Liebe ist ein Gefühl, das man sich anziehen kann. Als rosarote Herzchenbrille mit Funkelsteinchen am Rahmen zum Beispiel. „Love on Tour“ heißt die Tournee, mit der Harry Styles seit 2022 seine Musik live zu den Fans bringt. Und die kommen dann mit rosa Optik auf der Nase, Glitzer im Gesicht und Federboa vom Ein-Euro-Shop um den Hals. Manchmal tragen sie sogar selbst bemalte Herzchen-Hosen mit den Initialen „H.S.“ auf der Rückseite. Zumindest in München, beim ersten von sechs Konzerten des britischen Musikers dieses Jahr in Deutschland.
Das Olympiastadion ist am Vorabend des Vatertags ausverkauft, 60 000 Menschen, vor allem Teenie-Mädchen und junge Frauen. Styles ist 29, aber mit dieser Zielgruppe kennt er sich aus, schließlich war er mal Mitglied des Castingshow-Quintetts One Direction. Aber hat geschafft, was vor ihm wohl nur Robbie Williams und Justin Timberlake gelungen ist: Solo ist er noch größer als die Boygroup.
Um 20.40 Uhr geraten die Federboas in Wallung. Ein kurzer Trickfilm, „Harry‘s House“ (der Titel des jüngsten Albums) liefert Liebe frei Haus. Dann kommt der Bewohner. Ohne Federn und Herzen, sondern im Kurzarm-Shirt mit Glitzerstreifen, „Daydreaming“ als funky Aufwärmprogramm, danach Songs aus den beiden jüngsten Langspielern. Styles kann auf Deutsch bis vier zählen, den Rest macht er auf Englisch. Er verspreche, mit seiner Band alles zu geben, der Job des Publikums sei es, so viel Spaß wie möglich zu haben.
Dieses hat sich schon vorher beim frechen Indie-Rock von Wet Leg warmgehüpft. Da sangen übrigens auch von Liebe, aber bei ihnen riecht die nach warmem Bier und Magensäure. Für die schönen Seiten ist Harry Styles zuständig, bei ihm schmeckt die Liebe nach „Watermelon Sugar“. Angenehmer, nicht unbedingt realistischer.
Styles ist kein Künstler, der für sein überirdisches Können vergöttert wird, er ist eine (sehr attraktive) Projektionsfläche für die Sehnsüchte anderer. Ein Star, der im Disney-Club genauso gemocht wird wie im LGBT-Club. Für Styles‘ wechselnde Liebschaften (Kendall Jenner, Taylor Swift, Olivia Wilde, Emily Ratajkowski) interessiert sich vielleicht der Boulevard. Seine Fans sehen in ihm einen universellen Botschafter von Freundlichkeit und Liebe.

Nahbar, aber ungreifbar, auch musikalisch

Wie das zusammengeht? Styles schafft es, gleichzeitig nahbar und ungreifbar zu sein, weder zu langweilen noch zu schockieren. Musikalisch eh nicht, seine Songs lassen sich kaum klassifizieren, Weißbrot-Soul und Kuschelrock, Disco-Glanz und Eighties-Glitter. Da steht ein „nice guy“, der es geschafft hat. Wenn andere so nice wären, könnten sie das vielleicht auch hinbekommen. Da braucht es weder Vokalkunststücke noch Tanz-Moves.
Und dann ist Styles ja auch noch der Liebesspezialist, der sein Wissen mit den Fans teilt. Die haben ihre Fragen schriftlich mitgebracht, auf Papptafeln. Dr. Styles kommt zur Sprechstunde auf den Steg durchs Publikum. Ihr Freund habe sie betrogen, soll sie ihm verzeihen? Die Fans johlen, der Star überlegt. Sie habe einen Freund verdient, der ehrlich sei und sie respektvoll behandle, lautet sein Teflon-Ratschlag. Und dann ist noch Laura, die ihren 18. Geburtstag feiert. Styles lässt das Stadion ein Ständchen singen. Er dirigiert dabei nur.

Die Fans machen aus dem Konzert ein Fest der Liebe

Der Star dosiert seine Aufmerksamkeit, schon den ganzen Abend. Er erledigt seinen Teil professionell, seine divers besetzte Band liefert makellos ab. Es sind die Fans selbst, die aus dem Konzert ein Fest der Liebe machen. Der Soundtrack dazu ist aber ziemlich gut: berührend, wie der Sänger mit drei Frauen seiner Band „Matilda“ anstimmt, toll, wie der One-Direction-Hit „What Makes You Beautiful“ zur Rocknummer wird.
Styles‘ größte Solohits kommen alle erst zum Finale, „Watermelon Sugar“, „Sign of the Times“, natürlich „As It Was“, dieser Song aus dem Radio, bei dem Pop-Schlauberger immer an A-ha denken. Die Fans empfinden dabei jedoch pure Liebe. Um sie herum wehen überall Boa-Federn. War wohl eine gute Party.

Proteste gegen Roger Waters geplant

Harry Styles ist in München willkommen – für Roger Waters gilt das nur eingeschränkt. Kritiker wollen vor dem Konzert des umstrittenen Pink-Floyd-Mitbegründers am Sonntag in der Olympiahalle demonstrieren. Nach Angaben des Kreisverwaltungsreferates plant das Bündnis „München ist bunt!“ eine Protestaktion mit bis zu 200 Teilnehmern „gegen jeden Antisemitismus“. Waters wird unter anderem für seine Nähe zur BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) kritisiert, die zum Boykott des Staates Israel wegen der Palästina-Politik aufruft. Die Stadt München hatte sogar Möglichkeiten erwogen, das Konzert des 79-Jährigen zu verbieten, was aber rechtlich nicht möglich gewesen sei, heißt es in einem Stadtratsbeschluss dazu. Auch in Frankfurt hatten Stadt und Land versucht, den Auftritt des Musikers am 28. Mai zu verhindern – und waren damit vor Gericht gescheitert. Beim Auftakt seiner Deutschland-Tournee in Hamburg Anfang Mai war Waters vom Publikum bejubelt worden. dpa