Es ist eine zumindest vorläufige Entscheidung in der umtrittenen Causa Boris Palmer: Tübingens Oberbürgermeister lässt seine Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende des Jahres 2023 ruhen. Diesen Vorschlag machte das Landesschiedsgericht nach der mündlichen Verhandlung im Parteiausschlussverfahren gegen Palmer am Samstag in Stuttgart, wie ein Sprecher mitteilte. Außerdem sollen Palmer und die Grünen im Jahr 2023 Gespräche darüber aufnehmen, wie der Politiker kontroverse „innerparteiliche Meinungen in Zukunft äußern könnte - unter Beachtung der Grundsätze und Ordnung der Partei“. Damit ist ein Rauswurf Palmers bei der Grünen zumindest vorerst vom Tisch.
Palmers Anwalt Rezzo Schlauch lobt Arbeit des Schiedsgerichts
Beide Seiten haben den Vergleich angenommen. Boris Palmer stimmte bereits am Samstag dem Vergleich „ohne Vorbehalte“ zu, wie sein Anwalt Rezzo Schlauch der SWP-Partnerzeitung „Schwäbisches Tagblatt“ bestätigte. Das Verfahren sei vom Schiedsgericht sehr gut und mit hoher Sachkompetenz geführt worden. „Man kann es sich eigentlich nicht besser, nicht professioneller, nicht seriöser wünschen.“
Palmer selbst bestätigte ebenfalls seine Zustimmung. Das Ruhen der Mitgliedschaft bedeute, dass er nicht bei Parteiversammlungen abstimmen könne oder für Parteiämter kandidieren. „Die Kandidatur für das Amt des Oberbürgermeisters ist davon unberührt“, schreibt Palmer auf Facebook. „Sollte ich wiedergewählt werden, wäre ich ab 1.1. 2024 wieder einer der wenigen (aktuell 3) grünen Oberbürgermeister im Ländle, auf die sich die Partei uneingeschränkt stützen kann.“
„Boris hat Grenzen überschritten“
Auch der baden-württembergische Landesvorstand der Grünen hat dem Kompromissvorschlag des Landesschiedsgerichts im Parteiordnungsverfahren zugestimmt. Die beiden Vorsitzenden der Grünen in Baden-Württemberg begrüßten den Kompromiss. „Mit der Einigung auf das Vergleichsangebot hat Boris Palmer anerkannt, dass er gegen die Grundsätze und die Ordnung der Partei verstoßen hat“, teilten Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller am Sonntag in Stuttgart mit. „Das ist ein wichtiges Zeichen, auch für all diejenigen in der Partei, die in den vergangenen Jahren immer wieder durch diese Debatten aufgerieben wurden.“ Nun sei klar: „Boris Palmer hat die Grenzen dessen überschritten, was wir als Partei aushalten müssen.“ Boris Palmer sagte: „Das Wesen eines Vergleichs ist, dass man sich nicht in vollem Umfang durchsetzt. Den Streit auf diese Weise zu beenden, scheint mir folglich sinnvoll.“
Knappes Rennen bei OB-Wahl in Tübingen?
Die OB-Wahl in Tübingen findet im Oktober dieses Jahres statt, Palmer tritt nach den Querelen mit seiner Partei als unabhängiger Kandidat an – und, wenn man so will, gegen seine eigene Partei. Die Grünen schicken nach einer Urwahl die Weilheimer Ortsvorsteherin Ulrike Baumgärtner ins Rennen, die SPD Sofie Geisel. Viele Beobachter schätzen Palmers Chancen auf eine Wiederwahl relativ hoch ein, wie auch eine Forsa-Umfrage in Tübingen ergab.
Der drohende Ausschluss aus der Partei war allerdings ein ständiger Störfaktor für Palmer – und die Grünen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte kürzlich im Südkurier das Verfahren gegen Palmer kritisiert. Es zeige sich immer deutlicher, dass das Verfahren „nicht der Weisheit letzter Schluss“ sei, sagte Kretschmann. „Wer soll am Ende was dabei gewinnen? Die Frage muss man sich doch stellen.“
Auf einem Landesparteitag Anfang Mai 2021 hatten die Grünen beschlossen, ein Ausschlussverfahren gegen den wegen seiner Provokationen umstrittenen Tübinger Rathauschef einzuleiten. Palmer ist wegen provokanter Ansichten in der Flüchtlingspolitik, aber auch wegen und teils als rassistisch empfundener Äußerungen umstritten. Besondere Empörung hatte Palmers Interview-Äußerung über die Corona-Politik hervorgerufen. In einem Interview hatte er gesagt: „Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“
Unmittelbar vor dem Parteitag hatte er in einer Diskussion auf Facebook im Zusammenhang mit dem Fußballer Dennis Aogo ein rassistisches Wort benutzt. Er verteidigte sich, es sei satirisch gemeint gewesen.
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