Zumindest 52 Mal hat ein Mann seine Ehefrau vergewaltigt, einmal drangsalierte er die am Boden Liegende dermaßen heftig, dass eine Tochter sich nicht anders zu helfen wusste, als die Polizei zu rufen. Vergewaltigung und vorsätzliche Körperverletzung – das Gesetz sieht für solch brutale Straftaten erhebliche Freiheitsstrafen vor. An diesem Mittwoch kommt der Gewalttäter vor dem Amtsgericht Hechingen mit einer Bewährungsstrafe davon: ein Jahr, neun Monate.

Ehemann bekommt Bewährung - und psychologische Behandlung

Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Außerdem hat der Verurteilte 2000 Euro an das Frauenhaus Balingen zu zahlen, schließlich wird ihm auferlegt, sich in professionelle psychologische Behandlung zu begeben.
Dem Urteil geht eine Verständigung der Verfahrensbeteiligten voraus. Dazu wird die Hauptversammlung nach rund einer Stunde unterbrochen. Vorsitzender Richter ist Ernst Wührl, Maria Braasch und Dominique-Björn Barth sind die Schöffen. Ronny Stengel vertritt die Staatsanwaltschaft, Rechtsanwalt Axel Kästle verteidigt den Angeklagten.

Beide Ehepartner erscheinen vor Gericht

Richter und Staatsanwalt machen später deutlich, wie hart sie gerungen haben, angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe ein bewährungsfähiges Strafmaß in Betracht zu ziehen. „Wie schaffen wir es, dem Fall anders gerecht zu werden als mit einer Gefängnisstrafe?“, sagt Staatsanwalt angesichts der komplexen Verhältnisse in diesem Fall.
In dieser Verhandlungspause stehen die Eheleute, beide Mitte 40, schweigend vor dem Gerichtssaal 181. Als sie hereingerufen werden, küssen sie sich.
Zu dieser Verständigung führt eine Reihe von Punkten: Die Frau kehrte vor zwei Jahren nach einer einjährigen Trennung zu ihrem Mann zurück; sie verzeiht ihm; in dem Haushalt leben noch vier von sechs Kindern ständig; das Haus ist noch lange nicht abgezahlt; der Mann gesteht seine Gewalttaten; der Angeklagte ist nicht vorbestraft, es kam nicht nur zu erzwungenem Geschlechtsverkehr, sondern auch zu einvernehmlichem Sex.
Darüber hinaus zeichnete die Aussage eines erwachsenen Sohnes, Student der Rechtswissenschaft, ein einigermaßen versöhnliches Bild. Der Vater versuche inzwischen, mehr Interesse an der Familie zu zeigen, Dinge einzusehen, er sei empathischer geworden.

Angeklagter verspricht, sich zu bessern

„Sie können Ihrer Frau auf Knien danken“, sagt Staatsanwalt Ronny Stengel in Richtung des Angeklagten. Sie habe ihrem Mann die Brücke zu diesem Strafmaß gebaut. „Sehen Sie das als Chance für sich und Ihre Familie“, richtet sich der Vorsitzende Richter Ernst Wührl an den Gewalttäter.
„Wenn ich was versprochen habe, dann halte ich mich daran“, sagt der Verurteilte zu den Auflagen und den Ratschlägen für sein weiteres Verhalten. „Wir haben miteinander geredet. Er hat mir versprochen, dass alles besser wird. Ich will, dass wir das schaffen“, sagt die zierliche Frau mit leiser Stimme bei der Verhandlung. Die beiden kamen Anfang der 90er-Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks nach Deutschland. Seit 22 Jahren sind sie verheiratet.
Der Staatsanwalt geht davon aus, dass die Vergewaltigungen nie ans Licht gekommen wären, hätte nicht eine Tochter am 13. März 2020 die Polizei ins Haus der Familie nach Albstadt gerufen.
Der Vater stand und kniete offenbar auf der Mutter. Der Streit eskalierte, weil der Vater einen Brief eines vermeintlichen Verehrers in der Handtasche der Mutter gefunden hatte. Während der Verhandlung hat er eingeräumt, dass er eifersüchtig ist. Doch auch schon zuvor sei es immer wieder zu körperlichen Übergriffen des Mannes gekommen. Regelmäßig wurde die Frau geohrfeigt sowie mit Fäusten geschlagen. Und vergewaltigt.
Sie habe geweint, sich in ihre Bettdecke eingeschlagen, sagt die Frau vor Gericht aus. Doch diese Signale habe ihr Mann stets ignoriert, ihr die Unterwäsche zerrissen, sie an manchen Tagen mehrmals zum Sex gezwungen. Dabei habe er Gewalt angewendet, ihr auch die Beine auseinandergedrückt. „Irgendwann einmal habe ich mich nicht mehr gewehrt, es einfach geschehen lassen“, sagt die Mittvierzigerin.

Martyrium begann, als die Frau eine Arbeitsstelle fand

Der verurteilte Mann nahm seine Gewalttaten nicht als solche wahr: „Sex in der Ehe ist normal. Vielleicht war ich mal ein bisschen grober. Aber ich habe meine Frau nie vergewaltigt“, sagt er zunächst vor Gericht. In jeder Woche sei es zumindest zweimal zu erzwungenen Geschlechtsverkehr gekommen, gab die Frau vor nahezu drei Jahren zu Protokoll. Er könne doch nicht jedes Mal auf Sex warten, wenn seine Frau Kopfschmerzen hat oder müde ist, entgegnet der Ehemann in der Verhandlung. Man habe sich danach geküsst und miteinander gelacht. „Ich finde nicht, dass ich sie vergewaltigt habe.“ Schließlich aber räumt er ein: „Ja, es kam zu Geschlechtsverkehr, obwohl sie es nicht wollte.“ In einem Polizeiprotokoll ist außerdem die Aussage hinterlegt, dass er sich hinterher oft schlecht gefühlt habe.
Wann das Martyrium anfing, kann die Frau ziemlich genau benennen. Es war, als sie eine Arbeitsstelle gefunden hatte. Ihr Mann habe nicht gewollt, dass sie arbeitet. Noch heute wisse er nicht, wo sie arbeitet und wie viel sie verdient.