Obstbaumexperten predigen es immer wieder: Leute, schneidet Eure Bäume. Die Wahrheit bietet allzu oft ein trostloses Bild von Obstbaumwiesen, auf denen alte Baumveteranen ein Sammelsurium an trostlos ineinander verflochtenen Zweigen in den Himmel zu recken versuchen. Die Obstbäume im Land befinden sich in einem verwahrlosten Zustand. Oft tragen sie Misteln, die aber schädigen und schwächen den Baum.
Als Ursache für den miserablen Zustand vieler Obstbäume machen Experten unsachgemäße Behandlung und falschen Baumschnitt aus. Manche sagen, lieber die Schere im Keller lassen, als ständig falsch am Baum zu experimentieren. Klingt logisch, vor allem der sogenannte Ladewagenschnitt ist verpönt: Da werden Äste deswegen abgeschnitten, weil sie das Durchfahren des Traktors verhindern und das Mähen der Wiese erschweren. Dadurch verlieren die Bäume ihre Statik, werden im Wachstum gestört, leiden und erzeugen Stressäste. Am Ende des Martyriums werden sie erlöst von der Motorsäge, was abertausenden Insekten die Nahrungsgrundlage entzieht.

Palmers Obstbau-Krieg

In den 1970er-Jahren hat wegen solcher Zustände ein gewisser Helmut Palmer (Vater des Tübinger Oberbürgermeisters) den damals als „württembergischen Obstbau-Krieg“ bezeichneten Konflikt mitunter auf die Spitze getrieben. Seine Art des Baumschnitts (wenig Äste, dadurch viel Licht und eine bessere Obstqualität) stieß auf wenig Begeisterung. Schwäbische Obstbauern wollten mehr Holz am Baum, weil dann vermeintlich der Obstertrag höher war.
Obstbaumschnitt ist eine Kunst. Einer, der sich auf diese versteht, ist der Balinger Hermann Butz. Er ermutigt alle Baumwiesenbesitzer oder -pächter dazu, sie zu erlernen. Nach Pflanzschnitt und dem jährlichen Erziehungsschnitt bis der Baum etwa zwölf Jahre alt ist, brauchen Bäume den sogenannten Erhaltungsschnitt, auch ein Mal im Jahr.

Um viele Bäume kümmert sich niemand

Derzeit sieht Hermann Butz zu viele Bäume, um die sich gar niemand kümmert. Das schmerzt ihn, denn vor allem im Winter, wenn ohne schützendes Laubkleid der Blick frei ist auf wild verzweigte Äste, offenbaren diese Bäume, wie schlecht es um sie steht, insbesondere, wenn sie Misteln tragen. Misteln taugen als adventlicher Schmuck, aber sie sind Halbparasiten, bilden unter der Rinde ihres Wirtsbaumes Wurzeln und saugen ihn aus.
Irgendwann ist der Baum tot, und Hermann Butz prophezeit: „Wenn man da bald nichts macht, gibt es in 20 Jahren keinen einzigen Obstbaum mehr.“ Misteln stehen entgegen einer weitverbreiteten Irrlehre nicht unter Naturschutz, es gibt also keinen Grund, sie zu schonen.

Misteldrossel verbreitet die Kerne

Die von Baum zu Baum fliegende Misteldrossel frisst deren Blüten, hinterlässt aber die Kerne auf den Baumrinden. So breiten sich die Misteln schnell in einer ganzen Region aus. Haben sie sich erst mal festgesetzt, ist den Misteln nur schwer beizukommen, sagt Butz. Weil die Wurzeln unter der Rinde ins Holz gehen, „muss bis zu einem Meter in den Stamm gesägt werden.“
Wer seinen Baum nicht ordentlich schneidet, schadet ihm. Die dahinterstehende Logik ist einfach: In eine zu dichte Krone fällt zu wenig Licht, das aber brauchen die Blätter, nicht nur wegen der Fotosynthese. Sonne und Wind helfen auch, vom Nachttau benetzte Blätter zu trocknen. Das funktioniert bei einer lichten Krone gut, aber bei engem Wildwuchs eben nicht. Dann haben Bakterien und Pilze ideale Bedingungen. Es sind also keineswegs ästhetische Gründe, warum Hermann Butz zur Teleskop-Schere greift. „Wir wollen gesunde Bäume und hohen Ertrag“, sagt er. Beides funktioniert nur zusammen.

Lieber zu wenig als zu viel schneiden

Wer sich seiner Sache nicht sicher ist, schneidet lieber zu wenig als zu viel. Dafür aber regelmäßig, das tut dem Baum gut, weil der Schnitt zum Wachstum anregt. Aber: Die ganz starken Äste in Stammnähe verschonen. Die große Wunde könnte ein Einfallstor sein für eine neue Krankheit, die sich bedingt durch den Klimawandel vom Süden her auch in Deutschland ausbreitet. Der Schwarze Rindenbrand ist ein Pilz, ein sogenannter Schwächeparasit, der über Stammverletzungen in den Baum eindringt. Auch über den Sonnenbrand, den Laien daran erkennen, dass an manchen Stellen die Rinde aufplatzt.
Damit sie keine Fehler machen, empfiehlt Hermann Butz Obstbaumbesitzern einen Schnittkurs zu besuchen. Er selbst bietet immer wieder welche an. Es könne auch nicht schaden, da ein zweites oder drittes Mal hinzugehen, denn Obstbäume schneiden ist eine Kunst, die nicht in zwei Stunden erlernt werden kann.

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Aufgrund der großen Nachfrage lädt der Obst- und Gartenbauverein Balingen zu einem Schnittkurs, diesmal am Samstag, 11. März, ein. Los geht es um 9 Uhr in Roßwangen, der Kurs dauert rund vier Stunden. Inhaltlich wird es um Obstbäume im Alter von zirka 30 Jahren gehen. Für ein gesundes Wachstum und einen guten Ertrag sollten an ihnen regelmäßig Pflegemaßnahmen durchgeführt werden. Der Schwerpunkt wird auf den sogenannten „Erhaltungsschnitt“ gelegt. Viele Besitzer oder Pächter solcher Obstbäume stehen vor typischen Fragen: Wie pflege ich? Wann pflege ich? Und welches Werkzeug brauche ich? Vereinsmitglied Hermann Butz ist ausgebildeter Fachwart für Obst und Garten, bringt viel Erfahrung mit und hat schon viele Schnittkurse durchgeführt. Die notwendigen theoretischen Hintergründe fließen bedarfsgerecht in die Praxis mit ein. Alle Teilnehmer werden auch selbst Hand anlegen und das Gelernte direkt ausprobieren können. Der genaue Treffpunkt wird den Teilnehmern rechtzeitig bekannt gegeben. Parkplätze stehen zur Verfügung. Vorhandenes Schnitt-Werkzeug sollte mitgebracht werden. Es wird vor Beginn ein kleiner Unkostenbeitrag erhoben. Anmeldung per Mail an hermannbutz@t-online.de.