Eine seltsame Gesellschaft ist das da auf der Bühne: Sie tragen aufgedonnerte Kostüme, Perücken, Reifröcke und ausgestopfte Hintern. Wenn sie reden, oder besser, wenn sie lügen, dann tänzeln und trippeln sie ständig dabei – und betrachten sich auch noch im Spiegel. Das geht so eine ganze Weile, bis es einem Mann im Publikum, Reihe 5, zuviel wird. „Sie suhlen sich in Eitelkeit“, wettert er Richtung Bühne los, „ich könnt‘ die ganze Welt erschlagen.“ Und: „Ich hasse alle, alle.“
Nicht ganz neu, dieser Regietrick, aber hier passt er: Der Menschenfeind, der Antiheld der gleichnamigen Molière-Komödie, sitzt mitten unter uns. Am vergangenen Samstag war am Stuttgarter Schauspiel Premiere.
Alceste, so heißt der Menschenfeind, wird bald nach seinem Hass-Monolog die Bühne entern. Matthias Leja spielt ihn – und gleich vorweg: Er macht das großartig. Gibt das krasse Gegenteil zum höfischen Gute-Laune-Zirkus, spricht schlecht gelaunt, geradeaus, unverkleidet, unverstellt. Auch optisch ist Lejas Alceste ein Außenseiter in dieser kunterbunt bis schrill kostümierten Spaßgesellschaft: in Schwarz gekleidet und mit einer Plastiktüte unterwegs.

„Ich will der sein, der ich bin“

Als ihn seine penetrant heiteren Zeitgenossen auffordern, nicht immer nur griesgrämig zu sein, kramt er eine Perücke aus der Tüte, setzt sie auf, macht die Tänzelei eine Weile mit – voll dämlich sieht das aus, er kann es nicht. Nein, „ich will der sein, der ich bin“, sagt er. Doch ausgerechnet er liebt Célimène (Therese Dörr), eine Frau, die das Spiel dieser Gesellschaft – vornerum schmeicheln und hintenrum spotten – besonders gut beherrscht.
 Die Regie? Ein Glücksfall. Bernadette Sonnenbichler zeigt, dass die höfische Society zu Molière-Zeiten gar nicht so weit entfernt ist von heutigen Zuständen. Das von Alceste verachtete „Trippeln, Wippen und Verrenken“ übersetzt sie choreografisch – so dass all die Philintes, Clitandres und Alcastes wie ein Geisterballett wirken.
Unterlegt ist das alles mit pulsierender Musik, die live am Bühnenhimmel in Hängegondeln produziert wird. Manchmal stoppt die Regie das permanente Tänzeln dieser fremdgesteuert wirkenden Marionetten-Menschen – was dann tönt, ist nur noch leises Keuchen.
 Irgendwie treffend, wenn im Programmheft von „Blödmaschinen“ die Rede ist. Von Dummheit, die aus dem Überfluss kommt. Der Menschenfeind, der das sieht und daran leidet, mag eine Spaßbremse sein, ein Spielverderber, ein Misanthrop, doch die Regie macht ihn nicht lächerlich. Sie wandelt nur das Molière-Ende etwas ab: Alceste wiederholt seinen Monolog – doch den Schluss „ich hasse alle, alle“ lässt er lachend weg. Geht von der Bühne und setzt sich wieder in Reihe 5.
Viel Beifall. Stark gespielt, bildkräftig inzeniert, kurz: sehenswert.