeugen des Vorfalls vom 1. Juli, sich unter Telefon 0 79 61 / 93 00 bei der Abteilung für Gewerbe und Umwelt zu melden. Auch das Tierheim nimmt Hinweise – gerne auch anonym – unter Telefon 0 79 51 / 29 47 77 oder per E-Mail entgegen: [email protected].