Der Zollernalbkreis ist etwas ganz Besonderes. Das ist nicht nur beim Wandern durch die wunderschöne Natur zu sehen. Auch wirtschaftlich unterscheiden sich die 917 Quadratkilometer von denen umliegender Landkreise. So arbeitet fast jeder Zweite in der Industrie – außergewöhnlich viel. In der Region Neckar-Alb – zu der auch die bevölkerungsreicheren Landkreise Reutlingen und Tübingen gehören – steigt die Zahl der Dienstleistungsunternehmen zwar ständig an, das Produzierende Gewerbe bleibt in den drei Landkreisen aber stabil, hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen ermittelt. Daran dürfte auch der Zollernalbkreis einen Anteil haben.
Es gebe in der Region zwar „stark wachsende Zukunftsfelder wie Künstliche Intelligenz, Biotechnologie, Medizintechnik und alternative Antriebstechniken“. Die Region verfüge aber dennoch über einen „starken industriellen Kern“ mit mehr als 100 000 Beschäftigen im Produzierenden Gewerbe, heißt es in der Publikation „Neckar-Alb in Zahlen 2022“.
Viele innovative Familienunternehmen
„Den Zollernalbkreis zeichnen starke, innovative Branchen aus. In der Textilindustrie ist die komplette Wertschöpfungskette vertreten, dazu Maschinenbau, Elektroindustrie und Medizintechnik“, sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der IHK Reutlingen Christoph Heise. „Es gibt viele innovative Familienunternehmen und großen Tüftlergeist.“ Im Sommer 2021 arbeiteten knapp 72 000 Menschen im Zollernalbkreis im produzierenden Gewerbe – 47 Prozent aller Beschäftigten; zum Vergleich: In Baden-Württemberg liegt dieser Anteil bei nur 35 Prozent. Die größten Unternehmen sind laut Datenbank „Die Deutsche Wirtschaft“: Gühring, Bizerba, Groz-Beckert, Blickle Räder+Rollen, Assa Abloy Sicherheitstechnik und Interstuhl Büromöbel.
„Schon im 18. Jahrhundert arbeiteten extrem viele Menschen in Ebingen und der Umgebung in der Textilbranche“, sagte der ehemalige Stadtarchivar von Albstadt Peter Lang einmal dieser Zeitung. Die jüngere Geschichte von Ebingen und Tailfingen sei geprägt von Textil und Metall. Auf den kargen Böden der Schwäbischen Alb war Landwirtschaft nicht sehr ertragreich. Mit der Zollernbahn kamen Maschinen und Material, Investoren und Arbeiter. Ebingen wurde zu einem Zentrum der Textilindustrie, die die Stadt ein Jahrhundert lang prägte. Textil-Firmen gibt es heute nur noch „eine Hand voll“, Metallfirmen dagegen noch viele.
Im Corona-Jahr Rekordumsatz
Im Corona-Jahr 2021 konnte das Verarbeitende Gewerbe in der Region Neckar-Alb sogar einen Rekordumsatz mit 10,7 Milliarden Euro verbuchen. Dies dürfte ebenfalls dem Zollernalbkreis mitzuverdanken sein, auch wenn der Kreis Reutlingen und seinen knapp 12 Milliarden Euro 2021 einen mehr als doppelt so hohen Umsatz im Verarbeitenden Gewerbe erreicht hat. „Die weltweite Nachfrage war hoch, eine Entwicklung, die sich auch im vergangenen Jahr trotz Ukraine-Krieg fortgesetzt hat“, sagt Heise.
Zwar sind in der Zukunft große Veränderungen durch den Strukturwandel in allen Branchen zu erwarten. Doch um die Industrie zwischen Haigerloch und Winterlingen ist es der IHK wegen des erwarteten Digitalisierungsschubs nicht bang: „Wenn sie nicht wandlungsfähig wäre, könnte sie heute nicht so viele Arbeitsplätze anbieten.“
Es wird mehr gearbeitet
Im „ZAK“ wird auch mehr gearbeitet. „Die Beschäftigungsquote, also der Anteil der Beschäftigten an allen Menschen im erwerbsfähigen Alter, liegt bei 64,6 Prozent – deutlich über dem Wert des Bundeslandes mit 63 Prozent“, sagt Heise. Der Kaufkraftindex allerdings ist zwar höher als im Deutschlandschnitt, aber niedriger als in Baden-Württemberg und Kreis Reutlingen. Dies könnte mit der höheren Arbeitsquote von Frauen zusammenhängen, die weiterhin weniger als Männer verdienen, überlegt Heise.
Um auch künftig als Region zu gedeihen, sieht die IHK Investitionen in Zukunftsfelder wie Künstliche Intelligenz oder Wasserstoff für nötig an. Digitale Infrastruktur, Start-up- und Innovationsförderung sowie Breitbandausbau und gute Mobilfunkabdeckung seien notwendig.
MIt blauem Auge davongekommen
Die Volkswirtschaft ist 2022 mit einem blauen Auge davongekommen. „Viele Unternehmen haben 2022 in einen Abgrund geblickt. Die Corona-Pandemie, der russische Angriff auf die Ukraine, gestörte Lieferketten und die explodierenden Energie- und Rohstoffkosten haben viele Betriebe an den Rand der Belastbarkeit geführt. Die Sorgen waren gewaltig. Am Ende lag das Wachstum jahresdurchschnittlich mit 1,9 Prozent höher als vielfach erwartet, schwächte sich aber mit voranschreitendem Jahresverlauf ab“, sagt Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Groß- und Außenhandel, Dienstleistungen. swp