Eine weitere Chance will das Schöffengericht mit seinem Urteil einem 28-jährigen gebürtigen Kasachen mit deutschem Pass mit seinem Urteil geben: Der Mann, für den es das Gericht als nachgewiesen sieht, innerhalb von drei Monaten im Spätsommer 2018 rund acht Kilogramm Cannabis im Raum Crailsheim verkauft zu haben, soll so schnell wie möglich die Chance bekommen, einen Entzug zu machen. Er ist selbst schwer süchtig nach Marihuana. Nach der Aussage von elf Zeugen und einem ganztägigen Prozess soll der Dealer für viereinhalb Jahre hinter Gitter – und seinen prognostizierten Gewinn aus diesen Straftaten von rund 39.000 Euro an die Staatskasse zahlen. Außerdem trägt er die Kosten der Verhandlung.
Im Oktober 2018 klickten in Crailsheim die Handschellen – nachdem kurz zuvor der Lieferant mit zwei Kilogramm Cannabis vor dem Haus des Angeklagten verhaftet worden war. Seitdem sitzen beide in Untersuchungshaft. Die Polizei hatte, wie Beamte als Zeugen berichten, das Duo schon bei mehreren Übergaben observiert. Die meisten fanden in Obersontheim statt, wo der Komplize des 28-Jährigen bis zu seiner Verhaftung wohnte.
Beobachtet wurde jeweils, wie der Angeklagte eine leere Tasche mitbrachte, die er laut den Ermittlern gefüllt nach den kurzen Treffen in aller Öffentlichkeit wieder mitnahm. Die Größe der Taschen hätte in den meisten Fällen auch zugelassen, dass zwei Kilo des Rauschgifts hineingepasst hätten. Da der Inhalt nicht überprüft wurde, warf ihm die Staatsanwaltschaft pro Übergabe in ihrer Anklage nur eine Menge von einem Kilogramm Marihuana vor.
Bis zu 50 Abnehmer
Den Eigengebrauch abgezogen, kam man so auf die rund acht Kilogramm, die der Crailsheimer an bis zu 50 Abnehmer in kleinen Dosen weiterverkauft haben soll. Insgesamt summieren sich die Vorwürfe, die der erste Staatsanwalt Armin Burger vorträgt, auf elf Taten – darunter zusätzlich auch noch der Besitz von 92 Gramm Haschisch, die bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten entdeckt wurde.
Gleich zu Beginn der Verhandlung redet Richter Gerhard Ilg dem Angeklagten ins Gewissen, bevor dieser die Möglichkeit bekommt, sich zu den Beschuldigungen zu äußern. Er fasst kurz zusammen, was unbestreitbar sei: die Treffen mit dessen Komplizen, von der Polizei überwachte Telefongespräche mit diesem und den Abnehmern, die inhaltlich ohne Sinn gewesen seien, sondern nur der Vereinbarung von Treffen dienten. Zudem das psychiatrische Gutachten, das ihm die Cannabis-Sucht quasi attestiert – und seine Vorstrafen. „Sie kommen nicht daher, wie einer, der mit 28 Jahren einmal abgerutscht ist“, so Ilg. Es komme ihm so vor, als habe sich der Angeklagte dazu entschieden, im Sommer 2018 nicht in einer Fabrik zu schwitzen, sondern Einkünfte über den Drogenhandel zu erzielen. Drei Männer, die in Obersontheim, Crailsheim und Backnang Cannabis im Kilobereich verkauften – da sei Schluss mit lustig. „Es ist eine erhebliche Straftat. Da ist keine übergroße Milde zu erwarten“, erklärt der Richter. Und dann gebe es ja noch die Pläne des Mannes, der verlobt ist und eine Familie gründen wolle. Der Richter meint: „Der Ball liegt nun bei Ihnen.“
Angeklagter gesteht
Die Worte fruchten: Über seinen Pflichtverteidiger Hans Bense räumt der 28-Jährige ein, die Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Allerdings sollten der überschaubare Zeitrahmen des beobachteten Handels, die eigene Abhängigkeit des Angeklagten und dass es wenige Zeugen gebe, die redeten, sowie die Tatsache, dass es sich „nur“ um Marihuana handelte, beim Urteil berücksichtigt werden.
Dass Zeugen schweigen, wenn ihnen etwas im Bereich Betäubungsmittel vorgeworfen wird, beweist sich. Der Obersontheimer Komplize, der in Ketten aus der Stuttgarter Vollzugsanstalt vorgeführt wird, macht keine Angaben. Zwei Zeugen bestätigen nur, mit diesem Komplizen Geschäfte gemacht zu haben, würden den Angeklagten aber nicht kennen.
Eine lange Liste von Vorstrafen liest Ilg aus den Akten des 28-Jährigen vor, darunter mehrfaches Fahren ohne Führerschein unter Alkohol, Diebstähle, auch versuchter Raub mit versuchter Körperverletzung. „Ich war jung und dumm“, versucht der Angeklagte, sich zu verteidigen. Dass er immer der Gruppenclown war und Dinge nicht ernst nahm, das ist deutlich auch heute noch an manchen Reaktionen während der Verhandlung zu erkennen.
Staatsanwalt Burger fordert am Ende sechseinhalb Jahre Haft, eine Unterbringung in einer Entzugsanstalt für neun Monate und 54.000 Euro einzuziehen. Verteidiger Bense will kein Strafmaß vorgeben. Ihm ist allerdings wichtig, dass der Crailsheimer schnell therapiert wird. Das Schöffengericht verhängt am Ende viereinhalb Jahre Haft. Einen der Gründe, die Ilg nennt: „Man muss fair sein. Er steht zu dem, was ihm vorgeworfen wird.“