In der Stimme von Jagdpächter Werner Zeiher liegt Erschöpfung, wenn er auf die Tiere zu sprechen kommt, die es in der aktuellen Jagdsaison erwischt hat: Seit dem 1. April ist im Balinger Wald nach offizieller Zählung das mittlerweile fünfte Reh durch frei laufende, wohlgemerkt aber nicht herrenlose Hunde gerissen worden. Hinzu kommt eine Dunkelziffer, die Werner Zeiher knapp zehn Wochen vor Saisonende (31. März) dazu veranlasst hat, einen Appell auszusprechen. Hundebesitzer, die ihren Vierbeiner nicht vollständig im Griff haben, bittet er, beim Auslauf im Wald und in der Flur anzuleinen.

Rehkitz auf Wiese in Engstlatt entdeckt

Den Ausschlag für Zeihers Bitte hatte im Januar ein rund acht Monate altes Bockkitz in seinem Revier gegeben. In der Nähe des Friedhofs von Engstlatt hatte eine Spaziergängerin das noch lebende, aber bewegungsunfähige Tier auf offener Flur bemerkt. Daraufhin suchte Zeiher das Tier auf und versetzte ihm den Gnadenschuss, den ihm das Tierschutzgesetz in einem Notfall gestattet. „Der Hundehalter muss bemerkt haben, was da passiert ist“, betont der Werner Zeiher. „Im Wald kann es schonmal sein, dass der Hund verschwindet und man nichts mehr mitbekommt. Aber auf einer Wiese sieht man das.“

Beliebter Ort zum Gassigehen

Der Fundort und die umgebende Natur seien ein äußerst beliebter Anlaufpunkt für Hundehalter, auch für viele, die mit ihrem Hund per Auto aus der Stadt anreisen. Über diese Gegend hinaus habe man mit Beginn der Corona-Pandemie im Balinger Wald grundsätzlich feststellen können, dass die Zahl der frisch gebackenen Frauchen und Herrchen zugenommen hat. Zeihers Eindruck bestätigt die Stadtverwaltung; de Zahl der Hundehalter ist in Balingen von 1500 im Jahr 2019 auf 1650 (Stand Januar 2022) gestiegen.
Dass unter diesen Umständen vermehrt noch nicht rehreine Hunde unterwegs sind, sei derzeit auch in anderen Revieren ein akutes Problem: „Rehrein heißt unter Jägern, dass ein Hund beim Umherstreifen dem Wild nicht hinterherjagt und sich zuverlässig abpfeifen lässt“, erklärt Zeiher. „Von meinen Kollegen höre ich, dass auch die vermehrt damit zu kämpfen haben.“
Ist der Jagdinstinkt eines Hundes erwacht, braucht es keine tödlichen Bisse, was auch die Dunkelziffer erklärt. Auf der Flucht können die wenig stressresistenten Rehe einen Herzstillstand oder auch schwere Knochenbrüche erleiden: „Beim Aufprall gegen einen Zaun ist dann schnell das Genick gebrochen.“

Vorwiegend junge oder trächtige Rehe

Seltener ist es männliches Wild, das zum Opfer wird. Stattdessen trifft es die Jungtiere und trächtige Rehe, außerdem die Frischlinge des Wildschweinbestands. Die Hundebesitzer reagierten nach Erfahrung des Jagdpächters höchst unterschiedlich, die Palette der Emotionen reiche von Bestürzung bis hin zu unverhohlener Ignoranz. „Es ist mir sehr wichtig, dass wir im Wald gut miteinander auskommen“, betont Zeiher. Hundehalter sollten sich durch seinen Aufruf nicht angegriffen fühlen, es gehe ihm stattdessen um Sensibilisierung: „Die Lage ist noch erträglich, aber eben auch schwer bedauerlich“. Das Bockkitz in Engstlatt wurde am hinteren Lauf gepackten, Zeiher entdeckte es mit abgebissener Keule.
Derlei Bilder und vielleicht die Aussicht auf ein juristisches Nachspiel mögen den betreffenden Hundehalter dazu bewogen haben, heimlich zu verschwinden. Dabei sind rechtliche Konsequenzen nicht zwingend die Folge; hier kommt es darauf an, ob der Jäger Anzeige stellt. Zunächst gilt der Fall als eine Ordnungswidrigkeit, und erst bei mehrmaliger Wilderei durch denselben Hund wird es ernst. Denn nach dem baden-württembergischen Jagd- und Wildtiermanagementgesetz dürfen Jäger mit schriftlicher Genehmigung der Polizeibehörde einen Hund im Einzelfall töten.

150

neue Hundehalter sind laut Stadtverwaltung während der vergangenen drei Jahre in Balingen hinzugekommen. Insgesamt sind es damit nun 1650 Personen.