Den Dingen auf den Grund zu gehen, ist Wilhelm „Willi“ Holls lebenslange Leidenschaft. Er war gern Polizist und – unter anderem bedingt durch seine leitende Position bei der Stuttgarter Flughafenpolizei – als Experte in Sachen Flugsicherheit in afrikanischen Kriegsgebieten eingesetzt, in Äthiopien ebenso wie in Kenia oder Uganda. Privat ist er mit derselben Neugier und Beharrlichkeit als Heimatforscher rund um Ingersheim tätig. Es war wohl seine ebenfalls sehr interessierte Mutter, die dem heute 68-Jährigen erstmals von den uralten Gräbern bei Wittau erzählt hat. Ein faszinierendes Thema für ihn wie für Generationen anderer fantasiebegabter Kinder im Crailsheimer Raum.
Holl erinnert sich gut, wie er als Schüler am Albert-Schweitzer-Gymnasium die alten deutschen Gedichte liebte und die Burg Lohr oder auch die abgegangene Pfannenburg bei Alexandersreuth erkundete. Wie er mit dem Schäufelchen die alten, damals noch nicht überbauten Gipsbrüche durchstreifte, zwar nie etwas fand, sich aber vorstellte und nachspielte, wie die Menschen damals lebten, wie sie sprachen.
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Am Anfang war der Steinbruch

Die älteste Quelle zum alamannisch-fränkischen Reihengräberfeld ist die „Zeitschrift des Historischen Vereins für Württembergisch Franken“ aus dem Jahr 1864: „Man ist vor 25 Jahren auf dieses Gräberfeld gestoßen, indem man anfing, die obere Erdschicht abzutragen zur Eröffnung eines Gipssteinbruchs.“
Seither wurde einiges in Erfahrung gebracht, etwa dass das Gräberfeld wahrscheinlich im fünften und sechsten Jahrhundert angelegt, spätestens 720 aufgegeben und wenig später zumindest in Teilen von Grabräubern ausgeräumt wurde. Die verbliebenen Grabbeilagen zeugen vom täglichen Leben der Menschen damals und von ihrer Sozialstruktur: Es waren reiche Bauern und Krieger, die dort bestattet wurden. „Richtig reiche Leute“, sagt Holl, der zuletzt im Heft 4 der Crailsheimer Geschichtsblätter zu diesem Thema geschrieben hat.

Historische Schätze

Die Fundstücke aus Ingersheim sind längst in Stuttgart, Berlin und Hall zu finden. Dass die Crailsheimer so viel über sie wissen, ist in erster Linie Willi Holl zu verdanken, der unter anderem das „Schwert von Ingersheim“ akribisch bewertet und beschrieben hat. Dieses Schwert ist nach den Unterlagen des Landesdenkmalamts Baden-Württemberg waffentechnisch höher einzuschätzen als das Schwert des Königs Raedwald (Eastanglia) aus dem Schiffsgrab von Sutton Hoo. Dieses Schiffsgrab samt Beigaben ist immerhin Weltkulturerbe.
„Nach allen Erkenntnissen lag in alamannischen und fränkischen Siedlungen der Friedhof immer im Umkreis von rund 400 Metern und oberhalb des Dorfs; Holl geht also davon aus, dass dieser Ort, der sich vermutlich Witzelingen nannte, auf trockenem Gelände in Richtung Ingersheim und Crailsheim lag. Außerdem bedauert er sehr, dass am Sulzbrunnen nicht gegraben wurde, solange das noch möglich war. Auch das habe sich nämlich gezeigt: Quellen und heilige Haine seien ergiebige Fundorte. Aber als man hätte nachforschen können und sollen, war er im Somalia-Krieg.
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Vorsichtig mit den Aussagen

Für Holl ist es vor allem wichtig, die damalige Zeit nicht mit heutigen Maßstäben zu bewerten. Er sei deshalb sehr vorsichtig mit Aussagen zu dieser frühen Vergangenheit des Crailsheimer Raums: Vieles sei schlicht nicht gesichert. Vielfach bezieht er sich auf den Mittelalter-Gelehrten Arno Borst, etwa wenn er sagt, Geschichte lasse sich nicht ausstellen. „Funde sagen wenig aus, wenn sie nicht den geistigen Kontext beschreiben.“ Und das sei vor allem dann sehr schwer, wenn es aus einer Zeit keine schriftlichen Quellen gebe. So begannen die Alamannen erst um 450 bis 500 vor Christi Geburt damit, Reihengräber anzulegen. Vorher wurden die Toten verbrannt – aus dieser Zeit lässt sich also noch weniger sagen. Holl: „Es gilt aber als sicher, dass die Gegend unmittelbar nach der Zeit der Römer weitgehend siedlungsleer war.“

Der Handel mit Salz

Er interessiert sich brennend für den „machtstrukturellen Kontext“, in dem die Crailsheimer Siedlung aufgebaut wurde; Machtzentren in jener Zeiten waren etwa die Stöckenburg bei Vellberg oder die Gelbe Burg bei Gunzenhausen. Über Verbindungen lasse sich anhand von Funden nur wenig sagen, so Holl. Sicher sei lediglich der Zusammenhang zwischen der Salzgewinnung und den Handelswegen und dass bereits um 350 Krieg geführt wurde um dieses Salz. Auch, dass Ingersheim an einer der uralten Handelsstraßen liege, nämlich am Fernweg Richtung Nördlingen, der weiter an die Donau führt.
Ebenso interessant sind für Holl die Besitzverhältnisse. Für ihn steht fest, dass damals die sogenannte Grundherrschaft entstanden ist – Privilegien mithin, aus denen sich der Adel bis zur Zeit des ersten Weltkriegs legitimierte – und dass mit Sklaven gearbeitet wurde.
Es gibt noch so viel zu tun, so viel herauszufinden. Für den Hobby-Historiker mit der unstillbaren Neugier ist das eine unglaublich reizvolle Herausforderung.

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