Die Eindämmung der Balinger Stadttaube. Das klingt ungefähr so verheißungsvoll wie die Verjagung der Stymphalischen Vögel oder das Einfangen einer goldenen Hirschkuh. Oder wie eben all der anderen eigentlich unlösbaren Aufgaben, die Halbgott Herakles entgegen aller Erwartungen ja dann doch bewältigt haben soll.
Nun ist zwar keiner der verbliebenen vier Oberbürgermeisterkandidaten Spross eines Gottes, das Publikum aber genauso erwartungslos wie zur Zeit der alten Griechen: Ende Februar geht in der vollbesetzten Stadthalle ein hoch amüsiertes Raunen, als CDU-Kandidat Dirk Abel kurz vor Schluss der Kandidatenvorstellung Linderung in Sachen Taubenpopulation verspricht. „Die Leute glauben schon nicht mehr daran, dass sich da irgendwas machen lässt“, erklärt Barbara Rigutto, die Vorsitzende des Balinger Vereins „Straßentaube und Stadtleben“.
Verschmutzung durch Taubenkot ein Ärgernis
An der Verschmutzung durch Taubenkot ärgern sich viele, davon zeugen in Balingen vielerorts Taubengitter. Barbara Rigutto ist Taubenfreundin, dennoch wolle auch sie die „Columba livia domestica“, so der wissenschaftliche Name, aus der Stadt wissen: „Die Tauben leben hier nicht artgerecht, aber gehen auch nicht fort, weil Standorttreue in ihrer Genetik steckt. Sie wollen gar nicht wissen, was die Tiere in der Innenstadt alles fressen.“ Es sei die berüchtigte fallengelassene Fritte bis hin zu Erbrochenem, wenn es nichts anderes gibt, was dem lädierten Ruf der Taube nur noch weiter schade.
Hoffnung auf Kooperation
Abel ist nicht der einzige, mit dem „Straßentaube und Stadtleben“ in Kontakt steht und der sich mit der Taubenpopulation auseinandersetzen wolle; auch in Sybille Fleischmann (SPD) und den mittlerweile ausgeschiedenen, aber im Gemeinderat aktiven Erwin Feucht (Grüne) setzt der Verein Hoffnung. Die acht Mitglieder wünschen sich nach der Wahl eine Zusammenarbeit mit der Stadt; so sollen weitere Taubenschläge hinzukommen, wie sie in Balingen schon am Bahnhof und an der Mediathek stehen. Das würde je nach Art des Schlags Baukosten über mehrere tausend Euro und dazu laufende Ausgaben für Futter, Säuberung, Schutzkleidung und noch weiteren Posten verursachen.
Tübingen als positives Beispiel
Der Verein verweist auf Städte, wo diese Ausgaben Wirkung gezeigt hätten. Dazu gehört unter anderem Tübingen, wo seit 2007 ein Fütterungsverbot existiert und nach Angaben der Stadt 2014 rund 500 Tauben lebten. Die letzte Zählung im Frühjahr 2022 ergab einen Rückgang auf zirka 200 Tiere, nachdem vier Schläge angebracht wurden. Die Dezimierung des Bestands gelang durch Geburtenkontrolle: Frische Eier wurden vernichtet und durch Attrappen ersetzt. Geboren wurde diese Idee 1997 in Bayern, weshalb man auch vom „Augsburger Modell“ spricht.
Als Beispiel für eine bescheidene Wirkung könnte man nun Balingen anführen. Neben dem existierenden Fütterungsverbot wird auch hier schon versucht, die Population durch Eier-Tausch zu dezimieren, offenbar aber ohne nennenswerten Erfolg. Barbara Rigutto glaubt, dass es schlicht an der Zahl der Schläge und an einer ausreichenden Betreuung durch den Bauhof mangelt, weshalb der Verein seine Hilfe anbieten möchte.
Wie viele Tauben aktuell in der Eyachstadt zu Hause sind, ist nicht bekannt. Dem Augenmaß der Vereinsmitglieder nach sind vor allem die Kernstadt, der Stadtteil Frommern und das Industriegebiet „Auf Gehrn“ betroffen. Dort erscheinen hohe und verwinkelte Gebäude den Tauben besonders wohnlich.
Brüten im Rekordtempo
Beinahe jede Stadttaube ist nach Angaben des Nabu Deutschland genetisch mit der im 19. Jahrhundert domestizierten Felsentaube verwandt. Zu einer enormen Bestandsexplosion kam es nach dem Zweiten Weltkrieg inmitten der Ruinen, seitdem halten sich die Tiere hartnäckig: „Brieftauben wurden nunmal mit dem Ziel gezüchtet, immer wieder zurückzukehren“, so Rigutto. Eine weitere Folge der Modulation ihres Erbguts ist die häufige Fortpflanzung; Stadttauben brüten bis zu sechs Mal, in manchen Gefilden sogar bis zu acht Mal im Jahr. Hier also müsse man ansetzen und die Augsburger Methode konsequenter verfolgen, betont Rigutto.
Wer heute durch Augsburg oder Tübingen spaziert, entdeckt natürlich immer noch Tauben. Ihr Verschwinden ist in dieser Form des sogenannten Taubenmanagements allerdings auch nicht das Anliegen: „Ziel sollte keine Vernichtung, sondern ein kleiner gesunder Taubenbestand sein, denn auch Stadttauben zählen zur Artenvielfalt unserer Siedlungen“, erklärt der Nabu auf seiner Homepage. Was darüber hinaus geht, wäre wohl ohnehin eine Aufgabe für die Götter.