Malerisch, mittelalterlich, märchenhaft – für Touristen ist Rothenburg die perfekte Selfie-Kulisse. Einen jungen und modernen Blick auf den schützend von einer Stadtmauer umringten Ort haben Johannes Keitel, Lara Huß, Markus Hanna und Hamid Soltani. Sie erzählen, warum die Stadt für sie lebens- und liebenswert ist.

Zurück aus Indien

Als Jugendlicher fand Markus Hanna seinen Heimatort uncool. Er zog weg und verbrachte ein Auslandsjahr in Barcelona. Erst als eine Freundin aus Spanien beim Rothenburg-Besuch ins Schwärmen geriet, relativierte sich sein Blick auf den Ort. Leben wollte er dort noch immer nicht. Stattdessen tingelte er mit seinem Bruder zweieinhalb Jahre durch Indien und Südostasien, ließ sich dort zum Yoga-Lehrer ausbilden und kehrte im März 2020 zurück, um seine Reisekasse aufzubessern. Dann passierte etwas, womit der heute 29-Jährige nicht gerechnet hatte. „Ich habe Rothenburg und Deutschland neu lieben gelernt, war beeindruckt, wie sauber und ordentlich dieses Land ist, und bin zum Kleinstadt-Menschen geworden“, erzählt er. Albert Einstein habe einmal gesagt „Was weiß ein Fisch von dem Wasser, in dem er sein ganzes Leben lang schwimmt?“ Genauso sei es ihm gegangen. Er musste erst weggehen, um zu erkennen, wie schön es zu Hause ist. „Wenn ich etwa durch die Stadt laufe, treffe ich immer jemanden, den ich kenne, und das genieße ich sehr.“ Inzwischen gibt Markus seine Leidenschaft und Begeisterung für Yoga in seinem eigenen Studio weiter. „Mein Körper fühlt sich durch Yoga weich und geschmeidig an, ich fühle mich entspannt, leistungsfähig und von innen heraus selbstbewusst.“ Das ist es, was er an Yoga so liebt. An seiner Heimatstadt schätzt er die Nähe zur Natur – „ich bin in wenigen Minuten im wunderschönen Schandtaubertal“ – und das kulturelle Angebot für junge Leute, etwa von „Grenzkunst“.
Mitgründer vom Verein Grenzkunst ist Johannes Keitel. Auch der 28-Jährige ist im Tauberstädtchen aufgewachsen und nach dem Studium zurückgekehrt. Mit seinen besten Freunden Oliver Götz, Lina und Florian Schmalbach sowie seinem Bruder Stephan Keitel entwickelt er seit 2013 alternative Kulturformate im Ehrenamt: Das Eulenflug-Festival mit elektronischer Musik, zu dem Gäste aus dem ganzen Bundesgebiet nach Mittelfranken pilgern, das technoide Sundowner-Festival im Wildbad, und RaumZeit, ein klassisches Konzert mit Filmmusik. Hinzu kommen unter dem Dach der GbR „formatF“ das Silvesterfunkeln mit Lichtkunst statt Feuerwerk auf dem Marktplatz, zu dem sich 2500 bis 3000 Rothenburger zum Jahreswechsel treffen, und das Triell kurz vor der Bürgermeister- beziehungsweise Bürgermeisterinnen-Wahl. Jüngere Formate sind der Burggarten-Floor des Taubertal-Festivals mit Lesungen, elektronischer Musik und Yoga-Sessions oder der alternative Weihnachtsmarkt „Winterglühen“ im Burggarten mit breitem Bühnenprogramm vom emotionalen Singer-Songwriter bis hin zum Rap-Duo, kombiniert mit vegetarischen und veganen Speisen und regionalem Glühwein. Seit Oktober 2020 betreiben die Fünf die „Landwehr-Bräu am Turm“, ebenfalls mit Konzerten, etwa Punk, Techno oder Musik von Singer-Songwritern, sowie einem Kneipenquiz. „Es gibt ein offenes Format für alle und ein Liga-Format mit zwölf unterschiedlichen Teams, die seit eineinhalb Jahren regelmäßig gegeneinander antreten“, berichtet Johannes.
„Wir sind sehr glücklich darüber, wie gut der Laden läuft, obwohl wir ja mitten in der Pandemie eröffnet haben.“ Ein kunterbuntes Publikum jeden Alters treffe sich dort wie in einem Wohnzimmer. Menschen, die Neuem gegenüber aufgeschlossen sind, und die sich in den ersten Monaten des Sraßenverkaufs die breite Treppe hoch zur Burgmauer als Open-Air-Treffpunkt erschlossen haben – heute ein Lieblingsplatz von Johannes. Aus Überzeugung werde nur Vegetarisches und Veganes angeboten. Leckere Alternativen gebe es zuhauf, zum Beispiel „unsere vegane Bratwurst auf Erbsenbasis“, macht Johannes neugierig. Ökologie, Nachhaltigkeit und eine verantwortungsbewusste und von humanistischen Werten getragene Programmgestaltung sind ihm und seinen Freunden wichtig. Als Beispiel führt er das Eulenflug-Festival mit einer Frauenquote von fast 50 Prozent an, „was im elektronischen Bereich eher außergewöhnlich ist“, meint Johannes. Zusammengetan haben sie sich, um in „der vielleicht kleinsten Weltstadt“ zu etablieren, was ihnen fehlt. Durch den Austausch untereinander, die vielen „bespielbaren Orte“ und die gute Zusammenarbeit etwa mit Rothenburg Tourismus Service sprudeln immer wieder neue Ideen hervor. Zum Beispiel eine Märchenwelt in der Vorweihnachtszeit und das „Hinterhoffest“ vom 12. bis 14. Mai, eine Premiere.
Ebenso wie Johannes Keitel wohnt Lara Huß in der Altstadt. Die 34-Jährige aus Forchheim kannte Rothenburg „nur vom Hörensagen“, bis sie zu ihrem Verlobten Tim Schurz zog und sich in eines der ältesten Bauwerke des Ortes verliebte. Zusammen mit der Familie hat das Paar das ehemalige Türmerhaus renoviert. „Wochenlang war das unser gemeinsames Samstagsprojekt“, erzählt sie lachend. Heute wohnt Lara aus Platzgründen nicht mehr in dem Haus, doch die Liebe zum Alten ist auch in ihrem neuen Domizil in Form einer Wand mit freigelegter Mauer sichtbar. „Einkäufe, etwa auf dem Wochenmarkt, kann man zu Fuß erledigen. Man erhält hochwertige, regionale Lebensmittel und ich mag das hippe und nachhaltig gemachte, kulturelle Angebot für meine Generation.“ Lara schwärmt vom alternativen Weihnachtsmarkt im Burggarten, vom Silvesterevent auf dem Marktplatz und von ihrem Lieblingscafé „Lebenslust“ an der Jakobskirche. Die Touristenströme, die sie im Homeoffice von ihrem Fenster aus auf der Stadtmauer beobachten kann, stören sie nicht im Geringsten. „Ich lebe da, wo andere Urlaub machen“, freut sie sich. „Rothenburg ist meine Wahlheimat und ich kann mir keinen schöneren Ort zum Leben vorstellen.“
„Jedes Jahr, wenn die Familie zum Geburtstag zusammenkommt, gehen wir im Taubertal wandern. Das ist schon Tradition“, erzählt Lara. Ihr Verlobter Tim radelt gern auf dem Mountainbike durch die schöne Natur. Ihr gemeinsamer Lieblingsplatz ist der Spielplatz vor der Stadtmauer im Burggraben. Dort steht eine Bank mit Tisch. „Als wir in dem alten Haus ohne Garten lebten, sind wir am Abend oft mit einer Flasche Wein dorthin gelaufen“, erzählt sie. „Der Ausblick ins Taubertal ist herrlich und man kann von dort die allerschönsten Sonnenuntergänge erleben.“

