Samer lehnte die Entschuldigung im Gerichtssaal gestern strikt ab. „Ich nehme sie nicht an, er hat mein Leben zerstört“, warf der 26-jährige Iraker dem Angeklagten vor. Willi B. (70) muss sich wegen eines Angriffs auf Flüchtlinge mitten in Heilbronn verantworten. In Briefen an drei Opfer bat er um Verzeihung. Er sei „kein Fremdenhasser, kein Rechtsextremist“, schrieb er. Er sei „schrecklich besoffen“ gewesen. Die jeweils 2000 Euro als Entschädigung haben die drei Verletzten akzeptiert.
Versuchten Mord wirft die Anklage dem Spätaussiedler vor. Bewaffnet mit einem Messer, dessen Klinge 19 Zentimeter lang war, sei er am 17. Februar gegen 21.18 Uhr ins Stadtzentrum gegangen. Sein Ziel sei gewesen, „auf möglichst viele Flüchtlinge einzustechen“. Er wollte sie „erheblich verletzen, wenn nicht gar töten“, sagte die Staatsanwältin. Es sei nur vom Zufall abhängig gewesen, welche Folgen sein „massives Vorgehen“ gehabt habe. „Er spielte sich auf als Herr über Leben und körperliche Unversehrtheit.“
Ausländer als Zufallsopfer
Bei den Verletzten handelte es sich um Zufallsopfer. Sie standen nicht in einer Gruppe zusammen, sondern teilweise 20 Meter auseinander. Aber sie waren alle als Ausländer erkennbar. B. habe sich den Opfern „von hinten genähert“ und „mit erheblichem Kraftaufwand“ „überfallartig eingestochen“. Ein Afghane (17) wurde durch Stiche in den Bauch schwer verletzt, ein Syrer (19) erlitt weniger gefährliche Blessuren.
Samer rechnete die Polizei zu den Leichtverletzten, weil er zunächst nur zwei Stunden in der Ambulanz verarztet wurde. Später musste er aber operiert werden. Das Messer durchtrennte mehrere Nerven, so dass er Finger der linken Hand nicht mehr bewegen kann. Damit verlor der Asylbewerber seinen Arbeitsplatz als Bäcker. Sein Leben sei jetzt „nur noch die Hölle“, sagte er als Zeuge, „ich wollte dem deutschen Staat eigentlich nicht auf der Tasche liegen“.
Nach der Festnahme soll Willi B. Polizisten gesagt habe, er habe „ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik“ setzen wollen. Aber daran kann er sich ebenso wenig erinnern, wie an die Tat. Zwar übernahm er die Verantwortung, aber das angebliche Motiv weist er weit von sich. „Ich bin doch selber fremd hier“, sagte er dem psychiatrischen Sachverständigen. B. ist im November 1947 in Semipalatinsk (Kasachstan) geboren, 1991 kam er mit Frau und Tochter nach Deutschland. „Das war mein Traum, ich wollte als Deutscher in Deutschland leben“, sagte er, dessen Vorfahren aus dem Raum Tübingen stammen. Der frühere Hausmeister hatte 1,9 Promille Alkohol im Blut. Dabei will er nur bei besonderen Anlässen trinken. Am Tag der Tat wurde der 27. Geburtstag der Tochter gefeiert. Wie viele und welche Spirituosen er zu sich genommen hat, wisse er nicht mehr genau, sagte er vor Gericht. Er könne sich nur erinnern, im Bad einen Schwindelanfall gehabt zu haben. Auch den Gang von seiner Wohnung zum wenige 100 Meter entfernten Tatort hat er angeblich aus dem Gedächtnis gelöscht.
Das Schwurgericht bewertete das Verbrechen als „ganz, ganz schlimm“. Der Vorsitzende Richter Roland Kleinschroth deutete an, Willi B. wisse möglicherweise „manche Dinge“ nicht mehr, weil er sie nicht wissen wolle oder sie sich nicht zugetraut habe. Denkbar sei, dass der Rentner sich von der Hetze in Internetforen habe anstecken lassen. Bei Durchsuchungen sei jedoch nichts gefunden worden, „was in eine rechtsradikale Ecke geht“.
Das Urteil soll am 31. Oktober fallen
Der Prozess vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Heilbronn wird heute fortgesetzt. An sechs Verhandlungstagen sollen 22 Zeugen gehört werden. Bei der Beweisaufnahme geht es auch um die Schuldfähigkeit des Angeklagten, der bei der Tat offenbar stark betrunken war. Davon hängt das Strafmaß ab. Mit dem Urteil ist am 31. Oktober zu rechnen. hgf