Es ist ein Tag, der zwei Mal im Jahr mit Spannung an Schulen und bei Familien in Deutschland erwartet wird: die Zeugnisvergabe. In diesen Tagen bekommen die Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg ihre Halbjahreszeugnisse. Auch in den Schulen am Kleinen und Großen Heuberg werden sie in dieser Woche in den Klassen verteilt und sorgen bei manch einem Schüler für Sorgenfalten. Denn während sich die einen über gute Leistungen freuen, bringen andere eher schlechte Neuigkeiten nach Hause. Sitzen bleiben können sie zum Halbjahr zwar nicht, trotzdem ist dieses Zeugnis ein erster Fingerzeig in Richtung der großen Notenvergabe zum Ende des Schuljahres. Für manche ist es eine Motivation, sich nochmal richtig anzustrengen, für andere die Aussicht auf die Wiederholung des Schuljahres.
Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Statistische Bundesamt eine Statistik zu den „Sitzenbleibern“ in ganz Deutschland. Demnach sei die Zahl in allen Bundesländern, bis auf Bremen, nach der Corona-Pandemie deutlich gestiegen. Im Bundesdurchschnitt mussten im Jahr 2022 2,4 Prozent aller Schüler die Klasse wiederholen. In konkreten Zahlen heißt das: 155 800 Kinder wurden entweder aufgrund ihrer Noten nicht versetzt oder wiederholten freiwillig eine Klasse. Das waren 67 Prozent, also rund zwei Drittel, mehr als noch im Schuljahr zuvor (1,4 Prozent) – auch in Baden-Württemberg. Dort blieben im Schuljahr 2021/22 2,4 Prozent der Schüler sitzen.
Versetzungsordnung wieder angepasst
Grund für diese Entwicklung ist eine angepasste Versetzungsordnung zu Corona-Zeiten, wonach Schüler zwei Jahre lang nicht sitzen bleiben konnten – egal wie schlecht ihre Leistungen waren. Im vergangenen Schuljahr wurde diese Verordnung wieder aufgehoben. Dennoch: Auch im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten stieg die Anzahl der Jahrgangswiederholer. Demnach blieben in Baden-Württemberg im Schuljahr 2019/20 nur 1,6 Prozent der Schüler sitzen.
Die Schulen am Kleinen und Großen Heuberg verzeichnen vergleichbare Entwicklungen. Norbert Kantimm, Schulleiter des Gymnasiums Meßstetten, beobachtet an seiner Schule beispielsweise nicht mehr „Sitzenbleiber“: „Letztes Jahr gab es bei uns keine Veränderung im Vergleich zu vor Corona.“ Ohnehin sei die Quote an seiner Schule sehr gering. Nur eine Handvoll seiner rund 300 Schülerinnen und Schüler bleibe demnach sitzen. „Tendenziell betrifft das eher die Klassen 7,8 und 9“, sagt er, weil die Versetzung in der fünften Klasse lockerer verlaufe. „Da bleiben die Schüler seltener sitzen, weil auch seltener die Note 5 vergeben wird.“
Generell wenig „Sitzenbleiber“
An der Realschule Winterlingen gibt es generell wenige Schüler, die die Klasse wiederholen. Denn dort gibt es seit der Einführung des Bildungsplans 2016 verschiedene Niveaus, die zu unterschiedlichen Abschlüssen führen. Schüler, die dauerhafte Probleme mit dem Lernstoff bekommen, können statt die Klasse zu wiederholen, auf ein niedriges Niveau wechseln. „Viele Schüler wählen in so einer Situation diese Lösung“, teilt die Schulleitung der Realschule Winterlingen auf Anfrage mit. Schon vor Corona sind so wenige Schüler sitzengeblieben. Während der Pandemie habe es zudem pädagogische Spielräume gegeben, wie eine Versetzung auf Probe. Das Kind darf dabei die nächste Klassenstufe besuchen und muss nach ein paar Wochen eine Prüfung ablegen, um zu zeigen, dass es den Lernstoff meistert.
Größere Sorgen als um das Sitzenbleiben bereiten den Pädagogen die psychischen Folgen der Corona-Pandemie bei den insgesamt 280 Schülern, die an der Realschule Winterlingen betreut werden. „Die Belastung bei manchen Schülerinnen und Schülern ist extrem“, so die Schullleitung. Manche Kinder hätten Ängste entwickelt und hätten deshalb Schwierigkeiten, in die Schule zu kommen. In einem solchen Fall arbeiteten die Lehrer, Eltern und Kinder intensiv zusammen, um individuelle Lösungen für Unterstützung zu finden. Die Anlaufstellen seien überlaufen. Deshalb wünschen sich die Pädagoginnen, dass es mehr externe Unterstützungsmöglichkeiten, zum Beispiel bei psychologischer Beratung für Eltern und Kinder außerhalb der Schule gibt.
Förderung des Landes für potenzielle Sitzenbleiber
Mit den Folgen der Pandemie beschäftigt sich auch Ute Hausch, Schulleiterin der Gemeinschaftsschule Kleiner Heuberg in Geislingen und Rosenfeld. In der Gemeinschaftsschule bleibt grundsätzlich kein Schüler sitzen. Eine freiwillige Wiederholung ist dennoch möglich. Mithilfe des Programmes „Lernen mit Rückenwind“ des Landes Baden-Württemberg stellt die Schule Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung. „Wir haben Angebote in den Schulalltag integriert“, erläutert die Schulleiterin. In Kooperation mit externen Anbietern gibt es zudem Ferienkurse zur Prüfungsvorbereitung. „Die Schüler, die Unterstützung brauchen, bekommen diese in unserem Programm“, sagt Hausch.
2,4
Prozent der Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg haben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Schuljahr 2021/22 eine Klasse wiederholt.