„Jedes Mal, wenn ein Zirkus in die Stadt kommt, haben wir eine Diskussion.“ Diese Worte richtete Ende 2016 der damalige AWV-Fraktionsvorsitzende Norbert Berg an den Crailsheimer Gemeinderat und die Stadtverwaltung. Und auch drei Jahre, nachdem der Gemeinderat einen Beschlussvorschlag für ein Wildtierverbot für Zirkusse auf städtischen Flächen der Stadt abgelehnt hat, treffen diese Worte noch zu. Denn der Crailsheimer Weihnachtscircus, der auch Wildtiere mitführt, wird vom 20. Dezember bis zum 5. Januar wieder einmal am Rossfelder Kreisel gastieren - und wirbt unter anderem mit Seelöwen und „einer der letzten Elefantenherden, die man in einem Zirkus erleben kann“.
Das schmeckt vielen Bürgern gar nicht – so wie Clarissa Borchert. Die 32-jährige Crailsheimer Grafik-Designerin und Heilerziehungspflegerin ist seit vielen Jahren Tierschützerin, hat für einige Zeit auf einem Gnadenhof gearbeitet und in den vergangenen Jahren einige (Wild-) Tiere vor dem Tod bewahrt. Der Anblick der Werbeplakate des Crailsheimer Weihnachtscircusses war für sie unerträglich - weshalb sie sich jüngst auf Facebook an die Öffentlichkeit wandte.
„Es wird „Die letzte Elefantenherde“ präsentiert, die vor allem durch apathisch-depressives Hin-und-Her-Stapfen und starre Blicke die kleinen unwissenden Kinder begeistern soll“, schreibt sie in ihrem Facebook-Post in Bezug auf die Plakate. „Des weiteren trifft man dort einen Seelöwen an, der vermutlich keine Ahnung hat, was das Meer ist (und das ist wohl der geringste Schaden).“ Der Post wurde bislang 196 Mal geteilt - ein Zeichen dafür, dass das Thema nach wie vor präsent in Crailsheim ist.

Tierschützerin beklagt fehlendes Wildtierverbot in Crailsheim

Für Borchert, die versucht, weitestgehend vegan und CO2-neutral zu leben, und viele andere ist die Dressur und die Vorführung von Wildtieren in Zirkussen grundsätzlich Tierquälerei – anders als die Vorführung von Nutz- und Haustieren wie beispielsweise Hunden, die über Jahrtausende vom Mensch domestiziert worden sind. „Da muss man abwägen nach Spezies, Rasse und dem Charakter des einzelnen Tiers“, präzisiert Borchert im Gespräch mit swp.de. Besonders das Bild der Elefanten auf den Plakaten versetzte ihr einen Stich, nachdem der Dokumentarfilm „Love & Bananas“ sie im August dazu bewegt hat, sich dem Verein „Future for Elephants“ anzuschließen. „Der Film war wie eine eiskalte Dusche“, erklärt die Crailsheimerin. „Er war ein erschreckendes Mahnmal, mit welcher Brutalität der Wille der Elefanten in Asien gebrochen wird.“
Ihre Frustration über den Weihnachtscircus ist nicht neu – schon vor vielen Jahren protestierte sie gegen ihn und andere Zirkusse mit Wildtieren, so unter anderem 2013. Umso größer ist aber ihre Frustration, dass sich die Stadt Crailsheim bislang nicht zu einem Wildtierverbot für Zirkusse durchringen konnte. „Es ist für mich unverständlich, dass man in diesem modernen Crailsheim, mit seiner neuen Marketingkampagne und dem angeblich frischen Wind, immer noch so etwas zulässt“, schreibt Borchert auf Facebook. Und sie prangert an, dass der Weihnachtscircus den Namen der Stadt Crailsheim verwendet: „Sieht man mit Absicht weg, interessiert es niemanden, wenn im Namen der Crailsheimer Tiere gequält werden?“

OB Grimmer stellt die Position der Crailsheimer Stadtverwaltung zum Weihnachtscircus dar

Eine Antwort der Crailsheimer Stadtverwaltung auf den FB-Post ließ nicht lange auf sich warten. Oberbürgermeister Dr. Christoph Grimmer äußerte sich höchstpersönlich auf Facebook dazu - und räumte mit ein paar Vorurteilen auf. So stellte er richtig, dass Crailsheim nicht Auftraggeber des Weihnachtscircusses sei und ihn auch sonst weder finanziell noch in anderer Weise unterstütze. Dass der Circus Crailsheim im Namen trägt, sei auch nicht die Entscheidung der Stadt gewesen. „Die Stadt hat wenig bis keine Handhabe dagegen, dass der Zirkus den Zusatz „Crailsheim(er)“ in seiner Ankündigung verwendet“, schreibt der Oberbürgermeister. Der Grund? „Rechtlich ist hierbei nicht von einem Namensgebrauch auszugehen sondern von der Verwendung des Wortes als geographischer Hinweis.“
Was die Nutzung von Wildtieren im Weihnachtscircus angeht, erinnert Grimmer daran, dass der Circus nicht nur jährlich vom Veterinäramt des Landkreises auf eine „artgerechte Haltung“ der Tiere kontrolliert werde sondern auch eine behördliche Erlaubnis für das gewerbliche Vorführen von Tieren in Zirkussen besäße - gemäß der aktuellen Tierschutzgesetzgebung des Bundes seien Kommunen ohne eigenes Wildtierverbot an diese Erlaubnis gebunden.
Zuletzt verwahrt sich der OB gegenüber dem Vorwurf, es läge auch an der Stadtverwaltung, dass es ein solches Verbot in Crailsheim bislang nicht gäbe. Neben der mehrheitlichen Ablehnung des Beschlussvorschlags durch den Gemeinderat im Jahr 2016 erwähnt er dabei auch das Jahr 2012: „Im Hinblick auf ein Verbot auf öffentlichen Flächen gab es im Juli 2012 in Crailsheim einen Bürgerantrag an die kommunalen Gremien, der aber nicht zur Beratung angenommen wurde.“

