Betritt man die Räume der Exotenauffangstation in Balingen-Zillhausen, bricht einem der Schweiß aus. Und das nicht etwa, weil sich dort Skorpione, Schlangen und Spinnen in Terrarien räkeln. Nein, es ist schwül in den beiden Räumen mit niedrigen Decken. Ein kleines Display an einem der Terrarien, die in den Regalen stehen, zeigt 83 Prozent Luftfeuchtigkeit und kuschlige 23 Grad. Björn Gruners Schützlinge haben es gern warm.
Der 54-Jährige kümmert sich in der einzigen Exotenauffangstation in Baden-Württemberg um Tiere, die eher in den Zoo als in ein Tierheim gehören. Kornnattern, Boas, Leguane, Vogelspinnen und Schildkröten – Gruner weiß, was die Tiere brauchen.

Nächste Station war in München

Angefangen hat das alles mit einer Boa constrictor in Albstadt. Die war ihrem Besitzer entwischt. Gruner fing sie ein und brachte sie in die Exotenauffangstation nach München – bis dato die einzige in Süddeutschland. Ihr Leiter brachte den 54-Jährigen auf die Idee, selbst eine Station zu gründen. Vor drei Jahren hat er die Station eröffnet. Platz hat er für 50 Tiere. Aktuell haben rund 40 Tiere dort ein vorübergehendes Zuhause.

Im Handel falsch beraten

Zwei davon sind die beiden Spornschildkröten, die in einem mit Kunstrasen ausgelegten Raum wohnen. Als Gruner langsam die Glastür öffnet, krabbeln sie neugierig auf ihn zu. Ein ungeübtes Auge hält die etwa unterarmlangen Tiere für ausgewachsen. „Das sind quasi Babys“, sagt Gruner. Die Schildkröten wurden von ihrem Besitzer bei ihm abgegeben. Der Verkäufer im Fachhandel habe ihn falsch beraten, gesagt, es würde dauern, bis sie groß würden. „Das ist schon richtig so, aber irgendwann wiegen sie eben 60 Kilogramm“, sagt Gruner. Denn Spornschildkröten sind die drittgrößte Landschildkrötenart der Welt.
Ihre Geschichte ist kein Einzelfall. Immer wieder kaufen sich Menschen exotische Tiere, ohne zu wissen, wie sie sich richtig um sie kümmern. Manche setzen die Tiere dann aus, andere Exoten entlaufen. Gruners Schützlinge sind oft beschlagnahmte Tiere oder wurden an Autobahnraststätten gefunden. Gelegentlich geben Privatleute auch ihre Tiere ab. „Die Tiere, die hier landen, sind schnell und günstig zu haben“, sagt Gruner. „Das Problem ist, man bekommt heute diese Tiere übers Internet“, sagt er. Einen Nachweis, ob man sich mit den exotischen Tieren auskennt, braucht man nicht – auch bei Giftschlangen.

Angebote im Netz mit wenigen Klicks auffindbar

Sucht man im Internet Boas oder Kobras, findet man mit wenigen Klicks ein Angebot. Schon ab 80 Euro kann man eine Regenbogenboa bestellen wie ein neues Paar Schuhe – Versand oder Selbstabholung beim Züchter. „Die Klassiker sind Vogelspinnen oder Mittelmeer-Skorpione“, sagt Gruner. Aber auch Klapperschlangen und Kornnattern sind beliebt.
Ein rotgemustertes Exemplar schlängelt sich durch eines der Terrarien. Das Muster wirkt wie eine Warnung – täuscht aber. Sie ist nicht giftig, nur etwas ärgerlich über die Störung. Als Gruner die Scheibe zurückschiebt, beißt sie den Reptilienexperten in den Handballen. Der ist das schon gewöhnt. Routiniert wartet der 54-Jährige. Langsam entspannt sich die Kornnatter. Gruner setzt sie wieder in ihr Terrarium. Er wischt sich die Hand mit einer Desinfektionslösung ab. Ernsthaft verletzt hat ihn nie eines der Tiere. „Ich weiß, welche Vorsichtsmaßnahmen ich beachten muss“, sagt der Experte.

Polizei bei Einsätzen mit Exoten geholfen

Die Leidenschaft für exotische Tiere hat er schon lange. Als Jugendlicher kümmerte er sich um Meerwasseraquarien, half später der Polizei bei Einsätzen mit exotischen Tieren. Zusätzlich päppelt er verletzte Füchse, Bussarde oder Milane auf und entlässt sie in die Wildnis. „Dann habe ich gedacht, da kommt es auf die Patienten auch nicht drauf an“, sagt Gruner. 30 000 Euro seines Geldes investierte er in den Aufbau. Der Zollernalbkreis und Tierschutzverein Zollernalbkreis unterstützen ihn.
Viel Platz ist in den beiden Räumen nicht mehr. Gruner nutzt jeden Winkel. Im Sommer dürfen die Schildkröten nach draußen. Dennoch: Der Platz ist knapp, die Nachfrage hoch. Eine Vergrößerung der Station sei eigentlich unumgänglich, sagt Gruner. „Ich hoffe immer noch, dass ich eine große Spende bekomme, um ein Gewächshaus im Garten zu bauen“, sagt er. Damit wäre das Platzproblem gelöst.


