Der Schnuller fliegt in hohem Bogen nach oben und landet auf dem Wickeltisch. „Das ist unser Spiel“, erklärt Nathalie Heist. Kommt die zweieinhalbjährige Marie morgens an, gibt sie den Schnuller ihrer Tagesmutter und die lässt ihn mit einem gezielten Wurf verschwinden: „Dann braucht sie ihn hier gar nicht mehr.“
Tatsächlich scheint Marie nichts zu vermissen. Mit Kuschelbär unterm Arm läuft sie durch das große Spielzimmer, begrüßt Katze Lola, die sich in der Kuschelecke eingerollt hat und blättert gemeinsam mit Heist durch eins der vielen Bilderbücher. „Die Kinder können gut unterscheiden, was sie zu Hause bei ihren Eltern dürfen und welche Regeln hier gelten“, sagt die 40-Jährige.
Kinder werden in Privathaus betreut
„Hier“, das heißt: in der Kindertagespflege „Kleine Strolche“ in Bisingen. Neben Marie betreut Heist täglich vier weitere Kinder zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren in ihrem Haus. Schnell sieht man, dass kleine Kinder hier ein und aus gehen: Da ist jede Menge Spielzeug im Garten, im Bad hängen extra niedrig angebrachte Handtuchhaken, um den Esstisch stehen Hochstühle und im Elternschlafzimmer befinden sich zwei Babybetten für den Mittagsschlaf.
Dass Kinder in Privaträumen betreut werden, ist Teil des Konzepts der Kindertagespflege. Sie setzt auf familienähnliche Strukturen und konstante Bezugspersonen. „Aber da muss auch der Rest der Familie mitziehen, vor allem mein Mann“, sagt Heist. Sie habe eine sehr enge Beziehung zu den meisten Kindern. Für die Kleinen sei die Tagespflege wie ein zweites Zuhause. „Und das soll es auch sein.“
Seit 10 Jahren als Tagesmutter tätig
31 Mädchen und Jungen hat die qualifizierte Tagesmutter in den vergangenen 10 Jahren betreut. Sie sind auf Fotos im Flur verewigt, die große Teile der Wand bedecken. „Die aktuellen Kinder fehlen aber noch“, sagt Heist. Drei Mädchen und zwei Jungs kommen momentan zu ihr. Marie ist die Erste, zwischen 8 und 9 Uhr trudelt der Rest ein.
Der Abschied von Mama ist Routine – Tränen fließen keine. Zuerst geht es ins Spielzimmer mit Maltisch, Bällebad und Mini-Küche. Überall steht und liegt Spielzeug: Kreisel, Puppen, ein Telefon. „Vor zwei Tagen musste die Katze telefonieren“, erzählt die Tagesmutter und lacht. Tiere gehören bei den Heists dazu, mit den Eltern ist das abgesprochen. Neben Lola gibt es noch Kater Carlo, die Hunde Rico und Peppino, Fische und Achatschnecken, deren Terrarium im Spielzimmer steht.
„Entdeckerlust der Kinder sättigen“
„Die Kinder kümmern sich mit“, sagt die gelernte Tierarzthelferin. Früher arbeitete sie in der Zoofachbranche, ihre beiden Töchter – heute elf und 13 Jahre alt – gingen ebenfalls in die Kindertagespflege. Ihr gefiel das Konzept und so entstand die Idee, selbst Tagesmutter zu werden – trotz eher geringem finanziellen Anreiz. Um von ihrer Tätigkeit leben zu können, muss Heist fünf Kinder betreuen. Bezahlt wird sie vom Jugendamt, außerdem bekommt sie einen Zuschuss von der Kommune. Die Eltern wiederum können eine Förderung des Jugendamts in Anspruch nehmen, für den Rest kommen sie selbst auf. „Sie müssen den gleichen Stundenpreis zahlen wie in der Krippe. Das wurde harmonisiert“, erklärt Heist.
