Angespannte Situation, hohe Anzahl an Infektionskrankheiten, Krankenstand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – die Situation im Zollernalb Klinikum in Balingen und Albstadt hat sich noch nicht verbessert. Bereits im Dezember musste das Klinikum geplante Behandlungen und Operationen verschieben. Am Donnerstag wurde der Operationsstopp verlängert. „Wir sehen uns leider ab sofort gezwungen, die Behandlungen auf unaufschiebbare Akut- und Notfallbehandlungen zu begrenzen“, heißt es in der Mitteilung des Klinikums.
Angespannte Situation im Zollernalb Klinikum
„Unser Versorgungsauftrag gilt den Akutpatienten, das geht derzeit aber nur zum Leidwesen der planbaren Eingriffe“, erklärt Dr. Gerhard Hinger, Vorsitzender Geschäftsführer der Zollernalb Klinikum gGmbH, im Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE. Grund dafür ist die aktuell angespannte Situation hinsichtlich Bettenschließungen und der hohen Anzahl an Infektionskrankheiten. Von Oktober bis 15. Dezember wurden im Klinikum 456 Corona-, 110 Influenza- und 23 Respiratorische-Synzytial-Virus-Erkrankte behandelt. Vor solchen Atemwegserkrankungen warnt auch das Robert-Koch-Institut. Nach wie vor zirkulieren diverse Atemwerkserkrankungen. „Die machen auch vor unserem Personal nicht halt.“ Der Krankheitsstand der Mitarbeiter sei ein weiterer Grund für den OP-Stopp.
Schließung von Praxen
Allerdings zeigt sich hierbei ein Problem, das sich schon seit Jahrzehnten angekündigt hat, sagt Dr. Gerhard Hinger: eine Verschiebung der Versorgungsstruktur. Weil immer mehr Praxen im ländlichen Raum mangels Nachfolger schließen, ist im Bereich der ambulanten Behandlungen eine Ausdünnung zu verzeichnen. Die Folge: Immer mehr Menschen lassen sich in Kliniken behandeln. „Der Ansturm auf Notaufnahmen ist groß.“ Hinger macht den Patientinnen und Patienten keinen Vorwurf. „Sie kommen aus einer Notfallsituation zu uns, weil sie keinen Arzt finden.“
Doch das Klinikpersonal war während der Pandemie maximal belastet und nun folgen eine Grippewelle und vermehrte Erkrankungen mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV), nicht nur bei Kindern. Nicht erst dadurch ist die Ausfallquote beim Personal hoch. „Das ist kein isoliertes Problem der Kliniken“, so Hinger. Denn als Folge werden Patienten, wo möglich, früher entlassen. Die Nachsorge wird dann entweder durch Haus- und Fachärzte oder Pflegedienste übernommen – auch hier war die Belastung während der Pandemie hoch. „Das gesamte System ist überlastet.“
Finanzierung von Krankenhäusern
Das zeigt sich ebenfalls bei der Finanzierung von Krankenhäusern. Hinger nennt ein Beispiel, warum die Politik dabei eine wichtige Rolle spielt: „Im internationalen Vergleich machen wir in Deutschland mehr stationäre Behandlungen.“ Das sei eine Frage der Struktur. Anfang der 1990er-Jahre habe es bereits Vorschläge gegeben, ambulante Operationen zu forcieren, um dadurch stationäre Behandlungen zu reduzieren. Allerdings wurde die Finanzierung nicht angepasst. „Für jede ambulante Operation verzeichnet eine Klinik im bundesweiten Durchschnitt einen Verlust in Höhe von 250 Euro.“ In Balingen und Albstadt gibt es jährlich zwischen 12 000 und 15 000 ambulante Operationen. Von einer Schwarzen Null, gar Gewinnen, sind die meisten Kliniken weit entfernt.
„Krankenhäuser sind schon lange aus der Gewinnzone raus.“ Das gelte auch für private Kliniken. „Auf der einen Seite sollen wir wirtschaftlich denken, auf der anderen Seite sollen wir akzeptieren, dass die Vergütung nicht stimmt.“ Während ein Arzt Leistungen, die sich aus wirtschaftlicher Sicht nicht lohnen, weglassen kann, müssen bestimmte Behandlungen in einem Klinikum angeboten werden. „Das System zwingt uns, unwirtschaftlich zu handeln.“ Obwohl es in Baden-Württemberg noch eine der höchsten Krankenhausfinanzierungen gibt, so Hinger.