Tiere werden nur an Sachkundige abgegeben

Gruner versucht, die Tiere zu vermitteln. An Menschen, die sich damit auskennen, betont er. Er behält nur die Tiere, die nicht mehr vermittelbar sind. Namen gibt er ihnen nicht. Zu schwer wäre es, sie wieder abzugeben.
Die Geschichte jedes der Exoten kennt er dennoch – auch die medizinische. Oft kommen die Tiere verletzt zu ihm. Er weiß, wie er sie pflegen kann, fragt bei Bedarf in München nach. Gut 60 Prozent der Tiere, die in der Station ankommen, seien krank, verletzt oder mit Parasiten befallen, schätzt er. Erst kürzlich hat sich eine der Boas in seiner Obhut gehäutet. Auf der abgestreiften Haut sieht man deutlich die gut vier Zentimeter große Narbe der Schlange. „Ich gehe davon aus, dass sie eine Drahtschlinge um den Schwanz gehabt haben muss“, sagt Gruner. Solche Verletzungen sieht er häufig.

Tiere erkennen den Pfleger

„Den Tieren wird abgesprochen, dass sie Gefühle oder Intelligenz haben“, sagt der Experte. Seiner Erfahrung nach ist das aber anders. „Wenn man mit den Tieren arbeitet, merkt man ganz deutlich: Sie erkennen den Pfleger oder werden auch mal nervös, wenn man eine Pflanze umstellt.“
Aufgeregt krabbelt auch der schwarze Skorpion durch den Sand des Glaskastens, als Gruner einen Stein anhebt. Er kam auf einem ungewöhnlichen Weg nach Balingen – als blinder Passagier in einer Strandtasche. Der Besitzer entdeckte ihn und gab ihn ab. Weil es wegen des Klimawandels immer wärmer wird, könnte das Tier hierzulande mittlerweile überleben. Gleiches gilt für die Buchstaben-Schildkröten, die in einem Aquarium schwimmen. „Die Tiere werden ausgesetzt und vermehren sich dann weiter, und dann haben wir ein ganz großes Problem“, sagt Gruner. Es sind invasive Tierarten, die der heimischen Natur schaden. Es gibt für sie ein Haltungs- und Handelsverbot. „Das bringt aber eigentlich nichts mehr, weil sie schon in der Natur angekommen sind“, sagt Gruner.

Politisches Umdenken nötig

Er wünscht sich auch in Bezug auf andere exotische Tiere ein politisches Umdenken. Von einer Negativliste, wie Cem Özdemir sie vorgeschlagen hat, hält der Reptilienexperte nichts. Ein Verbot würde nur dazu führen, dass Halter mit Sachverstand bestraft würden. Er wünscht sich einen Herkunftsnachweis bei jedem Verkauf, um den blühenden Online-Handel einzudämmen. Menschen, die exotische Tiere halten wollen, sollten seiner Meinung nach zusätzlich Sachkunde nachweisen müssen.
Denn aktuell kann jeder und jede mit ein paar Klicks Exoten kaufen. Ein Problem, das sich in den vergangenen zwei Jahren verschärft habe. „Es ist definitiv während Corona mehr gekauft worden“, sagt Gruner. In zwei oder drei Jahren werde das dann für viele zum Problem. Der 54-Jährige ist vorbereitet. Mindestens drei Terrarien stehen immer leer – bereit für neue Bewohner.

Erst Haustier – jetzt Gefahr für die Natur

Schildkröten gelten als langsame Spezies. Im Südwesten breiten sich bestimmte invasive Arten jedoch im Eiltempo aus. Sie waren beliebte Haustiere. Manche wurden ausgesetzt und vermehren sich nun unkontrolliert.
Ein Forscherteam der Senckenberg Naturhistorischen Sammlung Dresden und der Universität Freiburg hat gezeigt, dass drei Schildkrötenarten aus Nordamerika sich in der freien Natur vermehren können.
Die Buchstaben-Schildkröte ist eine davon. Sie wurde als Haustier nach Europa gebracht und dann vielfach ausgesetzt. Sie vermehrt sich in Seen rund um Freiburg und Kehl und richtet dort Schäden an.