Stadtverwaltung will 2020 einen neuen Beschlussvorschlag für ein Wildtierverbot fertigen

Grimmer kündigt nichtsdestotrotz an, dem Gemeinderat im Jahr 2020 erneut einen Beschlussvorschlag für ein Wildtierverbot auf städtischen Flächen zu unterbreiten - dass der Post von Clarissa Borchert auf Facebook solche Wellen geschlagen hat, gefällt ihm aber nicht. Der Grund: Er sieht die Gefahr, dass aufgrund „von Halbwissen Stimmung gemacht, gehetzt und die Stadt Crailsheim in Misskredit gebracht wird für Sachverhalte, die sie rechtlich nicht zu verantworten hat.“ Deshalb fordert er Umweltaktivisten und Tierschützer in seinem eigenen Post dazu auf, sich bei künftigen Anliegen erst direkt an die Stadtverwaltung und ihn zu wenden, bevor die sozialen Medien bemüht werden.
Clarissa Borchert hingegen fühlt sich von der Resonanz im Netz bestätigt - und hat dort auch bereits Kontakt zu Stadträten aufgenommen. „Jetzt gilt es: Sprecht weiter über dieses Thema und bezieht bitte Stellung“, schreibt sie in den Kommentaren zu ihrem ursprünglichen Post. „Auch vor den Gemeinderäten, aber immer respektvoll und mit Köpfchen, sonst erzielen wir keine Erfolge!“

Gräbt ein Wildtierverbot Zirkussen das Wasser ab?

Nachvollziehbare Gründe gegen ein Wildtierverbot fallen ihr nicht ein: „Würde die Stadt Geld am Zirkus verdienen, wäre das für mich das einzige nachvollziehbare Argument gewesen - wobei ich es natürlich nicht geteilt hätte.“ Erinnert man sich allerdings an die Debatte im Jahr 2016 zurück, erkennt man, dass – abseits der Uneinigkeit darüber, ob es sich wirklich um Tierquälerei handelt – eines der Hauptargumente der Stadträte gegen das Verbot die Existenzen der Zirkusverantwortlichen waren. So sprachen damals sowohl Dennis Arendt (SPD) als auch Uwe Berger (CDU) offen das Problem an, zwischen Tierschutz und der freien Berufsausübung der Zirkusleute abzuwägen. Auch der kulturelle Mehrwert von Zirkussen wurde – letztlich erfolgreich – gegen ein Wildtierverbot ins Rennen geworfen.
Diesen sieht auch Clarissa Borchert. Doch ihrer Meinung nach können Zirkusse auch ohne Wildtiere auskommen: „Zirkusse haben mehr als nur eine Daseinsberechtigung. Das Kulturwochenende ist doch der beste Beweis dafür, wie gut die Vorstellungen der verschiedensten Künstler und Akrobaten ankommen.“
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Für die 32-Jährige ist das fehlende Wildtierverbot ein Mangel, der es der Stadt trotz ihrer neuen Werbekampagne und Öffentlichkeitsarbeit sowie ihren zahlreichen Events unmöglich macht, komplett einem modernen Zeitgeist zu entsprechen – und damit gerade jüngeren Menschen die Identifikation mit der Stadt erschwert. „Zirkusse mit Wildtieren sind überhaupt nicht mehr zeitgemäß“, so Borchert. Und sie bleibt dabei: „Die Verwendung des Stadtnamens ist aus meiner Sicht ein Imageschaden.“

Bundespolitik stellt sich nach wie vor gegen ein Verbot

Ob der erneute Beschlussvorschlag der Crailsheimer Stadtverwaltung im Jahr 2020 aber auf fruchtbareren Boden als im Jahr 2016 fallen wird, bleibt abzusehen. Denn zum einem könne sich ein Wildtierverbot für Zirkusse – wie Oberbürgermeister Grimmer auf Facebook präzisiert – nur auf städtische, nicht aber auf private Flächen beziehen. Auf den Weihnachtscircus, der auf einem Privatgrundstück stattfindet, hätte das also keine Auswirkungen. Und zum anderen verklagen Zirkusse häufig Städte, in denen bereits ein Wildtierverbot beschlossen wurdeund das nicht selten erfolgreich.
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Gerade deshalb setzen viele Kommunen in Deutschland ihre Hoffnungen nicht auf kommunale Sonderregelungen sondern auf ein Wildtierverbot auf Bundesebene. Dieses wird es aber nach wie vor erst mal nicht geben. Erst am 23. Oktober lehnte der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft des Bundestags nach einer ausführlichen Anhörung einen Antrag der Grünen-Fraktion zu einem Verbot von Wildtierhaltung in Zirkussen mehrheitlich ab (der Bericht dazu kann unter diesem Artikel heruntergeladen werden).
Es scheint daher nicht sehr wahrscheinlich, dass dies die Crailsheimer Stadträte, die ihre Ablehnung 2016 bereits mit einem Verweis an die Bundespolitik begründeten, 2020 für ein kommunales Verbot begeistern wird.