Personal an Belastungsgrenze
Die Folge: Oft wird am Personal gespart, weil das überwiegend eine der höchsten Kostenstellen ist. Im Zollernalb Klinikum sind es 70 Prozent der Gesamtkosten. „Wir sind personell verhältnismäßig ordentlich aufgestellt.“ Trotzdem sei das Personal in Balingen und Albstadt an der Belastungsgrenze, ist sich der Geschäftsführer bewusst. Jeden Tag müsse anhand des vorhandenen Personals überprüft werden, mit wie viel Betten die Stationen besetzt werden können.
Helfen können gute Ausfallkonzepte, doch die gebe es deutschlandweit kaum. Denn: „Wir haben keinen Puffer für Ausfälle.“ In der Regel gibt es Telefonlisten, die abgearbeitet werden, bis eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter gefunden wurde, der einspringen kann. „Wir haben das Problem deutlich erkannt und versuchen verschiedene Konzepte.“ Im Zollernalb Klinikum wird im Falle eines Ausfalls beispielsweise mit Leiharbeitern gearbeitet.
Neue Mitarbeiter werden in allen Bereichen stetig gesucht, auch bei den Ärzten. In Balingen und Albstadt sei man gut aufgestellt, weil man unter anderem auf Weiterbildung ausländischer Kräfte setzt. Doch die haben zunächst nur eine eingeschränkte Berufserlaubnis und sind oft nicht an eine Klinik beziehungsweise Region gebunden, wandern daher schneller ab. Die Konkurrenz zwischen den Kliniken ist aufgrund des Nachwuchsmangels enorm. Jetzt mehr Studienplätze einzurichten, wie es Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) fordert, wird erst in zehn Jahren helfen, ist Hinger überzeugt (siehe Infokasten).
Absehbare Probleme
„Die Probleme, die wir jetzt haben, waren alle absehbar.“ Eine Reform müsse folgen, davon ist Gerhard Hinger überzeugt, aber sie müsse ganzheitlich gedacht und dürfe nicht zu bürokratisch sein. Über Jahrzehnte habe das Gesundheitssystem stagniert. Für den Zollernalbkreis ist der Geschäftsführer dennoch positiv gestimmt. „Ich bin überzeugt, dass der Zollernalbkreis ein funktionierendes Gesundheitskonzept braucht.“ Dafür arbeite er. So soll im Sommer eine Kinderklinik eröffnet werden und 2030 das Zentralklinikum zwischen Balingen und Albstadt, das die beiden Kliniken ersetzen wird.
Das sagt Dr. Gerhard Hinger zur Klinikreform
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht bei der geplanten Krankenhausreform von einer Revolution. Vorgesehen sei unter anderem eine Änderung der Finanzierung der Klinikbehandlungen. Doch die sieht vor, dass gerade einfache Eingriffe, die es im ländlichen Raum häufig gibt, weniger Geld einbringen als beispielsweise komplizierte Behandlungen sowie ambulante. Ambulante Operationen seien für viele Patienten attraktiv. Zudem seien die Infektionsrate und das Thromboserisiko geringer, sagt Dr. Gerhard Hinger, Vorsitzender-Geschäftsführer des Zollernalb Klinikums.
Eine weitere Forderung von Lauterbach sind weitere Medizin-Studienplätze. „Diese Plätze sind dringend notwendig“, sagt auch Hinger, doch das Problem gibt es seit den 1990er-Jahren. Bis Medizinstudenten Patienten behandeln, dauert es jedoch bis zu elf Jahre. Kurzfristig hilft diese Forderung dem System also nichts.
Bis zum Sommer sollen Gesundheitsminister, Bund und Länder einen Gesetzentwurf erarbeiten. Die Kliniken und Krankenkassen sind nicht involviert. Das kritisiert nicht nur Gerhard Hinger. Man könne zwar nicht jeden fragen, doch sollten Personen aus der Praxis involviert werden, ist der Geschäftsführer des Zollernalb Klinikums überzeugt.