Wenn der Kopf dröhnt, die Nase läuft und es im Hals kratzt, greift man heutzutage beherzt zu Aspirin Complex oder anderen schnellen Muntermachern. Vor einigen hundert Jahren war das noch anders. Gläubige Katholiken haben bei Bedarf nach sogenannten Schluckbildchen gegriffen: etwa briefmarkengroße Bilder mit religiösen Motiven, die bei Krankheit verschluckt wurden – in der Hoffnung auf Heilung.
Alex Moser ist Sammler religiöser Volkskunst vom Barock bis zum frühen 20. Jahrhundert. Neben Schluckbildchen umfasst seine Sammlung allerlei Alltagskunst, von Talismanen bis hin zu Votivgaben, die als Teil eines Gelübdes als symbolische Opfer dargebracht wurden. Beim Nachmittag für Ältere im evangelischen Gemeindehaus Tieringen stellte Moser am vergangenen Dienstag seine Sammlung vor und erklärte die Riten und Bräuche, die hinter den Artefakten stehen.

Kaum ärztliche Versorgung: Glaube gab Menschen Halt

Man muss sich in diese Zeit hineinversetzen: kaum ärztliche Versorgung, keine Versicherung“, erklärt Moser in seinem Vortrag. „Die Menschen haben sich in ihren Nöten der Hilfe und Gnade von oben anvertraut.“ Die Exponate stehen dabei immer für individuelle Schicksale und beziehen sich auf konkrete Situationen im Leben der Gläubigen.
Einen Großteil von Mosers Sammlung machen Votivgaben aus. Dazu gehören zum Beispiel kleine Figuren aus Silberblech. Aus Dankbarkeit oder als Bitte wurden diese der Mutter Gottes oder einem Heiligen gewidmet, in die Kirche gebracht und dort aufgehängt.
Die Figuren konnten unter anderem Gebrechen darstellen, für deren Heilung gebetet wurde. In Mosers Sammlung befindet sich eine solche Figur, die eine nackte Frau darstellt. „Wahrscheinlich hat sie ein sehr großes Problem gehabt“, erklärt Moser. Es kann auch sein, dass sie von einer Vielzahl an Krankheiten geplagt war – und so um Gesundheit bitten wollte. Auch einzelne Körperteile, die Probleme machten, konnten als Blechfigur erworben und in Hoffnung auf Hilfe in den Kirchen aufgehängt werden.

Früher Teil der Marienverehrung, heute Weihnachtsschmuck

Als Teil der Marienverehrung wurden Herzen aus Silberblech mit goldenen Verzierungen in Kirchen aufgehängt. „Man hat der Mutter Gottes ein Herz geschenkt – je nach Geldbeutel“, sagt Moser. Die kleinsten Herzen hatten etwa eine Größe von fünf Zentimetern, wer mehr bezahlen konnte, ließ sich größere Herzen anfertigen. Auch heute werden die Herzen noch vereinzelt hergestellt und beispielsweise als Dekoration an Weihnachten verwendet. Ihre religiöse Signifikanz haben sie aber wohl verloren.
Votivgaben konnten auch in Form von Gemälden gemacht werden. „Ein Votivbild muss grundsätzlich drei Dinge haben: Erstens muss man sehen, an welchen Heiligen man sich wendet. Zweitens die Person, um die es geht und drittens die Sache“, erklärt Moser. Diese kann entweder bildlich dargestellt oder schriftlich beschrieben werden.

Kunst als Teil des religiösen Alltags

Auch im Alltag gläubiger Katholiken spielten Kunstgegenstände eine Rolle. Wachsstöcke, die zunächst als einfache Lichtquelle dienten, wurden in Klöstern verziert und als Einnahmequelle an Gläubige verkauft. „Solche Wachsstöcke hat man natürlich nicht angezündet“, sagt Moser. Stattdessen hat man sie in Wallfahrtskirchen segnen lassen und als Haussegen zu Hause aufgestellt.
Eine katholische Tradition, die sich bis heute gehalten hat, ist das Rosenkranzgebet. Ein besonderer Rosenkranz in Mosers Sammlung hat nur zehn Perlen: ein sogenanntes „Mannsbeten“. Männer haben diese Art Rosenkranz wie eine Uhrenkette getragen. Fünfmal gebetet, ergibt auch diese Kette einen großen Rosenkranz.
Mosers Sammlung zeigt, wie sich religiöses Gefühl im Alltag der Menschen manifestiert hat. Ganz nach dem Motto „Es war einmal“, wie Moser sagt, können wir heute durch solche Exponate einen Blick auf die Lebensrealität von Menschen werfen, die vor Hunderten von Jahren gelebt haben.

Nachmittag für Ältere in Tieringen

Der Nachmittag für Ältere findet in Tieringen immer am ersten Dienstag des Monats statt. Der nächste Termin ist am 2. Mai. Jörg Schweikhardt liest aus seinem Buch „Der Pfarrjörg“.