Ein flüchtiger Insasse einer Psychiatrie hat am Freitag (08.09.) in Wiesloch in Baden-Württemberg eine Frau erstochen. Die 30-Jährige erlag ihren Verletzungen, wie die Polizei in Mannheim mitteilte. Am kommenden Freitag (15.09.), eine Woche nach der Tat, tagt der Sozialausschuss in einer Sondersitzung.
Das teilte der Sprecher der SPD-Landtagsfraktion am Montag mit. Man habe den Antrag gemeinsam mit der FDP gestellt, sagte er. Hintergrund sind die Geschehnisse rund um den Tod der Frau am vergangenen Freitag. Sozialminister Manne Lucha (Grüne) erklärte nach Worten einer Sprecherin vom Montag, dem Ausschuss selbstverständlich „Rede und Antwort zu stehen und umfänglich über den Fall und das, was bis dahin bekannt ist, zu berichten“.
Flucht aus Psychiatrie: Wie gelang dem Mann das?
Der 33-jährige Patient war am Freitag in einer Gruppe von sechs Patienten und begleitet von erfahrenen Pflegefachkräften auf dem Weg in die Arbeitstherapie auf dem PZN-Gelände gewesen, als er sich spontan und unerlaubt entfernte.
Pflegekräfte hätten die Flucht des 33-Jährigen beobachtet und sofort die Verfolgung des Mannes aufgenommen, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Auch die ebenfalls sofort alarmierte Polizei habe unverzüglich Fahndungsmaßnahmen ergriffen. Trotzdem konnte der Mann entkommen.
Attacke in einem Ladengeschäft
Nach seiner Flucht vom Gelände der Maßregelvollzugsanstalt in Wiesloch habe der Mann in einem Ladengeschäft die 30-Jährige mit einem Messer angegriffen. Nach dem Verlassen des Geschäfts sei der Mann von Polizeibeamten „nach Androhung von Schusswaffengewalt“ festgenommen worden, heißt es in der Mitteilung weiter.
Die mit dem Messer attackierte Frau überlebte ihre Verletzungen trotz sofortiger medizinischer Hilfe nicht. Sie starb nach dem Transport in ein Krankenhaus.
Nach tödlichem Messerangriff: Haftbefehl gegen 33-Jährigen erlassen
Die Ermittlungen der Kriminalpolizeidirektion Heidelberg sowie der Staatsanwaltschaft Heidelberg – auch zur Herkunft des Messers und einem möglichen Bezug zwischen mutmaßlichem Täter und Opfer – laufen. Noch am Samstag sollte ein Haftrichter entscheiden, ob der tatverdächtige 33-Jährige in Untersuchungshaft oder zurück in eine Psychiatrie kommt.
Am Nachmittag fiel dann die Entscheidung: Der Richter erließ einen Unterbringungsbefehl. Das wird gemacht, wenn jemand eine rechtswidrige Tat vermutlich im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen hat und in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt - statt in einem Gefängnis - untergebracht werden soll. Zunächst unklar war, ob der Mann in ein Gefängnis oder eine Psychiatrie kommt. Am Sonntag teilte die Polizei nun mit, dass der 33-Jährige wieder in einer Psychiatrie ist – ob es dieselbe ist, aus der er ausgebrochen war, ließ der Beamte offen.
Mehrere Delikte: Mann seit 2021 im Psychiatrischen Zentrum
Nach Angaben der Behörden war der Psychiatrieausbrecher seit 2021 im PZN untergebracht. Der Mann war vom Heidelberger Landgericht verurteilt worden. Einzelheiten zu seiner Verurteilung nannten Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst nicht. Nach Angaben des PZN war der Mann wegen mehrerer Delikte untergebracht, darunter vorsätzliche Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung. „Wegen seiner seelischen Störung wurde gerichtlich die Schuldunfähigkeit des Mannes festgestellt“, teilte das Zentrum mit.
In den Maßregelvollzug kommen Straftäter, wenn ein Gericht sie als psychiatrisch auffällig oder suchtkrank einstuft. Bei längeren Freiheitsstrafen kann die Haft aufgeteilt werden: Zunächst wird ein Teil im Gefängnis abgesessen, dann folgt die Maßregel. Dort wird entschieden, ob der Verurteilte die Reststrafe weiter absitzen muss – oder schon nach der Hälfte der Strafe auf freien Fuß kommt. Im regulären Strafvollzug ist eine Entlassung auf Bewährung nach der Hälfte der Haft hingegen selten. Außerdem gibt es im Maßregelvollzug mehr Lockerungsmöglichkeiten.
Lockerungen aufgrund von Therapiefortschritten
Der Patient war nach Auskunft des PZN auf einer geschlossenen Rehabilitationsstation untergebracht. Nach Therapiefortschritten habe er in einem Lockerungskonzept eine Stufe erreicht, die ihm begleiteten Ausgang auf dem PZN-Gelände und in der Stadt Wiesloch ermöglichte. Jährlich werden in der Psychiatrie rund 10.000 erwachsene Patienten stationär, teilstationär und ambulant behandelt, wie es auf der Internetseite der Einrichtung heißt.
Ähnlichkeiten mit Messerangriff in Tübingen
Insgesamt gibt es in Baden-Württemberg an acht Standorten psychiatrische Einrichtungen für den Maßregelvollzug: Bad Schussenried, Calw, Emmendingen, Reichenau, Weinsberg, Weissenau, Wiesloch und Zwiefalten. Auch wenn es laut Sozialministerium dort „umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen“ gibt, handelt es sich nicht um Gefängnisse, sondern um Kliniken. Ausbrüche gab es daher in den vergangenen Jahren immer wieder. Eine Ausnahme ist der Maßregelvollzug in Wiesloch: Hier gibt es einen „Hochsicherheitstrakt“ für als besonders gefährlich eingeschätzte psychisch kranke Straftäter.
Der Angriff in Wiesloch ähnelt einer Tat in Tübingen im vergangenen Mai: Ein 40-jähriger Mann hatte in einer Buchhandlung eine 56 Jahre alte Kundin angegriffen und lebensgefährlich verletzt. Der Täter konnte noch vor Ort widerstandslos festgenommen werden. Die Frau, die durch den Messerstich lebensgefährlich verletzt wurde, musste nach der Erstversorgung vom Rettungsdienst in die Uniklinik gebracht werden. (mit Agenturen)