Es ist ein Reizthema: das Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV. Besonders umstritten: die Möglichkeit der Jobcenter, Sanktionen zu erheben, falls ein Leistungsempfänger gegen Regelungen aus einer Eingliederungsvereinbarung verstößt und etwa eine zumutbare Arbeit oder Fördermaßnahme nicht antritt oder abbricht. Bei der ersten Pflichtverletzung kann die Leistung um 30 Prozent des Regelbedarfs gekürzt werden, im Wiederholungsfall innerhalb eines Jahres bisher um 60 Prozent. Beim dritten Verstoß konnte sie sogar ganz inklusive Unterkunftskosten gestrichen werden – jeweils für die Dauer von drei Monaten.
Den beiden letzteren Sanktionsmaßnahmen hat das Bundesverfassungsgericht nun einen Riegel vorgeschoben: Im November hat das Gericht entschieden, dass Leistungskürzungen um 30 Prozent verfassungskonform sind, nicht aber höhere Kürzungen oder gar das komplette Streichen. Bringt das Urteil die Diskussionen um das Thema zum Verstummen? Welche Auswirkungen hat es nach rund einem Monat auf die Arbeit des Jobcenters im Landkreis? Und wie wird es von Gewerkschaften und Arbeitgebervertretern in der Region aufgenommen?
Urteil des Bundesverfassungsgerichts schafft Klarheit und Sicherheit bei Hartz-IV-Sanktionen
Begrüßt wird das Urteil vom Jobcenter im Landkreis Schwäbisch Hall: „Das Gericht hat nun Klarheit geschaffen, in welchem Umfang Sanktionen zulässig sind. Es hat auch den Grundsatz des Förderns und Forderns sowie die Mitwirkungspflichten bestätigt“, sagt Geschäftsführer Alexander Blind. Seinen Mitarbeitern gebe das Urteil Sicherheit. Auch die Arbeitgeberseite zeigt sich zufrieden: „Das Bundesverfassungsgericht hat im Grundsatz den Zusammenhang von Fördern und Fordern in der Grundsicherung verfassungsrechtlich bestätigt. Sanktionierungen bleiben in Grenzen möglich“, fasst Jörg Ernstberger, Geschäftsführer der Geschäftsstelle Heilbronn/Region Franken des Unternehmensverbands Südwest (USW) zusammen. Dies sei zu begrüßen, da solidarisch: „Schließlich finanzieren die Steuerzahler den Bezug von Hartz IV.“
Nur als Teilerfolg bewerten dagegen die Gewerkschaften das Urteil: Silke Ortwein, Gewerkschaftssekretärin in der DGB-Regionsgeschäftsstelle Heilbronn, bezeichnet es als inkonsequent: „Das Urteil hat ja in seiner Begründung ausgeführt, dass Hartz IV die finanzielle Untergrenze markiert, mit der man in dieser Gesellschaft gar noch menschenwürdig leben kann.“ Auf dieser Basis dürfte der Betrag eigentlich gar nicht durch Sanktionen gekürzt werden, weil das der Menschenwürde widerspreche. Bernhard Löffler, Regionsgeschäftsführer der DGB-Region Nord-Württemberg, argumentiert ähnlich, räumt aber ein: „Das Urteil ist dennoch ein kleiner Schritt hin zu mehr Sozialstaat und weg von Bestrafungen armer Menschen.“
Die Diskussionen scheinen trotzdem nicht beendet – vielleicht hat das Urteil, das für so viel Aufsehen gesorgt hat, dazu einfach zu wenig konkrete Auswirkungen. Alexander Blind etwa berichtet: „Über 90 Prozent der Leistungsberechtigten kommen mit Sanktionen überhaupt nicht in Berührung. Und drei von vier Sanktionen müssen ausgesprochen werden, weil vereinbarte Termine ohne Grund nicht wahrgenommen werden.“
Auch Ernstberger meint: „Harte Sanktionen bildeten nach meiner Kenntnis die absolute Ausnahme, sodass mit gravierenden Auswirkungen in der Praxis, was das Vorgehen der Behörde betrifft, wohl nicht zu rechnen sein wird.“ Ebenfalls keine großen Auswirkungen sehen die Gewerkschaften: Löffler und Ortwein stimmen zu, dass die Jobcenter nur selten sanktionieren und noch seltener Kürzungen über 30 Prozent aussprechen würden.
Jüngere brauchen jeden Cent
Eine Gruppe, für die das Urteil nicht gilt, sind unter 25-Jährige. Ihnen können bisher schon bei der ersten Pflichtverletzung die Regelleistungen für drei Monate entzogen werden – eine Praxis, welche die Bundesagentur für Arbeit nun ausgesetzt hat. „Das Urteil selbst erstreckt sich nicht auf den Personenkreis U 25“, bestätigt Blind. Inwiefern sich die Regeln auch auf sie auswirken, werde derzeit mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales abgestimmt. Blind bezieht klar Stellung: „Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund dafür, Jüngere härter zu sanktionieren. Eine Ungleichbehandlung aufgrund des Alters ist nicht gerechtfertigt.“ Hier liegt Blind mit dem DGB auf einer Linie: „Neben dem Gleichheits-Grundsatz sind es ja gerade junge Menschen, welche jeden Cent zum Lebensunterhalt brauchen“, sagt Löffler. Ortwein stimmt zu: „Gerade diese Gruppe hatte es besonders hart getroffen. Und warum soll etwas, das für einen über 25-Jährigen nicht rechtens ist, für einen jüngeren Menschen richtig sein?“
3,8
Prozent beträgt der Anteil an den 3752 Arbeitslosengeld-II-Berechtigten im Agenturbezirk Schwäbisch Hall-Tauberbischofsheim, gegen die Sanktionen verhängt wurden.