Jeder kennt jeden

In der Nähe von Laras früherem Zuhause, in der Weinstube zum Pulverer, arbeitet Hamid Soltani im Nebenberuf. Er ist Kurde, flüchtete aus dem Iran und erreichte in einem viel zu kleinen Boot das europäische Festland. An einem dunklen Abend Ende Januar 2016 traf er in Rothenburg ein. So still und menschenleer sei es gewesen, dass er sich in einem unbewohnbaren, mittelalterlichen Museum wähnte. Inzwischen engagiert sich Hamid ehrenamtlich bei der Nachbarschaftshilfe „Die Wegwarte“, im Migrationsbeirat und spricht gut Deutsch. Weil der alleinerziehende Vater so schnell wie möglich Arbeit finden wollte, absolvierte er eine Ausbildung als Produktionsfachkraft Chemie und ist heute in unbefristeter Anstellung in der Qualitätssicherung im Labor beschäftigt. Hamid hat Freunde gefunden, für die er manchmal iranisch kocht – mit viel Gemüse und vielen Gewürzen. „Das Essen dauert dann zwei bis drei Stunden“, sagt er. In seiner Freizeit spielt er Volleyball und geht regelmäßig joggen. Seine Lieblingslaufstrecke führt ihn durch das Taubertal nach Steinbach und wieder zurück.
„In Rothenburg kennt jeder jeden“, erzählt Hamid. Etwas, was er sehr mag, und was so ganz anders ist als in der anonymen 15-Millionen-Stadt Teheran. Sein größtes Geschenk sei jedoch die Sicherheit, die er in der fremden Stadt gefunden habe. Diese ganz andere, freie Welt, in der man „nicht ständig in Angst leben“ müsse, sondern alles sagen könne, was man wolle. „Mein Sohn Armin und ich fühlen uns total glücklich hier, und wenn wir kleine Probleme haben, etwa auf der Arbeit oder in der Schule, dann bleiben wir cool“, sagt Hamid. „Rothenburg ist für uns zur Heimat geworden und hier möchten wir auch bleiben.“
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What the Fact

Landkreis: Ansbach in Bayern
Einwohner: rund 11 340
Typisch Rothenburg:
Mittelalterstadt mit begehbarer Stadtmauer, Toren und Türmen, Plönlein, Kriminalmuseum, Wildbad.
Feiern? Ja, gern!
Meistertrunk, Reichstadttage, Weinfest, Taubertal-Festival, Eulenflug-Festival, Reiterlesmarkt, Silvesterglühen uvm.
Probier mal!
Das Gebäck „Schneeballen“
Perfekter Selfie-Hotspot:
Meistfotografiert ist das Plönlein. Außergewöhnlicher ist die blumenbekränzte Tür gegenüber vom Café Lebenslust in der Kirchgasse.