Ob sie den beruflichen Wechsel je bereut hat? „Nein“, sagt sie entschieden. „Es macht mir einfach Spaß, den Kleinen die Welt zu zeigen und ihre Entdeckerlust zu sättigen.“ Entdeckerlust, die ab und an auch ganz schön herausfordernd sein kann: Da ist Anna, die beim Malen die Stiftebox umschmeißt, Jonas, der mit Förmchen in der Hand ein Gerüst hochklettert und Max, der wie wild durchs Zimmer rennt. Und manchmal alles gleichzeitig. Heist bleibt ruhig. Gemeinsam mit Anna sammelt sie die Stifte wieder ein, bittet Jonas, das Förmchen beim Klettern aus der Hand zu nehmen und fragt Max, ob er sich zu ihr setzen und ein Buch ansehen möchte.
So richtig gestresst sei sie eigentlich selten, sagt Heist. Die Kinder lernen in der Gruppe schnell, auch mal zu warten. „Sie spielen viel nebeneinander und miteinander.“ Eine Alltagssituation, die besonders viel Aufmerksamkeit erfordert, gibt es aber: das Hochsteigen der Treppe. Nacheinander gehen die Kinder die Stufen hoch. Manche krabbelnd, mache aufrecht. „Nach vorne schauen“, ermahnt die Tagesmutter immer wieder.
Tagesmütter und Tagesväter sind gesucht
Oben angekommen, gibt es Frühstück. Das bringen die Kinder selbst mit: Gurke, Saitenwürstchen, eine Brezel, die versehentlich in Ricos Maul landet. In die Ernährung mischt sich Heist nicht ein, solange sie nicht nur aus Süßem besteht. Und am Mittag kocht die 40-Jährige selbst für die Tageskinder. An diesem Tag auf dem Speiseplan: Nudeln mit vegetarischer Bolognese-Soße, ein Klassiker.
Davor steht aber noch der Morgenkreis an: Heist singt „Die Räder vom Bus rollen dahin“, die Kinder heben lachend die Hände, zeigen die sich öffnenden Bustüren oder die schaukelnden Leute. Das macht Spaß und fördert die Sprachentwicklung, erklärt die Tagesmutter. Sie geht mit den Kleinen auch gerne in den Garten oder spazieren. Donnerstag und Freitag dauert die Betreuung bis 13 Uhr, an den restlichen Tagen bis 16 Uhr. Dann besucht die Gruppe auch mal das Hofgut Domäne oder den Barfußpark.
Das Konzept kommt gut an. Bis Ende 2025 ist Heist ausgebucht. „Die Eltern kommen schon mit dem positiven Schwangerschaftstest zu mir“, berichtet sie. Jonas Mutter ist froh, einen Platz bekommen zu haben. Die Krippe sei für sie nicht in Frage gekommen, erzählt sie. Große Gruppen, ein hoher Geräuschpegel, wechselnde Erzieher, das wollte sie nicht. In die Kindertagespflege gebe sie ihren Sohn mit einem guten Gefühl. Problematisch ist da eher das Abholen. „Jonas, magst du gehen?“, fragt die Mutter. Klare Antwort: „Nein.“
Kindertagespflege im Zollernalbkreis
Die Kindertagespflege stellt eine Alternative zu Kindertageseinrichtungen (z.B. Kinderkrippe) dar. Tagesmütter oder -väter dürfen bei sich zu Hause bis zu fünf anwesende Kinder gleichzeitig betreuen. In anderen geeigneten Räumen (TigeR) können unter bestimmten Voraussetzungen mindestens zwei Tagesmütter oder -väter bis zu neun anwesende Kinder gleichzeitig betreuen.
Der Jugendförderverein Zollernalbkreis berät interessierte Eltern im Kreis: Tel. (07433) 38 16 71 oder [email protected] Der Bildungsträger führt außerdem die Qualifizierung der Tagesmütter und -väter durch: Es werden etwa Grundkenntnisse in Entwicklungspsychologie oder rechtliche Rahmenbedingungen vermittelt. Für die Pflegeerlaubnis sind 300 Unterrichtseinheiten a 45 Minuten nötig, zudem ein Erste-Hilfe-Kurs am Kind, ein Gesundheitsattest, ein Führungszeugnis und ein Hausbesuch der Fachberatung und des Jugendamts.
Im Zollernalbkreis gibt es Stand März 2023 73 Tagespflegepersonen, 288 Kinder sind in Betreuung. Es laufen neun TigeR-Projekte. Aktuell werden Tagesmütter und -väter gesucht.